Rassismus-Rechtfertigungsstudie statt Rassismus-Studie?
Die von Innenminister Seehofer beauftragte Polizeistudie lässt eine Täter-Opfer-Umkehr erahnen. Ein Kommentar von Armin Ghassim.
2020 war das Jahr, in dem so offen und breit wie wohl nie zuvor über rassistische Diskriminierung durch die Polizei gesprochen wurde. In Massenprotesten und unzähligen Erfahrungsberichten schilderten Betroffene ihre Erlebnisse, auch bei Panorama: rassistische Kontrollen, Beleidigungen und Gewalt. Dazu tauchten immer wieder rechtsextreme Inhalte in internen Polizei-Chat-Gruppen auf und Videos, die rassistisches Verhalten von PolizistInnen mindestens nahelegten.
Nun, zum Ende des Jahres, gibt Horst Seehofer detaillierter bekannt, wie eine vom Bundesinnenministerium in Auftrag gegebene Studie aussehen soll, die sich auch mit dem Thema Rechtsextremismus in der Polizei befasst. Die Studie wird von der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) durchgeführt, also von einer nicht gerade polizeifernen Institution. Monatelang hatten PolitikerInnen, WissenschaftlerInnen und große Teile der Öffentlichkeit eine unabhängige Studie über Rassismus in der Polizei gefordert.
Täter-Opfer-Umkehr
Was nun kommt, sieht eher nach einer Rassismus-Rechtfertigungsstudie aus. Mit dem Fokus auf den "Polizeialltag" ist die Studie so angelegt, dass selbst wenn verbreitete rassistische Denk- und Handlungsmuster in der Polizei gefunden würden, daran vor allem die Personen schuld sind, die zu "negativen Erfahrungen im Polizeialltag" führen. Also mutmaßlich unter anderem: Ausländer oder Menschen mit Migrationshintergrund. Nicht abwegig, hier eine klassische Täter-Opfer-Umkehr zu befürchten.
Sicherlich ist der regelmäßige Kontakt mit kriminellen Milieus ein Faktor, der Vorurteile unter Polizisten begünstigt, aber eben nur ein Faktor von vielen möglichen und er rechtfertigt rassistische Verallgemeinerungen nicht. Wenn eine Studie aber auf diesen Faktor fokussiert, dann ist ihr Ziel keine umfassende Erklärung, sondern Rechtfertigung.
In der Projektskizze wird eine "zunehmende Gewalt gegen Polizeibeamte" als faktische Voraussetzung dargestellt, deren "Auswirkungen auf die Polizeibeamten" untersucht werden sollen. Allerdings lässt sich der statistische Anstieg von Gewalt gegen Polizeibeamte vor allem damit erklären, dass diese Delikte seit 2018 weiter definiert werden. Außerdem fällt etwa auch das "Sich-Sperren" oder "Festhalten an einem Tisch, um sich der Festnahme zu widersetzen" (§113 StGB), unter "Gewalt gegen Polizeibeamte".
Studien zu Gewalt gegen die Polizei gab es zuletzt 2013 und 2012. Die letzte Studie zu Rassismus in der Polizei gab es dagegen Anfang der 90er Jahre.
Nach Rassismus fragen - wenig sinnvoll
Dass in der nun geplanten Studie überhaupt Muster von Rassismus und Rechtsextremismus gefunden werden, scheint eher unwahrscheinlich, da die Methodik vor allem auf die Instrumente der Umfrage und des Interviews unter PolizistInnen setzt. Wissenschaftlich ist allerdings klar, dass Selbstberichte kein geeignetes Instrument sind, um rassistisches Verhalten oder Denken zu untersuchen, da den Befragten hier bewusst ist, was die "sozial erwünschte" Antwort wäre. Teilnehmende Beobachtung soll zwar auch angewendet, wie diese jedoch aussehen soll, wird nicht erläutert.
Polizei vor Diskriminierung schützen, nicht Minderheiten
In seinem Statement zu der Studie richtet Horst Seehofer sich ausschließlich an die Polizei, ihre Bedürfnisse, ihre Sorgen, ihre angebliche Geringschätzung durch die Gesellschaft: Die Arbeit der Polizei verdiene "unsere volle Unterstützung". Der Zweck einer Studie sollte jedoch nicht sein, Vertrauen in die Polizei zu unterstreichen, sondern zu prüfen, ob dieses Vertrauen so allgemein und absolut gerechtfertigt ist. Es geht nicht um einen Generalverdacht, sondern darum, die Realität zu erfassen, unabhängig und wissenschaftlich. Viele Polizisten hoffen sogar, dass eine Studie sie auch entlasten könnte.
Kein Wort richtet Horst Seehofer hingegen an die von Rassismus Betroffenen. Kein Wort an diejenigen, die abends vor dem Fernseher nicht nur den Kopf schütteln können über rechtsextreme Inhalte in Polizei-Chat-Gruppen, sondern denen das ernsthaft Angst macht, weil sie letztlich das Ziel von Rassismus sind.
Ein solches Einfühlen wäre nicht zu viel erwartet von einem Innenminister, der zwar die Interessen der Polizei vertreten sollte, aber auch Repräsentant von Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland ist. Die Frage, in welche Perspektive sich ein Politiker seines Ranges versetzt und in welche nicht, sagt auch viel aus - über die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft.