Auschwitz-Prozess eingestellt: Recht gebeugt?
Der Prozess endete mit einem Eklat: Nach mehreren Befangenheitsanträgen wurden drei Richter in Neubrandenburg ausgetauscht. Seit Beginn des Prozesses im Februar 2015, wurden Entscheidungen der Richter in Neubrandenburg immer wieder angezweifelt: Zunächst wollten die Richter das Verfahren nicht eröffnen, mussten erst durch eine höhere Instanz dazu aufgefordert werden. Die Richter hielten dann daran fest, dass der Angeklagte aufgrund seines hohen Alters nicht verhandlungsfähig sei, obwohl medizinische Gutachten zu anderen Ergebnissen kamen. Trotz anderslautender Entscheidungen einer übergeordneten Instanz wurden auch die Auschwitz-Überlebenden Walter und William Plywaski als Nebenkläger nicht zugelassen.
Verfahren nach zwei Jahren eingestellt
Die Richter schienen nicht willens, den Prozess gegen Z. führen zu wollen, so die Staatsanwaltschaft Schwerin. Das bedeutete konkret: Es wurden keine Zeugen gehört oder Beweise aufgenommen, die die Schuld des Angeklagten hätten belegen können. In den zweieinhalb Jahren Verfahrensdauer wurde an nur vier Tagen verhandelt. Staatsanwaltschaft und Nebenklage warfen dem Gericht vor, das Verfahren absichtlich in die Länge zu ziehen.
Das Verfahren gegen Hubert Z. kann nun aber trotzdem nicht weitergeführt werden. Der Angeklagte leidet unter fortschreitender Demenz. Nach zwei Jahren musste das Verfahren deshalb eingestellt werden. Der Anwalt von Hubert Z. erklärt im Interview mit Panorama 3, dass er Entschädigungen für den Angeklagten fordern werde. Für den ehemaligen Auschwitz-Häftling Walter Plywaski ist dies eine schwer erträgliche Vorstellung: "Das verschlimmert den Schmerz noch".
Keine Anhörung eines Historikers
Dem Angeklagten wurde in dem Prozess Beihilfe zum Mord in mindestens 3.681 Fällen vorgeworfen. Im August und September 1944 war er als Sanitätsdienstgrad im KZ Auschwitz-Birkenau tätig. In diesem Zeitraum kamen laut Anklage mehrere Züge mit Häftlingen an, die in den Gaskammern umgebracht wurden. Der Historiker Stefan Hördler sollte als Spezialist für das Personal in Konzentrations- und Vernichtungslagern vor Gericht gehört werden. Durch die Einstellung des Verfahrens kam es nicht dazu.
Sanitätsdienstgrade waren in den Holocaust involviert, erklärt der Historiker Stefan Hördler gegenüber "Panorama 3". Sie wurden im Umgang mit Zyklon B geschult, welches in Auschwitz-Birkenau bei der massenhaften Vergasung von Häftlingen benutzt wurde. Der Anwalt des Angeklagten erklärt auf Anfrage, dass diese Erkenntnisse seinen Mandanten nicht betreffen würden. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft weist er zurück: "In Bezug auf die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft ist mein Mandant unschuldig".
Richter folgten neuer Rechtsauslegung nicht
Die Staatsanwaltschaft Schwerin hatte wegen einer geänderten Rechtsauslegung den Prozess gegen Z. angestrengt. Seit der Verurteilung des Vernichtungslagerwachmanns John Demjanjuk durch das Landgericht München 2011 gilt nicht mehr, dass einem Beschuldigten eines NS-Verfahrens eine konkrete Beteiligung an einer konkreten Tötungshandlung in einem Vernichtungslager nachzuweisen ist. Die Richter in Neubrandenburg folgten dieser neuen Rechtsauslegung nicht.
Walter Plywaskis Anwalt hat nun die Berufsrichter wegen Rechtsbeugung angezeigt. Ein einmaliger Vorgang - noch nie wurden Richter in einem Holocaust-Prozess beschuldigt, das Recht gebrochen zu haben. Zu den Vorwürfen, die Richter hätten den Prozess verschleppt und damit eine Verurteilung des ehemaligen SS-Mannes verhindert, wollen die drei Richter keine Stellung nehmen. Die Staatsanwaltschaft Stralsund ermittelt und prüft, ob sie ein Verfahren gegen die drei Richter eröffnet.