Nazi-Terror: Die vergessenen Opfer
Zusammen mit allen Verfassungsorganen und 1.200 Gästen hat die Kanzlerin heute bei der ersten offiziellen Gedenkfeier für Opfer rechtsextremistischer Gewalt derjenigen gedacht, die vom "Nationalsozialistischen Untergrund" - der Zwickauer Terrorzelle - umgebracht wurden. Ihren 10 Opfern wurde gedacht, aber auch den anderen 48 Menschen, die nach offiziellen Angaben seit der Wende von Nazis ermordet worden sind. Laut Recherchen verschiedener Medien liegt die tatsächliche Zahl allerdings wesentlich höher: Mindestens 148 Nazi-Mordopfer gibt es demnach seit 1990 in Wirklichkeit – fast drei Mal so viele wie von den Behörden anerkannt. Was ist mit diesen weiteren Opfern? Die Politik hat sie offenbar einfach vergessen, Panorama geht ihrer Spur nach.
Todesfahrt durch Nordrhein-Westfalen
Es war einer der schlimmsten Tage in der Geschichte der Polizei Nordrhein-Westfalens seit dem Zweiten Weltkrieg: An einem Sommertag mit blauem Himmel und herrlichem Wetter im Juni 2000 halten zwei Polizisten in Dortmund den bekannten Neonazi Michael Berger an. Sofort und unvermittelt eröffnet Berger das Feuer auf die Beamten. Polizeikommissar Thomas G., Vater von zwei Kindern, stirbt noch am Tatort, seine Kollegin wird angeschossen und schwer verletzt.
Dann fährt der Nazi weiter. Im 20 Kilometer entfernten Waltrop sieht er einen zweiten Streifenwagen am Straßenrand stehen. Berger stellt seinen Wagen daneben und erschießt die beiden Polizisten im Fahrzeug mit gezielten Kopfschüssen, bevor er sich später schließlich selbst tötet. Am Abend des Sommertages findet die Polizei Bergers Fahrzeug mit seiner Leiche. Mit Aufklebern feiert die Nazi-Szene später den Mörder: "Berger war ein Freund von uns". Zynisch rechnen sie die drei toten Polizisten gegen den Mörder auf: "3 zu 1 für Deutschland", steht auch auf ihren Stickern.
Der Neonazi hatte sich auf eine solche Tat vorbereitet und war ein geübter Schütze. In seiner Wohnung finden Polizisten später ein ganzes Waffenarsenal. Dennoch tauchen die drei Ermordeten erstaunlicherweise bis heute in keiner Statistik über rechtsradikale Gewalt auf. Ihr Kollege Willi Puksic-Hower wundert sich darüber: "Wenn ich bewusst anhalte, obwohl die Ampel grün zeigt und dann ganz gezielt auf die Kollegen schieße, muss ich von einer Exekution sprechen. Ich bleibe dabei: Unsere Kollegin und unsere Kollegen wurden von einem Nazi erschossen."
"Umsonst gestorben"
Auch Heide Dannenberg wäre gern zur Gedenkveranstaltung für die NSU-Opfer eingeladen worden. Doch seit 12 Jahren trauert sie allein, offizielle Anteilnahme hat sie nie erfahren. Auch der Tod ihres Lebensgefährten ist bis heute nicht offiziell anerkannt: Helmut Sackers bewies am 29. April 2000 Zivilcourage und wurde deswegen von einem Nazi ermordet. Der 60-Jährige aus Halberstadt verblutete in seinem Treppenhaus, getötet mit vier Messerstichen. Der Täter: Nazi Andreas S., sein Nachbar.
Immer wieder hört der laut rechte Musik, auch an diesem Tag im April vor 12 Jahren. Helmut Sackers beschwert sich, eine Stunde später ist er tot. Der Täter jedoch sagt, er habe aus Notwehr gehandelt und wird aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Doch das Opfer ist unbewaffnet, der Täter hingegen trägt ein Messer mit einer 17 cm langen Klinge. Auch wegen seiner rechtsradikalen Gesinnung wurde Andreas S. angeklagt, aber nicht verurteilt - obwohl die Polizei 86 CDs und Schallplatten von Nazigruppen und Material der verbotenen Neonazigruppe "Blood & Honour" bei ihm gefunden hat.
Bis heute wird auch Helmut Sackers daher offiziell nicht als Opfer rechtsradikaler Gewalt anerkannt. Für seine Lebensgefährtin Heide Dannenberg unverständlich: "Ich wünsche mir, dass er für seine Zivilcourage diese moralische Anerkennung bekommt. Dann wäre Helmut nicht umsonst gestorben." Mindestens 89 weitere Fälle wie die des Helmut Sackers gibt es in Deutschland. Ihnen allen wurde in der offiziellen Gedenkveranstaltung mit Kanzlerin Merkel nicht gedacht - zumindest nicht offiziell.