Siemens: Gewinne rauf, Mitarbeiter raus
Seinen Kritikern wirft Siemens-Chef Joe Kaeser einen Schwall Rekordzahlen an den Kopf: 6,2 Milliarden Euro Gewinn nach Steuern, Umsatzsteigerung um vier Prozent auf 83 Milliarden Euro. In den Büchern des Elektronikkonzerns stehen Aufträge im Wert von 128 Milliarden Euro. Außerdem sei Siemens von der amerikanischen Zeitschrift "Forbes" zum angesehensten Unternehmen der Welt gekürt worden. Mit einem "Was-wollt-Ihr-eigentlich?"-Gestus tritt der Vorstandsvorsitzende am 31. Januar vor die Öffentlichkeit und die Aktionäre.
"Was-wollt-Ihr-eigentlich?"-Gestus
So fest gefügt scheint sein Selbstbild vom Erfolgsmanager, dass Kaeser die zuletzt aufgeflammte Kritik an seiner Unternehmensführung nicht so recht verstehen mag. Dabei hat er Anlass genug gegeben für Protest. Der Chef des zweitgrößten Dax-Konzerns will die deutschen Standorte der Energietechniksparte "Power & Gas" zusammenstreichen. Auf der Aktionärsversammlung in München bekräftigte Kaeser, 3.000 Arbeitsplätze in diesem Unternehmensbereich abbauen zu wollen. Potenziell betroffen sind Siemens-Standorte wie Berlin, Erfurt, Leipzig, Offenbach und Mülheim an der Ruhr.
Wenige Tage zuvor hatte Kaeser beim Wirtschaftsgipfel in Davos am Abendbrottisch neben US-Präsident Donald Trump Platz genommen, diesen zur Senkung der Unternehmenssteuern in den Vereinigten Staaten beglückwünscht und diese Steuerreform als Grund angeführt, "die nächste Generation der Gasturbinen" in Charlotte im US-Bundesstaat North Carolina zu entwickeln.
Mitarbeiter bangen um ihre Arbeitsplätze
Panorama besuchte Siemens-Arbeiter in Berlin und Erfurt und hörte wütende bis fassungslose Reaktionen aus der Belegschaft, die jetzt um ihre Arbeitsplätze bangt. Reaktionen wie die von Betriebsrat Frank Zenner, der in der Endmontage im Siemens-Generatorenwerk Erfurt arbeitet. Seit 36 Jahren macht er das. Als er anfing, 1982, hieß das Werk noch Reparaturbetrieb Clara Zetkin. Mit der Wende kam der DAX-Konzern. Rheinischer Kapitalismus: Gute Arbeit, bescheidener Wohlstand, Reihenhaus. Zenner schickte auch seine beiden Jungs zum Lernen ins Werk, sein Bruder war eh schon da. "Das erfüllt uns schon ein bisschen mit Stolz, was wir hier geschafft haben", sagt er.
"Es ist enttäuschend, belogen zu werden"
Vor etwas mehr als zwei Jahren, im Sommer 2015, kam dann der Chef zu Besuch. Joe Kaeser, Herr über 370.000 Siemens-Mitarbeiter, zeigte sich beeindruckt. Erfurt sei eine Perle der Industrie, selten habe er derart motivierte Leute getroffen. So erinnern sich die Gelobten heute an seine Worte. Beim Rundgang durch die Fertigung unterhielt sich Kaeser kurz mit Zenner. Es gibt ein Foto von der Begegnung. Zenner in grüner Arbeitshose neben dem Konzernlenker im Anzug. Die Thüringer Allgemeine druckte es unter der Überschrift "Siemens-Chef: Erfurt bleibt als Standort". Kaeser habe "klipp und klar gesagt: Wir brauchen uns keine Sorgen machen", erinnert sich Zenner. Nach dem Auftritt von Kaeser neben Trump hat der Betriebstechniker aus Erfurt nur noch bittere Worte : "Es ist enttäuschend, gerade von so einem Mann belogen zu werden."
Ein Siemens-Sprecher verneinte auf Anfrage von Panorama, dass "Verlagerung" von Produktion in die Vereinigten Staaten geplant sei. In Bezug auf das Werk in Erfurt würden "mehrere Optionen" geprüft. "Dazu sind wir im Dialog mit den Arbeitnehmervertretern."
Verlagerung der Jobs - in die USA
"Im Ergebnis" bedeute diese Entscheidung "eine Verlagerung" von Jobs aus Deutschland in die USA, meint Werner Fembacher. Der Physiker aus Regensburg ist Siemensianer im Ruhestand. 26 Jahre hat er für den Konzern geforscht. Heute leitet er einen Verein von Belegschaftsaktionären. Eigentlich müsste Fembacher sich also über gute Zahlen, einen steigenden Aktienkurs und die auf 3,70 € je Aktie erhöhte Dividende freuen. Aber von Kaesers Begeisterung für die guten Zahlen mag er sich nicht anstecken lassen. Fembacher hat auf der Aktionärsversammlung sogar gegen die Dividendenerhöhung gestimmt.
Der Wissenschaftler sieht die geplanten Kürzungen im Bereich "Power & Gas" kritisch und begründet dies mit einem Verständnis vom Technologie-Unternehmen Siemens, das sich fundamental von dem "des Kaufmanns" Joe Kaeser unterscheide. "Das Problem aus Mitarbeitersicht ist doch, dass wir endogenes Wachstum wollen," sagt Fembacher im Panorama-Interview. "Wir wollen der Gestalter sein. Das waren wir auch bisher immer. Wenn man natürlich sagt, 'wir wollen nicht mehr gestalten, (...) wir sind nur noch an der Rendite interessiert', dann kann man das schon optimieren. Aber das ist eigentlich nicht das, was Siemens war. Und das, was die Mitarbeiter unter Siemens verstehen."
Kurzfristiger Gewinn vs. soziale Verantwortung
Physiker Werner Fembacher wirft der Unternehmensleitung vor, um des kurzfristigen Gewinns willen einen über Jahrzehnte gewachsenen und erfolgreichen Geschäftsbereich zusammenstreichen zu wollen. Unstrittig ist, dass die Nachfrage nach Gasturbinen in Deutschland und auf dem Weltmarkt nachgelassen hat und die Preise gesunken sind. Damit begründet Kaeser seine Kürzungspläne. "Die weltweite Nachfrage nach großen Gasturbinen ist - entgegen früherer Prognosen - drastisch gesunken", bekräftigt der Siemens-Sprecher.
Die Arbeiter im Gasturbinenwerk in Berlin betonen jedoch, die Arbeit sei nicht weniger geworden, im Gegenteil. "Wir haben in den Fertigungsbereichen gut zu tun, da dreht keiner Däumchen", sagt etwa Christian Gröchel aus der Endmontage. Der Erste Bevollmächtigte der IG Metall in Berlin, Klaus Abel, sieht gar die Sozialpartnerschaft infrage gestellt und kündigt im Interview weiteren Widerstand an.
Die Chefetage blende die zu erwartende Entwicklung auf dem deutschen und europäischen Strommarkt aus, so die Kritiker. "Gaskraftwerke werden in der Zukunft gebraucht," meint der pensionierte Siemens-Physiker Werner Fembacher. Daher werde die Nachfrage nach Siemens-Turbinen und -Generatoren wieder steigen.
Rückzug von Siemens "paradox"
Das sehen auch unabhängige Wissenschaftler so, wie der renommierte Umweltökonom Felix Matthes vom Öko-Institut in Berlin. Matthes analysiert seit Jahren die deutsche und internationale Energie- und Klimapolitik. Nach seiner Auffassung dürften Gaskraftwerke, die im Vergleich zu Kohlekraftwerken deutlich weniger CO2 in die Luft blasen, in den kommenden Jahrzehnten die Sonne- und Windenergie ergänzen.
"Wir brauchen in Deutschland und Europa deutlich mehr Gaskraftwerke und wir werden auch, zumindest in der Übergangsphase, mehr Strom aus Gas erzeugen", meint Matthes. "Das passiert paradoxerweise in der Phase, wo Siemens sagt, sie wollen raus aus dem Geschäft mit den Gasturbinen."
Ganz raus will Siemens offenbar nicht aus dem Geschäft. In den Vereinigten Staaten soll es ja ausgebaut werden. Wie klug ist es, auch um der geringeren Steuerlast willen, dem Lockruf des US-Präsidenten Donald Trump zu folgen? Und wie sozial, im selben Atemzug an deutschen Standorten Arbeitsplätze zu streichen? Siemens sei ein Unternehmen, "das der Gesellschaft dient", betonte Joe Kaeser auf der Aktionärsversammlung. Es gibt wenig Anlass zu der Vermutung, dass dies mehr ist als ein Lippenbekenntnis. Der Siemens-Sprecher betonte gegenüber Panorama, dass die Details des geplanten Arbeitsplatzabbaus noch nicht entschieden seien. Man sei in Gesprächen mit den Arbeitnehmervertretern.