Preisausschreiben unter Nazis: 'Warum sind Sie in der NSDAP?'
Der eine wollte mithelfen, dass "in unserem Vaterland wieder Ruhe und Ordnung einkehrt". Der andere traute den alten Parteien nicht mehr über den Weg, fühlte sich missbraucht als "Stimmvieh". Und wieder ein anderer interessierte sich für die Nationalsozialisten, weil er in der Presse nicht die Wahrheit erfahre und "Adolf Hitler und seine Bewegung in der Presse fürchterlich heruntergerissen" wurden. So beschreiben Deutsche im Sommer 1934, warum sie schon früh in die NSDAP eingetreten sind.
Dass ein Friedrich Jörns aus Eschwege bei Kassel, ein Ernst Seyffardt aus Duisburg und ein Lehrer Schwarz aus Obernhain im Taunus ihre Motivation zu Papier gebracht haben, ist einer bemerkenswerten Aktion des amerikanischen Soziologen Theodore Fred Abel zu verdanken.
Goebbels genehmigte Ausschreibung
Nach einem Besuch in Deutschland kam dem US-Wissenschaftler Abel die Idee, einen Wettbewerb unter Nazis zu starten. Zuvor hatte er vergeblich versucht, persönlich Kontakt zu Hitler-Anhängern aufzubauen. Der amerikanische Soziologe wollte nun "die beste persönliche Lebensgeschichte eines Anhängers der Hitler-Bewegung" prämieren. Voraussetzung für die Teilnahme war, dass man schon vor 1933 Mitglied der NSDAP gewesen ist. Als Preisgeld lockten insgesamt 400 Reichsmark, die Theodore Abel aus eigener Tasche finanzierte. Der Hauptgewinn betrug ganze 125 Reichsmark. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels erteilte überraschend eine Genehmigung für das Preisausschreiben. Viele in der Bevölkerung begrüßten die Idee. Hitler-Anhänger sahen hierin eine Gelegenheit, die im Ausland verbreiteten Vorurteile gegenüber der NSDAP abzubauen.
Verspottet, verlacht und ausgegrenzt
Vor 85 Jahren ist die NSDAP an die Macht gekommen. Vor 73 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Bis heute fragt man sich, wie es so weit kommen konnte. Die bei Abel eingereichten politischen Lebensläufe geben Hinweise darauf. Die Anhänger schildern in ihren Briefen voller Stolz, wie sie schon zu Beginn der Hitler-Bewegung dabei waren. "In meinem Dörfchen war ich der erste Parteigenosse", schreibt etwa Lehrer Schwarz. Andere schildern, wie sie anfangs von Familie, Freunden und Arbeitskollegen verspottet, verlacht und ausgegrenzt wurden. Sie schreiben, dass sie ihre politische Ideologie in der Anfangszeit versteckten und sich heimlich zu Versammlungen schlichen, weil ihnen sonst Entlassung, der Boykott ihres Geschäfts oder körperliche Angriffe drohten.
Aus wenigen Anhängern wurden immer mehr
Aus den wenigen Anhängern wurden immer mehr. Ihre "Freude war unbeschreiblich", als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde. "Jetzt wussten wir, dass es mit der Macht der schwarzen und roten Bonzen vorbei war. Dass ein neues Deutschland geschaffen werden würde". So schrieb es damals Fritz Hafkesbrink aus Oberhausen. Weitere wiederkehrende Motive der Biogramme sind ein angeschlagener Nationalstolz, die Wut auf die alten Parteien und die Angst vor sozialem Abstieg. Aber auch die Angst vor den Fremden im Land, "wo deutsche Frauen und Mädchen von schwarzen Bestien (...) ungestraft geschändet werden konnten".
683 Nazis beteiligten sich
Den Aufruf zum Wettbewerb verbreitete Abel über die Parteipresse der NSDAP und Aushänge in den Parteizentralen im ganzen Land. Jeder Lebenslauf sollte unter anderem Angaben zu familiärem Hintergrund, Beruf, Ausbildung und der Rolle im ersten Weltkrieg enthalten. 683 Nazis haben 1934 mitgemacht und Abel teils maschinengeschriebene, teils handschriftliche Lebensläufe in der Länge von einer bis 80 Seiten geschickt. Abel arbeitete damals als Soziologe an der Columbia Universität in New York. Die Lebensläufe dienten ihm als Grundlage für sein Buch: "Why Hitler Came into Power: An Answer Based on the Original Life Stories of Six Hundred of His Followers". Die Hoover Institution der Stanford University hat diese "Biograms" inzwischen digitalisiert und mehr als 3.700 Seiten online gestellt.