Steuerparadies Luxemburg: beliebt bei Deutschlands Reichen
November 2014: Reporter von Panorama veröffentlichten gemeinsam mit Kollegen von "Süddeutscher Zeitung" und WDR die "Luxemburg Leaks". Die Enthüllungen über die massenhafte Steuervermeidung von Großkonzernen, die zum Teil weniger als ein Prozent Steuern bezahlen, erschüttern damals das kleine Land und führen zu einer politischen Debatte in ganz Europa. Unter dem Druck der empörten Öffentlichkeit gelobten Luxemburger Politiker Besserung: "Ich will nicht in einem Land leben, wo wirklich Tricks gemacht werden und Millionengewinne nicht versteuert werden. Das ist nicht die Absicht von Luxemburg und das war nie die Absicht", sagte damals Jean Asselborn, Außenminister Luxemburgs.
Wie sieht es heute in Luxemburg aus?
Und heute? Ist Luxemburg immer noch eine Steueroase? Experten gehen davon aus, dass das Land nach wie vor vielfach zur Steueroptimierung genutzt wird. Das belegt auch unsere aktuelle Recherche, gemeinsam mit Reportern von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung". Die Ergebnisse belegen, dass 20 der 100 reichsten deutschen Unternehmerfamilien Firmen in Luxemburg nutzen. Reporter konnten dafür einen Datensatz mit Handelsregisterauszügen auswerten. Zwar sind die Informationen öffentlich zugänglich, aber nicht nach Personen durchsuchbar. Für unsere Auswertung wurden sie so aufbereitet, dass auch Eigennamen recherchiert werden können.
In den Treffern taucht etwa der Name Reimann auf. Die Unternehmerfamilie wird regelmäßig weit oben auf der Liste der reichsten Deutschen geführt: Geschätztes Vermögen zuletzt: 33 Milliarden Euro. Über die Familie ist kaum etwas bekannt, die Mitglieder meiden die Öffentlichkeit, geben keine Interviews und lassen sich nicht fotografieren. Die Familie ist beteiligt an Konzernen, die Konsumgüter wie Calgon, Clearasil, Senseo oder Jacobs-Kaffee produzieren. In Luxemburg betreibt die Familie unter anderem mehrere Holding-Gesellschaften, um Gewinne aus dem Kaffee- und Haushaltsmittel-Geschäft zu bündeln.
Minimale Steuerlast - und das völlig legal
Für das Geschäftsjahr 2017 verbuchte eine Reimann-Firma mit dem Namen JAB Holding so unter dem Strich einen Gesamt-Gewinn von rund 338 Millionen Euro. Weil das luxemburgische Recht zahlreiche Steuerbefreiungen bietet, wies die Bilanz des Unternehmens für dasselbe Jahr allerdings nur eine sehr geringe Steuerlast aus: 1,1 Millionen Euro, also weniger als ein halbes Prozent - völlig legal. Die Steuerlast der JAB ist auch durch eine buchhalterische Möglichkeit in Luxemburg so niedrig, die in vielen anderen Ländern in dieser Form nicht existiert: Hierbei gewährt JAB seinem Management großzügige Bonuszahlungen in Form von Aktienoptionen. Um diese Optionen garantieren zu können, bildet die JAB hohe Rücklagen. 2018 waren das rund 200 Millionen Euro, im Jahr zuvor sogar fast 600 Millionen.
Geld, das JAB unmittelbar vom Gewinn abzieht, obwohl die Boni - wenn überhaupt - erst Jahre späterausgezahlt werden. Diese Verluste sind aber über Jahre fortschreibbar, dadurch sinkt die Steuerlast. Eine JAB-Sprecherin sagte dazu, man halte sich an alle geltenden Gesetze und zahle alle fälligen Steuern. Luxemburg habe man aus anderen Gründen als Standort ausgewählt. Die Familie Reimann wollte sich nicht äußern.
Auch Kühne und Nagel sparen Steuern
Auch der Logistikkonzern Kühne und Nagel nutzt mehrere Firmen in Luxemburg. Über eine Firma fließen Kredite etwa an Tochtergesellschaften in Luxemburg, Bermuda und Deutschland, zwischen ihnen fließen die Finanzströme dann hin und her. Markus Meinzer vom Netzwerk Steuergerechtigkeit sieht in dieser Konstruktion "alle Anzeichen eines aggressiven Steuergestaltungsmodells, bei dem über Zinsen die Steuerlast gesenkt werden soll." Kühne und Nagel betont auf Anfrage, für den Standort Luxemburg sprächen operative Gründe. Bei den Krediten handele es sich um eine konzerninterne Gruppenfinanzierung.
Solche Modelle sind für den belgischen Steueranwalt Denis-Emmanuel Philippe nichts Ungewöhnliches: "In anderen Ländern, zum Beispiel in Deutschland, sind die Regeln viel strenger. Es gibt viele Steuervorteile, um in Luxemburg eine Holdinggesellschaft zu gründen", sagt der Experte. Er hat sich die Konzernstruktur der Holding-Gesellschaften angesehen und kommt zu dem Ergebnis, dass die Gesellschaften steueroptimiert sind; alles im Rahmen dessen, was das kleine Land erlaubt.
Die Recherchen zeigen: Familie Reimann und Kühne und Nagel sind nicht alleine, auch andere reiche Unternehmer, etwa der Molkereikonzern Müller und Otto, nutzen Luxemburg - offenbar ebenfalls zur Steueroptimierung. Die Unternehmen betonen aber, alles sei legal.
"Neigung der Politik, da heranzugehen, ist begrenzt"
Norbert Walter-Borjans, ehemaliger SPD-Finanzminister in Nordrhein-Westfalen, glaubt, dass den Unternehmern mit dem erhobenen Zeigefinger nicht beizukommen ist. "Ich bin skeptisch, ob es ein Umdenken, was die moralische Grundlage ist, gegeben hat", sagte er im Interview. "Es geht am Ende in diesen Dingen um Business." Auch die Politik werde nicht aus Selbstzweck handeln, vermutet Walter-Borjans: "Wenn dieses Thema nicht von der Öffentlichkeit und auch von den Medien als ein Thema aufgegriffen wird, aus dem Druck heraus entsteht, dass man durch Untätigkeit auch Wahlen verliert, dann ist die Neigung der Politik, da auch richtig heranzugehen, begrenzt."
Jean Asselborn, Luxemburgs Außenminister, verteidigt sein Land im Gespräch mit Panorama und stellt die Fortschritte, die man in Sachen Steuervermeidung gemacht habe, in den Vordergrund. Selbst der EU-Steuerkommissar habe gesagt, "in den letzten fünf Jahren ist mehr geschehen als in den Jahrzehnten davor. Wir haben wirklich unsere Arbeit gemacht." Luxemburg sei ein "sehr niedliches Land, ein sehr kleines Land". Man dürfe nicht, sagt Asselborn, "einfach so über uns herfallen".
Luxemburg blockiert Transparenz-Maßnahmen - genau wie Olaf Scholz
Im Kampf für Steuergerechtigkeit setzt EU-Steuerkommissar Moscovici auch auf Presse-Veröffentlichungen und weitere Leaks. Für ihn als Politiker seien große, öffentliche Steuerskandale stets eine "fantastische Möglichkeit", den Druck auf die Mitgliedsstaaten zu erhöhen. Denn ein Problem in der Debatte um Steuergerechtigkeit ist mangelnde Transparenz. Abhilfe schaffen sollte das sogenannte Public Country by Country Reporting (PCBCR) - eine Maßnahme, die Konzerne verpflichtet, öffentlich zu machen, was sie in jedem einzelnen Land verdienen, wie viele Menschen dort für sie arbeiten und wie viel Steuern sie zahlen. Steuer-Ermittler, Journalistinnen und Kunden könnten sich dann diese Zahlen ansehen, so die Idee der Europäischen Kommission. Das soll den Druck auf Unternehmen erhöhen, sich steuerehrlich und fair zu verhalten.
Luxemburg ist gegen diese Maßnahme, blockiert wird sie allerdings auch vom deutschen Finanzminister Olaf Scholz. Obwohl seine Partei, die SPD, sich nahezu geschlossen für die Maßnahme ausspricht, verhindert er ein entsprechendes Gesetz. Stattdessen sollen die Kennzahlen geheim übermittelt werden und nur den Steuerbehörden zugänglich sein. Das schütze die Geschäftsgeheimnisse der Unternehmer, so das Argument. Das Finanzministerium teilte mit, dass man nach einer gemeinsamen Linie innerhalb der Koalition suche.