Radikale Klimaproteste: Pfefferspray gegen die Polizei?
Die Hamburger Polizei hat am vergangenen Wochenende eine Besetzung einer Brücke im Hamburger Hafen durch Klimaaktivist:innen verhindert. Sie behauptet, die Demonstrierenden hätten Pfefferspray gegen die Beamt:innen eingesetzt. Belege gibt es dafür bislang nicht.
Bereits im Vorfeld hatte die Hamburger Versammlungsbehörde versucht, ein mehrtätiges Klimaprotest- Camp zu verbieten. Doch das Verwaltungsgericht Hamburg kippte die Entscheidung und stimmte lediglich der Verlegung des Camps vom Stadtpark in den Hamburger Volkspark zu. Organisator des "System Change Camp" war ein Bündnis aus mehr als 30 Gruppen, darunter "Extinction Rebellion" und "Ende Gelände". Das Camp stand unter dem Motto: "Gegen Erdgas, LNG und eine fossile Infrastruktur, die unsere Zukunft aufs Spiel setzt!"
Panorama hat in diesem Jahr bereits mehrfach über eine mögliche Radikalisierung der Klimabewegung und konfrontative Aktionen wie das Festkleben auf Straßen oder das Herauslassen von Luft aus Autoreifen berichtet. Auch das Blockieren und zum Teil Zerstören von Infrastruktur für fossile Energie gehört laut den Aktivist:innen mit in das Spektrum ihres radikalen Protests.
Bei der geplanten Blockade des Kraftwerks Moorburg an der Hamburger Kattwykbrücke kam es dann am 3. August 2022 zum teilweise erfolgreichen Versuch, eine Polizeikette zu durchbrechen und die Brücke zeitweise zu besetzen. Die Polizei setzte zur Verhinderung beziehungsweise Räumung der Brücke Schlagstöcke, Pfefferspray und Wasserwerfer ein. Der zum Teil großflächige Einsatz der Zwangsmittel, insbesondere des Reizstoffes, den nahezu alle Polizist:innen mitführten, ist in zahlreichen Videos ausführlich dokumentiert.
Polizei behauptet Pfefferspray-Einsatz durch Aktivist:innen
In ihrer Öffentlichkeitsarbeit zum Einsatz behauptete die Hamburger Polizei jedoch, die Klimaaktivist:innen hätten zuerst Pfefferspray eingesetzt, was bislang nicht zu belegen ist. Mehrere Journalist:innen, die vor Ort waren und mit denen Panorama gesprochen hat, bekamen davon nichts mit. Auch der "Spiegel"-Reporter Jonas Schaible vermutete in seinem Artikel, der Wind habe das Pfefferspray der Beamt:innen gegen die eigenen Kolleg:innen gerichtet: "Als die Aktivisten auf die Brücken zusteuern, verteilen Polizisten das Pfefferspray so unkontrolliert, dass es der Wind auch ihnen selbst ins Gesicht bläst, und Polizistinnen und Polizisten schlagen teils heftig mit den Knüppeln zu. Es wird geschoben und gedrückt."
In dem Panorama vorliegenden Videomaterial - sowohl von Aktivist:innen, als auch von Foto- und Videojournalist:innen - , die vor Ort gedreht haben, ist auch in insgesamt mehreren Stunden Material keine Pfefferspray-Anwendung durch Demonstrierende erkennbar. Dafür jedoch ist in einem Video zu erkennen, wie ein Beamter, der sichtbar vom Pfefferspray eines Kollegen getroffen wird, diesen anbrüllt: "Den Pfeffer nicht auf uns, Mann!"
Die Hamburger Polizei räumte auf Twitter unterdessen zwar ein, dass durch den Einsatz von Pfefferspray "eine Aerosolwolke" entstehe, "die gerade in einer dynamischen Einsatzlage auch Auswirkungen auf die Einsatzkräfte entfalte", bleibt auf Panorama-Anfrage ansonsten aber bei ihrer Darstellung: "Eine Beamtin der Bereitschaftspolizei, die vor Ort eingesetzt war, hat eine Strafanzeige gefertigt, in der sie beschreibt, wie sie aus dem Aufzug heraus von einer Person mit Pfefferspray besprüht wurde. Sie bekam den Reizstoff ins Gesicht. Die Ermittlungen laufen diesbezüglich", so Sprecherin Sandra Levgrün.
Das Problem: Die Polizei ist bei ihrer Kommunikation an das sogenannte Sachlichkeitsgebot für Behörden und Beamte gebunden, sie kann nicht einfach Meinungen oder Vermutungen verbreiten. Daher muss die Aussage, Demonstrierende hätten Pfefferspray eingesetzt, laut ständiger Rechtsprechung zumindest auf einem vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen. Aus Sicht der Hamburger Polizei wurde dieses Gebot eingehalten: "Die Information ist von den Polizeibeamten vor Ort über Funk an den Führungsstab der Polizei gemeldet und im Einsatzdokumentationssystem der Polizei schriftlich hinterlegt worden", führt Levgrün dazu aus. Es handle sich um einen "Zeugenbeweis".
Experten fordern gesetzliche Regelung zur Kommunikation
Kritiker:innen halten eine derartige einsatzbelgleitende Kommunikation dagegen für fragwürdig: Der Polizei- und Konfliktforscher Dr. Peter Ullrich von der Technischen Universität Berlin führte zusammen mit einem Team von Wissenschaftlern eine Studie zur Eskalation der Gewalt rund um den Hamburger G20-Gipfel durch. Er sagt: "Die Polizei kann Social Media genauso nutzen wie andere Kommunikationskanäle, um sachliche Informationen zu verbreiten, die abgesichert sind. Aber in Konfliktsituationen neigt die Polizei wie alle anderen Akteure dazu, ad hoc eintreffende Eindrücke zu verbreiten. Aktuelle Einschätzungen, die nicht abgesichert sind. Mit diesen Meldungen, die sich als problematisch oder gar als fehlerhaft erweisen, oder politisch wertend sind, greift man also direkt ins Geschehen ein - und kann großen politischen Schaden anrichten", so Ullrich. Aus diesem Grund fordern er und seine Kolleg:innen eine gesetzliche Regelung zur polizeilichen Ad-Hoc-Kommunikation, insbesondere auf Social Media.
Die Aktivist:innen von "Ende Gelände" kritisierten in ihrer Pressemitteilung zum Geschehen die aus ihrer Sicht "massive Gewalt gegen die Demonstrant:innen". Es habe "zahlreiche dokumentierte Übergriffe durch die Polizei" gegeben, zudem seien "durch den Einsatz von Wasserwerfern, Schlagstöcken, Reizgas und Schmerzgriffen sowie durch Schläge und Tritte zahlreiche Aktivist:innen - teilweise schwer - verletzt" worden, einige hätten im Krankenhaus behandelt werden müssen. Auch sei medizinische Versorgung vor Ort zum Teil unterbunden worden.
Dass die Polizei im Rahmen ihrer Aufgabe auch Zwangsmittel einsetzen kann und muss, um Rechtsbrüche zu unterbinden, ist unstrittig. Doch neben der Art und Weise des Einsatzes steht häufig eben auch die Kommunikation in der Kritik. Für das notwendige Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Polizei ist es unerlässlich, das nicht der Eindruck entsteht, sie kommuniziere wahrheitswidrig. Es ist daher an der Hamburger Polizei, zu belegen, dass seitens der Demonstrierenden Pfefferspray eingesetzt wurde - und eine Beamtin nicht nur Opfer von "friendly fire" wurde - und dies fälschlich den Aktivist:innen zuschob.