Stand: 24.04.2015 12:39 Uhr

Wohltäter Hitler: Besuch bei Auschwitz-Leugnern

von Robert Bongen & Julian Feldmann

"Ich möchte wissen, wo die angeblich sechs Millionen Menschen umgebracht worden sind", ruft der Mann seinen Kameraden zu. "Warum bin ich jahrzehntelang belogen worden?" Der Mann, der hier offenkundig den Holocaust in Frage stellt, ist Hans Püschel, Vorsitzender der NPD-Fraktion im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt. Er hat Gleichgesinnte in eine Kneipe in Naumburg an der Saale geladen, um über "Auschwitz und die Meinungsfreiheit" zu diskutieren - in einer Zeit, in der Überlebende und Angehörige zum 70. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager der Opfer gedenken.

Hintergrund
Ursula Haverbeck © Screenshot

Plattform für Holocaust-Leugner?

Für Ursula Haverbeck hat die Massenvernichtung der Juden nicht stattgefunden. Panorama dokumentiert hier umfangreich die Weltsicht einer Holocaust-Leugnerin. Warum? mehr

Norbert Frei

"Da kann man eigentlich nur den Kopf schütteln"

Wie kommen Rechtsextremisten dazu, eine seriöse Quellenedition als Beleg für die Nichtexistenz des Holocaust zu nehmen? Historiker und Herausgeber Norbert Frei im Gespräch mit Panorama. mehr

Ursula Haverbeck © Screenshot
2 Min

Die verqueren Gedanken der Ursula Haverbeck

Vernichtungslager? Holocaust? Gaskammern? "Man kann doch nicht erwähnen, was es nicht gab", sagt Ursula Haverbeck, mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilt. 2 Min

Ermittlungen gegen Haverbeck

Mit im Saal auch weitere NPD-Politiker, darunter Landesvorstandsmitglied Steffen Thiel, der unlängst die Proteste gegen das Flüchtlingsheim in Tröglitz organisiert hatte. Gemeinsam mit der bekannten Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck will Püschel neue Beweise dafür vorlegen, dass die Massenvernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten nicht stattgefunden habe.

Die 86-jährige Frau aus dem westfälischen Vlotho, einst Mitbegründerin des mittlerweile verbotenen geschichtsrevisionistischen Schulungszentrums "Collegium Humanum", hat unlängst mit einem Internetvideo auf ihrer Homepage für Aufsehen gesorgt. Darin behauptet sie: "Der Holocaust ist die größte und nachhaltigste Lüge der Geschichte." Als "umwerfenden Beweis" dafür feiert sie vor allem ein Buch, das sie vor einiger Zeit entdeckt habe: Die "Standort- und Kommandanturbefehle des Konzentrationslagers Auschwitz 1940-1945", eine Quellensammlung des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, in der die Befehle für die SS-Wachmannschaften zusammengetragen sind. Inzwischen wird deshalb gegen sie ermittelt.

VIDEO: Wohltäter Hitler: Besuch bei Auschwitz-Leugnern (10 Min)

Zitate und zynische Kommentare

Auch bei der Veranstaltung in Naumburg steht dieses Buch im Mittelpunkt. Haverbeck und Püschel - beide bereits wegen Volksverhetzung verurteilt - verkünden, dass dies "das letzte Puzzlestück" sei, das fehlte, um zu belegen, dass Auschwitz ein Arbeits- und kein Vernichtungslager gewesen sei. "Alle Kräfte dort waren eigentlich unentbehrlich für die Rüstungsindustrie", sagt Haverbeck. Von Gaskammern sei da nicht die Rede, vielmehr sei mit den Gefangenen ordentlich umgegangen worden.

Die Zitate liefern sie gleich mit - samt kaum zu ertragender zynischer Kommentare. In einem Befehl heiße es, liest Püschel vor, dass darauf zu achten sei, dass die Gefangenen sieben bis acht Stunden Ruhe haben, um ausgeruht ihre Arbeit wieder beginnen zu können. Und frotzelt: "Das habe ich selber selten genug gehabt“. Jede Woche sei einmal ein Fußappell zu machen, zitiert er weiter und verhöhnt die Auschwitz-Opfer: "Die Häftlinge haben also die Füße vorzuzeigen, dass sie sauber und gesund sind, weil es viele von sich aus wahrscheinlich nie gemacht oder nur einmal im Monat die Füße gewaschen hätten, sonst wäre so eine Anordnung nicht notwendig gewesen.“ Kranke Häftlinge seien rechtzeitig herauszuziehen: "Lieber bei entsprechender ärztlicher Behandlung eine kurze Zeit im Krankenbau und dann wieder gesund an den Arbeitsplatz als eine lange Zeit ohne Arbeitsleistung am Arbeitsplatz belassen", referiert er. "Das würde ich mir heute wünschen, wo viele Leute aus Angst um den Arbeitsplatz weiter arbeiten, damit sie ihren Arbeitsplatz nicht verlieren."

Die bizarre Schlussfolgerung von Haverbeck und Püschel: Wo gearbeitet wurde, wurde nicht getötet. Schließlich herrschte deutsche Ordnung und Gründlichkeit. Ob die Herausgeber der "Standort- und Kommandanturbefehle" dies genauso sehen? 

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 23.04.2015 | 21:45 Uhr

Über Panorama

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Anja Reschke © Thomas & Thomas Foto: Thomas Lueders

60 Jahre Panorama

60 Jahre investigativ - unbequem - unabhängig: Panorama ist das älteste Politik-Magazin im deutschen Fernsehen. mehr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Panorama History Channel

Beiträge nach Themen sortiert und von der Redaktion kuratiert: Der direkte Einstieg in 60 Jahre politische Geschichte. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?