Holocaust-Leugner missbrauchen Gröning-Prozess
Es war eine verstörende Szene, die sich letzte Woche vor der Ritterakademie in Lüneburg abgespielt hat: Im Gebäude beginnt die Verhandlung gegen Oskar Gröning, Dutzende Auschwitz-Überlebende sitzen dem früheren SS-Mann gegenüber - und draußen stellen Rechtsextremisten den millionenfachen Mord an den Juden infrage. Dabei sind NPD-Bundesvorstandsmitglied Thomas "Steiner" Wulff sowie die verurteilten Holocaust-Leugner Ursula Haverbeck und Arnold Höfs. Für sie ist der 93-Jährige unschuldig. Gröning stehe wegen etwas vor Gericht, was es gar nicht gegeben habe: "Auschwitz war kein Vernichtungslager", diktiert Haverbeck Journalisten aus dem Ausland in die Blöcke. "Auschwitz war ein Arbeitslager." Den Gerichtssaal dürfen die Rechtsextremisten nicht betreten, nach einer Weile schreitet die Polizei ein und erteilt Platzverweise.
Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen
Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen - so lautet die Anklage gegen Gröning. Der Mann aus der Nähe von Lüneburg hatte sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet und war dann als Buchhalter im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau eingesetzt. An der Rampe will er nur vereinzelt Dienst getan haben - dort, wo die Juden aus den ankommenden Eisenbahn-Waggons aufgeteilt wurden: die einen zur Zwangsarbeit, die anderen zur Vergasung. Für Ursula Haverbeck ist der Prozess gegen Gröning eine Inszenierung; sie vermutet, dass die Zeugen möglicherweise gekauft seien. Wohl gemerkt: Ein Großteil der Zeugen sind Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, die im Grauen ihre kompletten Familien verloren haben.
Seit Jahren zieht Haverbeck durch die Lande, tritt auf Veranstaltungen und Demonstrationen von Rechtsextremisten auf und stellt den Holocaust infrage. Ihr geschichtsrevisionistisches Schulungszentrum "Collegium Humanum" im westfälischen Vlotho wurde 2008 vom Bundesinnenministerium verboten. Mehrfach wurde sie wegen Volksverhetzung verurteilt. Das hinderte sie nicht daran, ihre Gesinnungsgenossen aufzurufen, zum Prozess gegen Oskar Gröning zu kommen, um gegen die "Ungerechtigkeit und juristische Willkür" zu kämpfen. Sie selbst schafft es am dritten Tag der Verhandlung sogar in den Gerichtssaal.
"Moralische Schuld"
Doch dann geschieht Bemerkenswertes: Gröning antwortet nicht so wie die meisten NS-Täter vor ihm. Er habe sich nicht vorstellen können, dass Juden aus Auschwitz jemals lebend herauskommen, sagt er. Er berichtet von Gaskammern, von Menschen, deren Schreie zunächst immer lauter wurden und dann immer leiser. Davon, wie ein SS-Rottenführer ein Baby mit voller Wucht gegen einen Lkw schlug. Erschütternde Details der Tötungsmaschinerie der Nazis in Auschwitz. Kaum zuvor hatte ein früherer SS-Mann vor Gericht zugegeben: Ja, das Grauen hat so stattgefunden. Gröning gesteht eine "moralische Schuld" ein und wendet sich ganz klar gegen die, die den Holocaust immer noch leugnen: "Die sind unrettbar verloren", ruft er dem Reporter auf dessen Nachfrage zu.
Erneut Anzeige wegen Volksverhetzung
Der Prozess gegen Oskar Gröning ist ein besonderer. Weil er wohl einer der letzten Auschwitz-Prozesse sein wird. Aber vor allem auch, weil der Angeklagte ein klares Signal an die aussendet, die den Holocaust immer bestreiten. Für Eva Mozes Kor, die gemeinsam mit ihrer Zwillingschwester als Zehnjährige den berüchtigten KZ-Arzt Mengele überlebt hat, ist das schon eine wichtige Botschaft, die von Lüneburg ausgeht: "Er war in Auschwitz und war Teil des Ganzen. Das, was er sagt, überzeugt all die Zweifler, all die jungen Neonazis viel mehr. Viel mehr, als wenn ich als Überlebende etwas sage."
Ursula Haverbeck wird wohl nicht mehr zu überzeugen sein. Wenn die Fakten nicht helfen, hilft nur noch die Polizei. Auch bei ihrem zweiten Besuch in Lüneburg erteilen ihr die Beamten einen Platzverweis. Und erstatten erneut Anzeige wegen Volksverhetzung.