Das Ende der bekannten Welt
Was immer man vom Wahlsieg Donald Trumps hält: Unvorhergesehen und erschütternd ist er allemal. Er beruht maßgeblich auf seinem geradezu spektakulären Erfolg bei einer bestimmten Gruppe von Wählern: Seine Unterstützung bei weißen männlichen Wählern ohne Universitätsabschluss lag laut den Wählerbefragungen unmittelbar nach der Wahl ("Exit Polls") bei sagenhaften 67 Prozent. Clintons ähnlich hohe oder teilweise noch höhere Werte bei Schwarzen (88%), Latinos (65%) und Asiaten (65%) reichten nicht, um diesen Nachteil aufzuwiegen.
Insbesondere reichten sie nicht in jenen Staaten des Nordostens und mittleren Westens, die das Herz der einstmals stolzen amerikanischen Stahl- und Autoindustrie sind. Die gewerkschaftlich organisierten, vernehmlich weißen Arbeiter des "rust belt" ("Rostgürtel") wählten früher nahezu geschlossen demokratisch. Doch diese Männer in Michigan, Pennsylvania, Ohio und Wisconsin verweigerten der demokratischen Kandidatin Clinton dieses Mal die Zustimmung. In Michigan und Wisconsin hatte Clinton auch schon die Vorwahlen gegen ihren demokratischen Kontrahenten Sanders verloren.
Wut auf Politik und Medien
Die Gründe dafür werden ausführlich diskutiert - nicht nur in den USA. Für die einen hat sich eine politische, kulturelle und mediale Elite völlig abgekoppelt von der Realität der einfachen Menschen. Diese eint eine Wut auf Politik und Medien - ja, auf alle Repräsentanten eines Establishments, von dem sie sich nicht mehr vertreten fühlen. Vokabeln wie "Lügenpresse", "Systemmedien", "Politikerkaste", "Altparteien" und "Gutmenschen", die früher nur am äußersten rechten Rand ihren Platz hatten, werden von der AfD und ihren Anhängern in den politischen Mainstream gespült.
Auch beim Brexit spielten die ehemaligen Kohle- und Stahlreviere Nordenglands eine entscheidende Rolle - auch hier überlagert ein fremdenfeindlicher Diskurs die Debatte. Für Frankreich hat der Soziologe Didier Eribon hat in seinem autobiographischen Buch "Rückkehr nach Reims" sehr eindrücklich ähnliche Mechanismen beschrieben. Als sein Vater stirbt, kehrt er nach Jahrzehnten in seine nordfranzösische Heimat zurück – und stellt fest, dass seine einstmals stramm kommunistisch wählende Arbeiterfamilie mittlerweile mehrheitlich beim rechtsextremen Front National gelandet ist.
Leerstelle wird von Rechtspopulisten gefüllt
Eribon macht die politische Linke dafür verantwortlich, da sie vergessen habe, was ihre Aufgabe sei, nämlich "den Beherrschten eine politische Stimme zu geben". Mit ihrem Gang in die "Neue Mitte" habe sich die Linke einen Bärendienst erwiesen. Es sei "nicht mehr von Ausbeutung und Widerstand die Rede, sondern von 'notwendigen Reformen' und 'Umgestaltung' der Gesellschaft". Die entstandene Leerstelle werde von Rechtspopulisten aufgefüllt: Während man sich früher über seine Zugehörigkeit zur "Arbeiterklasse" definierte, sei man heute an erster Stelle "Franzose" - womit eine Abwertung von "Ausländern" und anderen Gruppen einhergehe. Mit anderen Worten: Den Verlierern zahlreicher "Sozialreformen" wurde von den Rechtspopulisten ein neues identitäres Angebot gemacht, und zwar ein nationalistisch-chauvinistisches.
Dieser Befund kommt einem aus deutschen Debatten vertraut vor: Die Regierung verkauft ihre Politik als "alternativlos" - und eine ganz große Koalition von CDU bis zu den Grünen einigt sich in Bundestag und Bundesrat darauf, was "das Beste für alle" ist. Doch wer sich in zwei Jobs abstrampelt, um über die Runden zu kommen, wer sich keinen Urlaub leisten kann, wer 400 Kilometer am Tag "pendelt", um einer Arbeit nachzugehen, wer zwischen Mini-Job und HartzIV eingeklemmt ist – der oder die kann und wird schlechterdings nicht unterschreiben, dass die herrschende Politik gleichzeitig "das Beste für alle" sei. Denn dem widerspricht die eigene Lebensrealität. Von diesem Befund bis zu einem Vertrauensverlust in eine als "verlogen" wahrgenommene Politik ist es ein kurzer Weg. Genau hier findet man eine Erklärung für die unbändige Wut der Trump- und Le Pen- und Petry-Anhänger.
- Teil 1: Das Ende der bekannten Welt
- Teil 2: Sexismus und Rassismus als Markenzeichen