Flüchtlingspolitik: Die Wut der Helfer
Eigentlich hat sich Elvira Bittner immer wohlgefühlt in Deutschland. Die Frau mit dem fränkischen Akzent und der sanften Stimme arbeitet als Gästeführerin in München, zeigt Touristen, wie schön ihr Heimatland ist. Aber in letzter Zeit kommt sie immer mehr ins Zweifeln. "Ich frage mich zurzeit ständig, ob das noch meine Heimat ist", sagt sie. "Aber ich frage mich das wahrscheinlich aus ganz anderen Gründen, als es jetzt in dieser offiziellen Debatte diskutiert wird."
Bittner hat das "Wir schaffen das" der Kanzlerin im Herbst 2015 ernst genommen, den Aufruf auch als Versprechen verstanden, dass Regierung und Bevölkerung an einem Strang ziehen. Sie geht in Flüchtlingsheime und gibt ehrenamtlich Deutsch-Nachhilfe, übersetzt kompliziertes Beamtendeutsch und begleitet Flüchtlinge zu Anhörungen und anderen Behördenterminen. "Ich habe gesehen, dass es ganz wichtig ist, dass da jemand mitgeht", sagt sie. "Weil die Leute völlig überfordert sind, schon allein von der Sprache her, das ist ja für Deutsche schon schwer genug."
Begrenzen, Rückführen, Härte zeigen
Doch der Staat, so scheint es, hält seine Versprechen nicht ein. Den Behördendschungel erlebt sie als immer undurchsichtiger, als Flickenteppich von Vorschriften und Verordnungen. Ablehnungen seien oft nicht nachvollziehbar, sagt Bittner, bürokratische Hürden viel zu hoch. Von Angela Merkels ursprünglicher Idee, manche Dinge etwas flexibler zu handhaben, ist nicht mehr viel übrig.
Schon wenige Monate nach der Ankunft der vielen Flüchtlinge an den deutschen Bahnhöfen hieß die Parole: Begrenzen, Rückführen, Härte zeigen. "Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung zur Rückführung derer, die abgelehnt wurden", verkündet Angela Merkel im Oktober 2016.
"Was für eine Steuerverschwendung"
Elvira Bittner und die anderen Ehrenamtlichen aber arbeiten weiter am Projekt Integration. Was bleibt ihnen anderes übrig? Doch das wird immer schwieriger. Etwa, weil viele Flüchtlinge nicht mehr arbeiten dürfen. "Wir lernen deutsch, schreiben Bewerbungen, haben Kontakte zu Arbeitgebern. Und dann war eigentlich alles umsonst, weil dann plötzlich ein Schreiben des Innenministeriums kommt: Sie dürfen nicht mehr", sagt Bittner. Und so war der ganze Papierkram, die Behördengänge, das viele Deutschlernen nutzlos. Sogar Flüchtlinge, die eine Ausbildung begonnen haben, sind wieder von Sozialhilfe abhängig.
"Was für eine Steuerverschwendung", findet Bittner. Erst bildet man teuer aus, dann verhindert man, dass die Leute arbeiten dürfen und macht sie wieder abhängig von staatlicher Alimentation. Ein befreundeter Helferkreis hat sich sogar an den Bund der Steuerzahler gewandt, der sich wiederum vom bayerischen Innenminister Aufklärung erbeten hat. "Diese Verschwendung passt nicht zum Selbstbild von Deutschland. Dass man vernünftig ist, dass man anständige Lösungen schafft", so Bittner.
Welche Werte sind wichtig und richtig?
Stattdessen entfacht Heimatminister Horst Seehofer die uralte Debatte über den Islam neu, ob er nun zu Deutschland gehört oder nicht. Er freut sich öffentlich, dass an seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen abgeschoben werden. Rettungsschiffe wie die "Lifeline" bezeichnet er indirekt als "Shuttle" zwischen Libyen und Südeuropa. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder lässt Kreuze in Behörden aufhängen, spricht von "Asyltourismus" und fordert Werteunterricht für Flüchtlingskinder. Eine Rhetorik, die Elvira Bittner wütend macht. "Was meint er denn mit 'Werten'?", fragt Bittner. "Werte sind für mich Menschlichkeit, Großzügigkeit, Offenheit, Solidarität, das spricht er aber nicht aus. Weil er genau weiß: Die sind ja gerade nicht gemeint." Sie findet es absurd, wenn die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin als zu positiv dargestellt wird. "Das stimmt ja schon lange nicht mehr", sagt Bittner. "Die Wende ist schon lange vollzogen."