Stand: 02.10.2016 15:30 Uhr

Unser Obama

von Kaveh Kooroshy
Der Schriftsteller Navid Kermani. © dpa
Wird als Bundespräsident-Kandidat gehandelt: Der Schriftsteller Navid Kermani.

Im Februar 2017 - rund sechs Monate vor der Bundestagswahl - muss sich die Bundesversammlung für ein neues Staatsoberhaupt entscheiden. Die Kandidatensuche hat längst begonnen und mit dabei ist der Name Navid Kermani. Der deutsche Schriftsteller, dessen Eltern im Iran aufgewachsen sind, würde von der neuen Rechten wohl als Provokation verstanden werden.

Politik für besorgte Bürger

Jürgen Elsässer, Herausgeber der "COMPACT", schrieb bereits: "Ein Muslim als Gauck-Nachfolger? Wollt Ihr uns verscheißern, Rot-Rot-Grün?" Jedenfalls wäre die Wahl Navid Kermanis die längst überfällige Antwort von Rot-Rot-Grün auf die AfD-Krise. Zu Zeiten brennender Flüchtlingsheime, Bombenanschläge auf Moscheen und Kanthölzer gegen Lokalpolitiker hat auch die Linke Deutschlands ihren Kompass verloren. Während die Fraktionsvorsitzende der Linken, Sahra Wagenknecht, vom Missbrauch des Gastrechts fabuliert und der Chef der SPD, Sigmar Gabriel, Pegida zuhören möchte, rätseln die Parteistrategen im Hintergrund über die Erfolge der AfD. Ein Grund: SPD und Linkspartei lassen sich die Themen von der AfD diktieren. Jeder Satz im Wahlkampf wird auf seine Wirkung auf AfD-Anhänger hin geprüft. Die AfD-Krise bewahrheitet sich darin, dass Politik nur noch in Bezug auf den so genannten besorgten Bürger gemacht wird.

Ein Signal für Chancengleichheit

Die Nominierung von Kermani zum rot-rot-grünen Kandidaten wäre die Emanzipation von der Themensetzung durch die AfD. Nach dem Motto: wen interessiert es schon, ob ein Verschwörungstheologe wie Elsässer sich "verscheißert" fühlt? Antriebsfeder linker Politik ist auch immer das Streben nach Chancengleichheit, nach gleichberechtigter Partizipation in der Demokratie und nach Solidarität mit denen, die weniger privilegiert sind. Kernbestand ist ihr Kampf für eine gerechtere Welt. Für all das stünde Navid Kermani: Für Chancengleichheit und dafür, dass hier jeder dazu gehört und mitmachen kann. Für ein Signal an alle religiösen Minderheiten dieses Landes, dass Religionszugehörigkeit in Deutschland nicht wieder zum Ausschlusskriterium wird.

Einheit in Vielfalt

Und der Kandidat Kermani wäre ein Symbol dafür, dass sich Deutschlands Linke, Demokraten, Humanisten, und Menschenrechtsfreunde positionieren: gegen den Nationalisten Viktor Orbán, den Hetzer Donald Trump und die Demagogin Frauke Petry. Die Nominierung würde sich in der Tradition des ersten schwarzen Präsidenten der USA, Barack Obama, verstehen, dessen historische Bedeutung für den Freiheitskampf der Schwarzen unvergleichlich ist. Sie würde an die Visionen des kanadischen Premierministers Justin Trudeau anknüpfen, der getreu dem kanadischen Selbstverständnis "Einheit in Vielfalt" sein Kabinett paritätisch besetzt hat. Und sie würde beweisen - wie es die Wahl von Sadiq Khan, dem Sohn pakistanischer Einwanderer, zum Bürgermeister Londons getan hat - dass Demokratie für alle gilt. Er wäre unser Obama!

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Das Erste | Panorama | 12.11.2013 | 22:45 Uhr

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