Impfbummler: Warum es in Niedersachsen so langsam geht
In Niedersachsen beklagen viele Probleme bei der Terminvergabe für die Corona-Impfung. Die Organisation dafür wurde ausgelagert. Daran gibt es Kritik, auch an der intransparenten Vergabe.
Heiner Birnstiel ist sauer. Wochenlang hat er alles probiert, um schnell einen Impftermin für seine 95-jährige Schwiegermutter zu bekommen. Sie lebt in einer betreuten Wohnanlage in Nordstemmen südlich von Hannover. Anfang Februar hat Heiner Birnstiel seine Schwiegermutter über das Onlineportal auf die Warteliste gesetzt.
Zusätzlich hat er mehrfach versucht, die Impf-Hotline zu erreichen vergebens. "Ich wähle vormittags. Ich wähle mittags. Ich wähle nachmittags. Und ich komme nicht durch", sagt er im Interview mit Panorama 3. Erst Mitte März erhielt er eine Mail mit dem ersehnten Impftermin. Am 31.3. soll die 95-Jährige endlich ihre erste Corona-Impfung bekommen. "Bei uns ist es katastrophal gelaufen", sagt Birnstiel.
Klagen über Terminvergabe
Zuständig für die Terminvergabe ist in Niedersachsen eine private Firma, die Majorel Wilhelmshaven GmbH. Sie wurde vom Land unter anderem damit beauftragt, die Termine mit den insgesamt 50 Impfzentren zu koordinieren.
Doch in den vergangenen Wochen häuften sich Klagen über die Terminvergabe in Niedersachsen. Auch Bernd Beutel kann von einigen Problemen berichten. Er ist Seniorenbeirat in der ostfriesischen Gemeinde Rhauderfehn und hilft anderen bei der Anmeldung zur Impfung. Dabei kam es auch zu Pannen - etwa bei drei Frauen aus seiner Region. Sie hätten am 4. März das Schreiben mit der Einladung für ihre Impfung bekommen. Nur leider war der Termin bereits am Vortag. Und die Briefe waren auch erst am 3. März abgeschickt worden, wie der Poststempel zeigt.
Telefonchaos mit Ansage
Viele beklagten zudem, dass sie bei der Hotline nicht durchkämen, sagt Beutel. Die Landesregierung hatte im Vorfeld sogar angekündigt, dass die Kapazitäten nicht ausreichen würden. Die Hotline werde anfangs dem Ansturm nicht gewachsen sein, sagte der Leiter des Krisenstabs im Januar. Als dann Niedersachsen am 28.1. die Anmeldungen für die Über-80-Jährigen freigab, brach tatsächlich das Telefonsystem zusammen. 700.000 Anrufversuche verzeichnete das System allein in der ersten Stunde. In den folgenden Tagen scheiterten etliche Millionen Anrufversuche.
Für die Hotline hatte die Firma Majorel nach eigenen Angaben damals 150 Mitarbeiter im Einsatz, wie mit dem Land abgesprochen. Damit hätte man bis zu 20.000 Anrufe am Tag bewältigen können. Allerdings leben in Niedersachsen mehr als 450.000 Menschen, die mindestens 80 Jahre alt sind und nicht in einem Seniorenheim leben - sich also selbst um einen Termin kümmern müssen.
Was machen andere Bundesländer besser?
Recherchen von NDR und "Süddeutscher Zeitung" zeigen, dass andere Länder mit größeren Call-Centern gestartet sind - etwa Baden-Württemberg. Das Land hatte im November ebenfalls ein Angebot von Majorel für die Impf-Hotline vorliegen. Die Firma bot nach Angaben des Sozialministeriums in Stuttgart an, das Call-Center für Baden-Württemberg mit 100 Vollzeitmitarbeitern zu betreiben - für elf Millionen Einwohnern. "Uns war klar, dass das nicht reicht", erklärt ein Sprecher des Sozialministeriums. Das Land entschied sich für einen anderen Anbieter, der fünfmal so viele Mitarbeiter bereitstellen konnte.
Und im Saarland konnten sich die Über-80-Jährigen bereits einen Monat früher als in Niedersachsen für die Impfung anmelden. Auch hier hatten sie anfängliche Probleme, aber schon Anfang Januar die Zahl der Mitarbeiter für die Hotline auf 120 aufgestockt - also fast so viele im Einsatz wie in Niedersachsen mit seinen acht Mal so vielen Einwohnern drei Wochen später eingesetzt wurden.
Und beim Impftempo hinkt das Land auch hinterher. In einigen Ländern wie dem Saarland, Thüringen oder Bremen wurden bereits etwa 15 Dosen pro 100 Einwohner verabreicht, in Niedersachsen sind es aktuell 12,8. Damit liegt es unter dem Bundesdurchschnitt.
Janssen-Kucz: "Mehr als holprig"
Das Terminmanagement verlaufe "mehr als holprig", kritisiert Meta Janssen-Kucz. Sie sitzt für die Grünen im niedersächsischen Landtag. Und selbst die CDU, Koalitionspartner der SPD in Niedersachsen, ist offenbar unzufrieden mit der Wahl des Dienstleisters. In einer Sitzung des Sozialausschusses Anfang März fragte ein Unions-Abgeordneter, ob man den Dienstleister noch wechseln könne. Das SPD-geführte Sozialministerium lehnte ab.
Allerdings ist den Abgeordneten nach wie vor unklar, nach welchen Kriterien die Firma ausgewählt wurde. "Wir haben nie erfahren, wer, wie oder welche Firmen in welchen Verfahren beauftragt werden sollen", sagt Janssen-Kucz. Sie habe mehrfach danach gefragt, aber von der Regierung nie eine Antwort bekommen. Es ist also unklar, nach welchen Kriterien der Dienstleister ausgewählt wurde und wie die Vergabe verlief.
Mehrere Bewerber
Das niedersächsische Sozialministerium teilte auf Anfrage des NDR mit, man habe mit Majorel einen "erfahrenen niedersächsischen Dienstleister gefunden". Das Unternehmen habe sich initiativ beworben und beim anschließenden Auswahlprozess durchgesetzt. Andere Firmen seien für das gesamte Leistungspaket nicht in Betracht gezogen worden. "Ernsthafte Angebote anderer Firmen lagen im Zeitraum Ende November nicht vor", so das Ministerium.
Dabei haben nach den Recherchen von NDR und SZ auch andere Firmen Angebote abgegeben, etwa der Tickethändler Eventim CTS, der in Schleswig-Holstein die Terminvergabe übernommen hat. Ein Sprecher des Unternehmens sagte, es habe im November allen Bundesländern ihr System angeboten. Auch die Firma Doctolib, die für Berlin und ganz Frankreich die Termine organisiert, hatte nach eigenen Angaben allen Ländern ein Angebot unterbreitet.
Warum fiel die Wahl auf Majorel?
Offiziell verkündet wurde die Wahl von Majorel jedenfalls Mitte Dezember im Sozialausschuss des Landtags. "Das ist ein sehr professioneller Dienstleister", erklärte dort der Ausschuss-Vorsitzende Holger Ansmann (SPD). Er kennt die Firma sehr gut. Denn er war mehr als 25 Jahre lang, bis Oktober 2020, Geschäftsführer des Technologie-Centrums Nordwest (TCN) in der Kleinstadt Schortens in Friesland. Genau dort, in dem Technologie-Centrum, hat die Majorel Wilhelmshaven GmbH ihren Sitz. Die Firma ist einer der größten Arbeitgeber in der strukturschwachen Region. Majorel sei eine "gute Wahl", erklärte Ansmann der Wilhelmshavener Zeitung. "Ein Auftrag des Landes Niedersachsen für Arbeit in Niedersachsen - das ist eine gute Sache."
Nach Recherchen von NDR und SZ war es auch Ansmann, der die Firma und das Sozialministerium zusammengebracht hat. "Ich habe die Landesregierung auf das allgemeine Dienstleistungsangebot von Majorel hingewiesen und den Kontakt für ein erstes Gespräch hergestellt", bestätigte Ansmann auf Anfrage. An diesem ersten, etwa 30-minütigen Gespräch habe er teilgenommen, danach sei er aber nicht mehr an den Verhandlungen beteiligt, sagt Ansmann. Auch das Ministerium und Majorel bestätigen dies. Das erste "kurze Vorstellungsgespräch" fand demnach am 11. November statt. "Eine weitere Beteiligung von Herrn MdL Ansmann über die reine Kontaktanbahnung hinaus an den Inhalten des Vorstellunggesprächs sowie an den Vertragsverhandlungen hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben", schreibt das Sozialministerium. Abgeschlossen wurde der Vertrag am 14. Dezember.
Manche warten immer noch auf einen Termin
Die Frage, ob auch der Standort und die Arbeitsplätze bei der Entscheidung eine Rolle gespielt haben, verneint das Sozialministerium. Dass es sich um ein niedersächsisches Unternehmen gehandelt habe, sei zwar "erfreulich", aber nicht ausschlaggebend gewesen. Zu den Problemen bei der Hotline und der Terminvergabe teilte es mit, dies seien "Probleme der Vergangenheit". Insgesamt sei die Impfkampagne inzwischen "stabil organisiert". "Wir stehen in einem ständigen Austausch mit unserem Dienstleister, damit die Prozesse und Abläufe rund um die Terminvergabe weiter reibungslos laufen", so das Ministerium. "Kommt es vereinzelt zu Schwierigkeiten, sind sie in der Regel technischer Natur und können zügig behoben werden." Auch die Zahl der Hotline-Mitarbeiter wurde laut Majorel inzwischen auf mehr als 700 aufgestockt.
Dennoch warten einige, die eigentlich schon an der Reihe gewesen wären, immer noch auf einen Termin, etwa Torben Fedder. Er ist Physiotherapeut in Hannover und laut Impfverordnung eigentlich in der ersten Prioritäts-Gruppe, weil er Hausbesuche bei besonders gefährdeten Patienten macht. Doch wochenlang hat er keinen Weg gefunden, sich für eine Impfung anzumelden. Online konnte er sich zunächst nicht eingetragen, weil er nicht über 80 Jahre alt ist. Auch bei der Hotline wurde er abgewiesen. Selbst beim Gesundheitsamt kam er nicht weiter. "Ich habe alles probiert, keine Chance", sagt Fedder. Erst Mitte März, als die Anmeldungen für die zweite Prioritätsgruppe freigeschaltet wurden, konnte er sich auf die Warteliste setzen lassen. Wann er dran kommt, weiß er noch nicht.