Stand: 19.04.2016 17:40 Uhr

Aufstieg auf dem Rücken der anderen - die historischen Vorbilder der AfD

von Stefan Buchen

Wir fangen jetzt nicht wieder von vorn an, im Jahre 1879. Die Geschichte wiederholt sich nicht. Das ist die gute Nachricht.

Zettelkästen als Fanartikel der afd. © picture alliance / dpa Foto: Martin Lejeune
Seit einigen Tagen wird in Deutschland über die antimuslimischen Äußerungen der AfD-Spitze debattiert.

Man muss allerdings dieser Tage von den Deutschen verlangen, sich zu erinnern. Die AfD, die "Alternative für Deutschland" will die Anti-Islam-Politik zum Kern ihres Parteiprogramms erheben. Die aufstrebende Partei definiert eine gesellschaftliche Gruppe als "Fremdkörper", der Deutschland bedrohe. Auf den Flügeln des Hasses, den sie so erzeugt, will sich die AfD in neue politische Höhen tragen lassen.

Eine solche Strömung könne sich "ihrem Wesen nach nur auf die niedrigsten Triebe und Instinkte einer rückständigen Gesellschaft stützen", sagte der Sozialdemokrat August Bebel vor mehr als 120 Jahren. Bebel meinte den Antisemitismus. Dieser spiegele die "moralische Verlumpung der ihm anhängenden Schichten" wider.

Antisemitismus als politisches Programm

Bebel reagierte auf ein neues politisches Credo in Deutschland. Parteien und Vereine waren seit 1879 aus dem Boden gesprossen, die den "Antisemitismus", eine damals völlig neue Wortschöpfung, zu ihrem politischen Programm erkoren hatten. "Die Antisemitische Volkspartei" warnte vor "gemeingefährlicher Einwanderung" von Juden "aus dem Osten". Der "Osten" war damals Russland. Die "Deutschsoziale Antisemitische Partei" redete Bauern, Arbeitern und Kleinbürgern ein, es werde ihnen besser gehen, wenn die Rechte der Juden beschränkt würden.

Der Publizist und Agitator Wilhelm Marr orakelte düster von der "Unterwanderung Deutschlands durch die Juden“ und hatte schnell Erfolg beim Publikum. Sein Pamphlet "Der Sieg des Judentums über das Germanentum", das Marr 1879 veröffentlichte, fand reißenden Absatz. Innerhalb weniger Jahre wurde diese deutsche Urschrift des modernen Rassenhasses auf die Juden zwölfmal aufgelegt. Deutschland müsse vor der "vollständigen Verjudung” gerettet werden, meinte Marr. Man müsse an die "Nachkommen der Urbewohner" denken, die ein "erträgliches Leben" verdient hätten. Deshalb müsse man dem "organisierten Judentum ein organisiertes Deutschtum entgegenstellen".

Weitere Informationen
Luftaufnahme des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme. © dpa-Bildfunk

Holocaust - Die Lüge von den ahnungslosen Deutschen

"Vom Holocaust haben wir nichts gewusst". Die Nachkriegs-Ausrede vieler Deutscher: eine Lebenslüge. Denn viele jubelten nicht nur Hitler zu, sondern halfen auch, die KZs zu füllen - durch gezielte Denunziationen. mehr

Lediglich die Schlagworte haben sich geändert

"Nie werden wir in allgemeiner Menschenverbrüderung künftig Botokuden und Hottentotten, Australneger und Juden liebend in unsere Arme schließen", hieß es in der Erklärung eines antisemitischen Vereins aus Hamburg. Die Schlagwörter haben sich geändert, die begriffliche Substanz nicht. Man sprach nicht vom "Ende der naiven Willkommenskultur", sondern von der Ausrottung des "internationalen Gedankens".

Wenn Marr agitierte und der angesehene Historiker Heinrich von Treitschke feststellte: "Die Juden sind unser Unglück", maßten sie sich einen aufklärerischen Gestus an. Die Antisemiten, wie sie sich stolz nannten, hatten den Anspruch, die Deutschen über eine drohende Gefahr "aufzuklären".  Sie behaupteten, im Gegensatz zu den "abgelebten Parteien" der Konservativen, Liberalen und Sozialisten diese Gefahr "erkannt" zu haben.  

Suche nach bedenklichen Stellen im Talmud

Die Antisemiten gaben Studien in Auftrag, den Talmud auf bedenkliche Stellen hin zu untersuchen, die belegen sollten, dass jüdisches Gedankengut mit deutscher Kultur nicht vereinbar sei. "Handbücher des Judentums" wurden erarbeitet, in denen die Antisemiten "die Gefahr", die die Juden darstellen, aus den historischen Quellen ableiteten. Aus der "jahrtausendealten Geschichte" des Judentums schlossen sie, dass "sein Aufgehen in den Völkern unmöglich" sei. "Aufgehen" heißt heute "Integration".

Die antisemitischen Parteien forderten, die Juden müssten ihre religiösen Riten aufgeben. Ansonsten müsste ihnen die in Folge der Französischen Revolution gewährte bürgerliche Gleichberechtigung wieder entzogen werden.

Vom 10. bis 12. September 1882 luden die deutschen Antisemiten europäische Gäste zum "Ersten internationalen antijüdischen Kongress" nach Dresden ein. Es kamen Delegationen aus Ungarn, Österreich und Russland. In der Abschlusserklärung hieß es: "Die Übermacht des Judentums zu brechen, ist unabweisliche Aufgabe der christlichen Welt."

Der Aufstieg der "Ein-Thema-Partei"

Beatrix von Storch © Andreas Kobs Foto: Andreas Kobs
Sind die antimuslimischen Äußerungen ein medienwirksamer Coup von Beatrix von Storch und der AfD?

Der Pfad, den Beatrix von Storch, Alexander Gauland und Marc Jongen betreten haben, ist in Deutschland schon einmal beschritten worden. Das sollten die Wähler bedenken, wenn von Storch von der "Unvereinbarkeit des Islam mit dem Grundgesetz" faselt und Gauland medienwirksam philosophiert, "der Islam ist intellektuell immer mit der Übernahme des Staates verbunden".  Es ist der Versuch, auf dem Rücken eines Hassobjekts politisch groß zu werden.

Die historischen Vorbilder der AfD hatten Ende des 19. Jahrhunderts mäßigen parteipolitischen Erfolg. Sie zogen zwar als Abgeordnete in den Berliner Reichstag und in Landesparlamente ein, blieben aber "Opposition". In Österreich schaffte es der Chef der "Christlichsozialen Partei", so nannten sich die Antisemiten dort, auf den Posten des Bürgermeisters von Wien. Karl Lueger regierte die Hauptstadt des Habsburgischen Reiches von 1897 bis 1910. Einmal an der Macht hielt sich Lueger mit konkreten Maßnahmen gegen Juden zurück. Sein Vermächtnis ist allerdings demonstriert zu haben, wie hoch man mit einer "Ein-Thema-Partei", die sich gegen den anderen richtet, kommen kann.

Wegbereiter des Führers

Das fiel auch einem von Luegers Bürgern in Wien auf. Adolf Hitler lebte dort am Ende von Luegers Regierungszeit in einem Männerasyl und versuchte sich als Künstler. In "Mein Kampf" analysiert Hitler später, dass Lueger sich die Empfänglichkeit des Volkes für antisemitische Gedanken geschickt zunutze gemacht habe. Auch die deutschen Antisemiten des späten 19. Jahrhunderts, von Wilhelm Marr über von Treitschke bis zum Hofprediger Adolf Stoecker, stiegen unter den Nationalsozialisten posthum in den Rang großartiger Wegbereiter des Führers auf.

Was in zwanzig Jahren sein wird, wissen wir nicht. Vielleicht ist der Spuk dann wieder vorbei. Aber in Deutschland hat niemand mehr das Privileg des unschuldigen Experimentierens. Wenn ein politischer Agitator fordert, "Minarette" müssten aus der Öffentlichkeit verschwinden,  dann muss man damit rechnen, dass eines Tages Minarette brennen werden.

Ursprünglich erschienen bei Qantara.de

Weitere Informationen
Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD in Thüringen beim AFD-Parteitag in Hannover. © dpa-bildfunk Foto: Julian Stratenschulte

AfD: Höckes Lehre von den Menschentypen

"Ausbreitungstyp" gegen "Platzhaltertyp" - bei einer Festrede im Institut für Staatspolitik propagiert der thüringische AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke eine seltsame Lehre. mehr

Zettelkästen als Fanartikel der afd. © picture alliance / dpa Foto: Martin Lejeune

AfD-Wahlkampf: Hitler-Affäre stört

Die Affäre um Ex-Pegida-Chef Lutz Bachmann und das Zwerwürfnis der Organisatoren hat bei den AfD-Wahlkämpfern zur Kurskorrektur geführt. Nun setzt man auf Distanz. mehr

Der AfD-Abgeordnete Jörn Kruse

AfD versucht, "Lügenpresse" auszutricksen

Am Wahlstand will niemand mit dem AfD-Spitzenkandidaten Jörn Kruse sprechen. Peinlich, denn ein Kamerateam ist vor Ort. Kurzerhand geben Parteiaktivisten den interessierten Bürger. mehr

Von Biedermännern und Brandstiftern

Die Forderung der AfD nach einem Verbot der öffentlichen Religionsausübung für Muslime stellt einen Angriff auf die im Grundgesetz verbürgte Religionsfreiheit dar. Wenn jemand nach Verboten für Gebetsrufe und Minarette in der Öffentlichkeit ruft, dann steht zu befürchten, dass eines Tages Minarette brennen werden, meint Stefan Buchen. extern

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 29.01.2015 | 21:45 Uhr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Das Panorama-Archiv

Alle Panorama-Beiträge seit 1961: Stöbern im Archiv nach Jahreszahlen oder mit der Suchfunktion. mehr

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?