Heimlicher Wirtschaftskrieg: USA wollen deutsche Pipeline verhindern
Angela Merkel war sichtlich bemüht, Ruhe auszustrahlen. Sie und US-Präsident Donald Trump seien im regen Austausch. Sie könne den Präsidenten alles fragen. Als Merkel auf der Pressekonferenz im Weißen Haus rumdruckste, ging es auch um ein großes Streitthema zwischen den USA und Deutschland: "Nord Stream 2".
Amerika will die 1.200 Kilometer lange Gas-Pipeline zwischen Deutschland und Russland unbedingt verhindern. Europa gerate durch die Gas-Leitung in russische Geiselhaft, so die Logik. Sie spalte Europa und stärke Russlands schlechten Einfluss in der Region. "Wir fordern daher die US-Regierung auf, alle zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um den Bau von 'Nord Stream 2' zu verhindern", forderten unlängst 39 US-Senatoren, Demokraten und Republikaner, in einem Brief. Und Donald Trump wetterte im April gegen das Projekt: "Deutschland zapft mit einer Pipeline russisches Gas an und pumpt Milliarden Dollar nach Russland. Das ist nicht richtig", sagte er.
Sanktionen und Prozesse drohen
Wie ernst den Amerikanern das Thema ist, zeigt sich daran, dass "Nord Stream 2" sogar im Sanktionsgesetz auftaucht, mit dem die Amerikaner offiziell ihre Erzfeinde aus dem Iran, Nordkorea und Russland bekämpfen wollen. In einer Unterklausel heißt es, die US-Regierung solle sich gegen die Pipeline "Nord Stream 2" einsetzen. Sie erlaubt Sanktionen gegen Unternehmen, die sich am Bau und der Finanzierung der Pipeline beteiligen.
Die Deutsche Wirtschaft ist deshalb in Aufruhr, denn neben BASF ist auch der Düsseldorfer Energieerzeuger Uniper an dem Milliardenprojekt beteiligt. Diesen Unternehmen könnten in Zukunft hohe Strafen drohen, wie sie in ähnlichen Fällen schon europäische Banken zahlen mussten. "Meist ist es ja dann so, dass amerikanische Behörden Ermittlungsverfahren einleiten und große, kostspielige Prozesse in den USA drohen und damit auch die Tätigkeit auf dem US-Markt sehr stark in Frage gestellt wird. Das ist etwas, was die Unternehmen vermeiden wollen", sagt Michael Harms vom Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Es herrsche große Verunsicherung: "Das ist natürlich Gift für jedes langfristige strategische Engagement."
Deutsche Unternehmen weiter für den Bau
Uniper und BASF sprechen sich weiter eindeutig für den unveränderten Bau von "Nord Stream 2" aus. Die Unternehmen bestätigten Panorama-Informationen, wonach die Vorstandsvorsitzenden von Uniper und der BASF-Tochter Wintershall in die USA gereist waren, um mit Regierungsvertretern über das Thema "Nord Stream 2" zu sprechen. Allerdings überlegen nach Recherchen von Panorama deutsche Banken bereits, aus der Finanzierung der Gasleitung auszusteigen. Das Projekt könnte so am Druck aus den USA scheitern.
Und tatsächlich lud im März das "Atlantic Council", eine US-amerikanische Denkfabrik, zu einer Nord-Stream-Konferenz nach Washington ein. Dort bestätigte die US-Diplomatin Sandra Oudkirk, im State Department für den Kampf gegen "Nord Stream 2" zuständig, dass es für die deutschen Unternehmen ein "Sanktionsrisiko gäbe, das Sie in ihre Kalkulation einpreisen müssen": eine unverhohlene Drohung. Der Energiebeauftragte des Atlantic Council, der ehemalige US-Botschafter Richard Morningstar, bestätigte im Interview: "Das kann einen Effekt haben auf europäische Firmen, die an der Pipeline mitarbeiten. Das würde die Beziehungen zwischen den USA und Europa sehr belasten."
"Deutschland attraktiver Markt für uns"
Doch der Kampf der USA gegen "Nord Stream 2" regt deutsche Wirtschaftsbosse wohl noch aus einem ganz anderen Grund auf: Er ist nicht ganz uneigennützig. Unter den Senatoren etwa, die gegen "Nord Stream 2" zu Felde ziehen, sind auffällig viele aus Bundesstaaten, in denen Fracking-Gas gefördert wird. Für ihre heimische Industrie würde das Ende von "Nord Stream 2" einen wirtschaftlichen Konkurrenten weniger in Europa bedeuten. Die USA bauen in Texas ein LNG-Terminal nach dem anderen. LNG steht für "Liquefied Natural Gas", auf Deutsch Flüssigerdgas. Mit der LNG-Technik können sie Gas verflüssigen und weltweit exportieren - auch nach Europa. "Wir produzieren mehr Gas, als wir brauchen. Daran wird sich in den nächsten 40 Jahren nichts ändern", beschreibt der Washingtoner LNG-Lobbyist Charlie Riedl vom Center for Liquefied Natural Gas (CLNG) die Aussichten seiner Industrie. Man wolle den Export nach Europa gerne ausweiten: "Deutschland ist ein sehr attraktiver Markt für uns."
"America First" - auch beim Gas
Aber kann das sein? Die Amerikaner wollen eine deutsch-russische Gasleitung verhindern, um mehr eigenes Gas zu verkaufen? Was platt klingt, steht genauso im Sanktionsgesetz des US-Kongresses. Dort heißt es in der Passage, in der "Nord Stream 2" explizit erwähnt wird: "Die Regierung der Vereinigten Staaten legt größten Wert auf den Export amerikanischer Energieträger. Und auf die Schaffung amerikanischer Jobs." Michael Harms vom Ostausschuss ist von dieser Formulierung irritiert: "Das ist sehr ungewöhnlich. Die dort hergestellte Konnotation mit dem verstärkten Verkauf von amerikanischem LNG nach Europa ist von einer bemerkenswerten Offenheit. Das passt eigentlich schlecht zu einem außenpolitisch motivierten Sanktionspaket. Wir kritisieren, dass sicherheitspolitische Ziele mit Wirtschaftsinteressen verknüpft werden."
Der ehemalige amerikanische Diplomat Richard Morningstar gibt zu, die Formulierung sei "unglücklich". Denn so würde tatsächlich der Eindruck entstehen, die USA seien gegen "Nord Stream 2", um mehr US-Gas zu verkaufen, was Morningstar bestreitet. Harms und mit ihm nicht wenige andere aus der deutschen Wirtschaft sind hingegen überzeugt, dass die Amerikaner hier ihr Eigeninteresse durchdrücken wollen.
Bundesregierung uneinig - Scholz widerspricht Merkel
Ob Merkel bei ihrem Besuch in Washington "Nord Stream 2" vor Übergriffen der Amerikaner schützen konnte, ist nicht bekannt. Fakt ist, dass die Bundesregierung keine einheitliche Position vertritt. Nachdem Kanzlerin Merkel "Nord Stream 2" lange als reines Wirtschaftsprojekt bezeichnet hatte, schwenkte sie um und sagte, dass "natürlich auch politische Faktoren zu berücksichtigen sind". Vize-Kanzler und Finanzminister Olaf Scholz widersprach der Kanzlerin: "Es handelt sich bei 'Nord Stream' um eine rein privatwirtschaftliche Entscheidung." Tatsächlich könnte der Bau der Pipeline noch scheitern. Ein Uniper-Sprecher sagte gegenüber Panorama: "Die aktuelle Sanktionsspirale in der Weltpolitik verfolgen wir mit einem sehr unguten Gefühl. Wir hoffen auf eine schnelle Einsicht aller Beteiligten, dass es immer besser ist, auch wieder zu deeskalieren."