"Ich halte das für absolut unmoralisch"
Die CumEx-Files haben politische Reaktionen in ganz Europa ausgelöst. Noch am Donnerstag meldete sich als erster Regierungschef der dänische Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen am Rande eines EU-Gipfels in Brüssel zu Wort. Die an Cum-Ex-Deals beteiligten Banker, Anwälte und Berater verurteilte er scharf: "Diese Menschen sind besser gekleidet als die meisten Kriminellen. Aber das ändert nichts daran, dass es schwerkriminelle Menschen sind." Rasmussen äußerte sich auch zur nun bekannt gewordenen Dimension der Geschäfte. "Dass das ein europäisches Problem ist, macht mich nur noch wütender", sagte er. Der Ministerpräsident sprach sich für mehr internationale Kooperation aus.
Cum-Ex Thema im EU-Parlament
Ähnlich äußerte sich der für Steuern zuständige EU-Kommissar Pierre Moscovici: "Ich halte das für absolut unmoralisch und die Bürger sind solche Geschäfte zu Recht leid. Deswegen brauchen wir eine bessere EU-weite Regulierung." Noch im Juni hatte die Europäische Kommission auf Nachfrage von ZEIT ONLINE darauf verwiesen, dass sie nicht für Cum-Ex und andere steuergetriebene Aktiengeschäfte zuständig sei. "Das fällt in die Kompetenz der Nationalstaaten", lautete die Antwort. Die Kommission befasse sich nur mit Steuerbetrug, wenn es sich um grenzüberschreitende Vorfälle handelt. Steuerrückerstattung falle nicht darunter.
Nun könnte sich das ändern. Das Europäische Parlament hat das Thema an diesem Mittwoch auf seine Tagesordnung gesetzt. Der Europäische Rat, also das Gremium der Staats- und Regierungschefs, sowie die Europäische Kommission werden sich erklären.
Grüne fordern Aufklärung
Sven Giegold, Finanzexperte der Grünen im Europäischen Parlament, fordert eine dringende Untersuchung des Steuerskandals. "Dieser Steuerskandal ist umso schädlicher, als öffentliche Institutionen nicht in der Lage oder nicht gewillt waren, den massiven Diebstahl von Steuergeldern zu stoppen", schrieb Giegold an die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde. Der Brief liegt ZEIT ONLINE vor. Seit 2017 kann die Europäische Finanzaufsicht schädliche Handelspraktiken verbieten, wenn sie die Integrität des Finanzmarkts beschädigen. "Der Cum-Ex-/Cum-Cum-Skandal stellt eine solche Bedrohung für die Integrität der Finanzmärkte dar", schreibt Giegold weiter.
Der Grünenpolitiker fordert zudem, die Finanzaufsicht und die Europäische Bankenaufsicht müssten mit Sonderkompetenzen ausgestattet werden, um den Skandal zu beenden. Die beiden Aufsichtsbehörden hätten dann das Recht, einzelnen Banken Anweisungen zu geben und die Marktaufsicht von den EU-Mitgliedsstaaten an sich zu ziehen. Solche Sonderrechte waren ursprünglich für schwere Krisenfälle gedacht und sind noch nie eingesetzt worden. "Wenn das Steuersystem aber derart ausgenutzt wird und Geschäfte gemacht werden, die einzig dazu gedacht sind, die Steuerkassen zu schädigen, dann ist das ein guter Grund, den Aufsichtsbehörden Sonderkompetenzen zu geben", sagte Giegold. Allerdings müsste eine Mehrheit der Mitgliedstaaten diesem Verfahren zustimmen.
Auch in den Niederlanden forderten Politiker der Koalition und der Opposition weitere Ermittlungen. In Belgien musste sich Finanzminister Johan Van Overtveldt dem Parlament erklären. In Österreich forderte die SPÖ den Finanzminister Hartwig Löger von der ÖVP auf, mehr Steuerprüfer und -prüferinnen einzustellen. Der französische Finanzminister Gérald Darmanin schrieb auf Twitter: "Wenn sich der Betrug bestätigt, werden wir rücksichtslos sein."
Finanzminister Scholz schweigt
Olaf Scholz, der deutsche Finanzminister, hat sich dagegen bislang nicht zu den Recherchen geäußert. Sie hatten ergeben, dass Deutschland seine europäischen Nachbarn erst 2015 über eine OECD-Datenbank vor Cum-Ex-Geschäften warnte, obwohl das Finanzministerium spätestens seit 2002 Bescheid wusste. Das BMF dementierte nicht, die Nachbarn erst ab 2015 gewarnt zu haben, teilte aber generell mit, dass man "in der Vergangenheit diverse Staaten, unter anderem auf deren Nachfrage hin, über die Verfahrensweise bei Cum-Ex-Geschäften informiert" habe. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick hat die Bundesregierung nun aufgefordert, offenzulegen, welche Länder sie wann vor Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäften gewarnt habe.
Bereits in der vergangenen Woche berichteten die ZEIT, ZEIT ONLINE und Panorama im Zuge einer Kooperation von 19 Medien aus zwölf Ländern unter Leitung des Recherchezentrums Correctiv, dass nicht nur Deutschland, sondern mindestens zehn weitere Staaten aus Europa Opfer der Finanzjongleure wurden und dass der Schaden bei mindestens 55 Milliarden Euro liegt.