Saarland: Der hochverehrte Ministerpräsident, der ein Nazi war
Uwe Loebens ist Journalist beim Saarländischen Rundfunk. Vor kurzem wagt Loebens in den Augen einiger wichtiger Saarländer etwas Ungeheuerliches. Er berichtet über die braune Vergangenheit des ehemaligen saarländischen Ministerpräsidenten Franz Josef Röder.
Danach hagelt es Protestbriefe - nicht nur aus der Bevölkerung, auch die saarländische Staatskanzlei schreibt an den Saarländischen Rundfunk. Die Staatskanzlei sieht in dem Radiobericht offenbar eine Majestätsbeleidigung, protestiert empört beim Sender: Röder sei kein Nazi. Die Staatskanzlei führt namhafte Professoren an, um zu belegen, dass man Röder "weder als Nationalisten noch als Nazi" bezeichnen könne. So wie auch eine Studie von Professor Norbert Frei, die zur "Objektivierung der Debatte“ beitragen könne. Der Radiobericht habe den Zuhörer mit einer "einseitigen Sichtweise" allein gelassen.
Historiker streiten über Röders Rolle
Freis Mitarbeiter Maik Tändler hat diese Studie verfasst. Ist sie ein Beleg, dass Röder kein überzeugter Nazi war? "Wenn man unsere Studie liest, dann wird man sicherlich nicht zu dem Schluss kommen, dass durch sie Röder von allen Vorwürfen und Anklagen jetzt in irgendeiner Form freigesprochen wird." Individuell könne Röder wie Millionen andere ehemalige Parteigenossen sagen, dass es auf ihn als Einzelnen nicht ankomme, auf der anderen Seite sei es natürlich so, dass gerade durch dieses millionenfache Mitmachen das System so stabil gewesen sei.
Die Staatskanzlei schreibt zu dem Brief: Man wolle sich einer Bewertung enthalten. Und überhaupt: Im Zweifel für den Angeklagten, also Röder. Wer war Franz Josef Röder? Er ist der Übervater des Saarlandes. 20 Jahre regierte der CDU-Politiker von 1959 bis 1979 das Bundesland und prägte es mit seiner Politik nachhaltig. Noch heute ist Röder in guter Erinnerung, zum Beispiel ist die Straße direkt vor dem saarländischen Landtag nach ihm benannt.
Der Oskar Schindler des Saarlands?
Was nicht so gerne erzählt wird: Röder trat bereits 1933 in die NSDAP ein, dazu ist er Mitglied in mehreren Vorfeldorganisationen der Nazis. Außerdem tat Röder Dienst im so genannten Ordnungsdienst im Saarland. Dieser Ordnungsdienst war nach Einschätzung von Historiker Tändler nichts anderes als eine "versteckte SA". Die paramilitärische Truppe hätte Veranstaltungen geschützt, aber auch politische Gegner eingeschüchtert. In dieser Truppe war Röder Mitglied.
Doch der saarländische Landesarchivar Peter Wettmann-Jungblut sieht Röders Rolle im Ordnungsdienst als gering an. Röder habe wohl nur Kurierdienste mit dem Motorrad geleistet, und da Röder an einer Herzerkrankung gelitten habe, sei eine Teilnahme an Schlägereien unwahrscheinlich. Auch die Mitgliedschaft in der NSDAP ist für Wettmann-Jungblut eher formaler Natur, zeige keine Überzeugung. "Es gibt ja auch genug Beispiele von Personen, die der NSDAP angehört haben, und trotzdem diese Ideologie nicht geteilt haben, Beispiel Oskar Schindler, Parteimitglied - und man würde ihn ja trotzdem nicht als überzeugten Nationalsozialisten charakterisieren wollen", so Wettmann-Jungblut.
Engagement für die NSDAP im Ausland
Röder ging mit seiner Familie 1937 als Lehrer an die deutsche Auslandsschule in Den Haag. Doch dort endete keineswegs sein Engagement für die Ziele des Dritten Reiches. Den Überfall der Wehrmacht auf die Niederlande rechtfertigte er in einer Zeitung propagandistisch mit dem Titel: "Hilferuf an das Reich". Auch wählte er für das Deutsche Reich linientreue niederländische Studenten für ein Studium in Deutschland aus. Und auch in der NSDAP engagierte sich Röder im Ausland: Er übernahm als Zellenleiter eine Funktion in der NSDAP. "Wenn man sehr aufmerksam die wenigen Quellen, die wir aus seiner Tätigkeit in den Niederlanden haben, durchliest, dann fällt einem schon auf, das hier ein Nationalsozialist tätig war, der überzeugt war von der Aufgabe, die sich das NS-Regime in den Niederlanden gesetzt hat", so Johannes Koll von der Wirtschaftsuniversität Wien, der über die deutsche Besatzung der Niederlande geforscht hat. Doch diese Erkenntnisse scheinen wenig Widerhall zu finden. Auch über 70 Jahre nach Adolf Hitler ist Aufklärung im Saarland offenbar noch notwendig.