Stand: 06.09.2018 14:12 Uhr

Ullrich: Polizei-Tweets bei Demos wirken direkt

von Andrej Reisin
Polizei- und Konfliktforscher Dr. Peter Ullrich von der Technischen Universität Berlin. © NDR Foto: Screenshot
Die Polizei muss auf Social Media neutral berichten - was nicht immer leicht ist, wenn sie wie beim G20 gleichzeitig Konfliktpartei ist, so Polizei- und Konfliktforscher Dr. Peter Ullrich.

Polizei- und Konfliktforscher Dr. Peter Ullrich von der Technischen Universität Berlin hat zusammen mit einem Team von Wissenschaftlern die Eskalation der Gewalt rund um den Hamburger G20-Gipfel untersucht. Laut der Studie wurden die Tweets der Polizei in Phasen der Gewalteskalation auf Twitter zum wichtigsten Bezugspunkt für große Medienaketure, was problematisch ist, denn die Polizei war damit zugleich "Konfliktpartei und Diskursteilknehmer in der immer heftiger geführten Auseiandersetzung um die Legitimität ihres Einsatzes". Mit Ullrich haben wir über die Studie und die Social-Media-Aktivitäten der Polizei gesprochen.

ZAPP: Dr. Ullrich, inwiefern sollte die Polizei Ihrer Meinung nach überhaupt auf Social Media präsent sein?

Dr. Ullrich: Ich glaube, es lässt sich gar nicht vermeiden, dass Polizei auch auf Social Media aktiv ist, weil das mittlerweile eine bedeutende Sphäre der öffentlichen Kommunikation darstellt. Aber die Polizei ist in einer sehr schwierigen, in sich widersprüchlichen Situation: Sie muss einerseits ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommen. Der bedeutet, dass sie neutral berichten muss, dass sie nicht emotionalisieren darf, sachlich sein muss, politisch nicht Partei ergreifen darf. Das ist ein ganz klares Anfordernis für sämtliche Behörden. Das gilt für die Polizei natürlich noch mal ganz besonders stark, weil sie in der Regel in einer konfliktreichen, aufgeladenen Situation agiert und agieren muss.

Gleichzeitig gibt es aber Mechanismen des Mediums, einen bestimmten Kommunikationsstil, den man mit diesem Anspruch von Sachlichkeit kaum bedienen kann. Medien wie Twitter, Facebook und so weiter zielen ja eigentlich von der Grundkonstruktion her darauf ab, flapsig und locker im Umgang zu sein, häufig neigen sie auch zur Zuspitzung. In dieser Umgebung ist es natürlich besonders schwierig, dem Sachlichkeitsgebot und dem Neutralitätsgebot zu entsprechen.

Wo verläuft für Sie die Grenze, wo Sie sagen, das ist okay, aber dieser Tweet oder jener Post, das geht zu weit?

Die Polizei gibt sich auf Social Media wie sämtliche Unternehmen und Organisationen: zugänglich, locker, oft auch flapsig und humorvoll. All das sind aber Charakteristika, die diese Organisation überhaupt nicht hat. Die Polizei als Organisation ist hochgradig hierarchisch, es gibt eine ganz starke Orientierung an starren Regeln, an Befehlsketten und so weiter. Das heißt, es wird beispielsweise mit Bildern von geretteten Tieren ein Bild aufgebaut, das mit der Realität der Organisation wenig zu tun hat, weil die Aufgaben der Polizei mehrheitlich in Bereichen liegen, die gerade nicht schön sind, wo es um gesellschaftliche Probleme geht. Im Grunde genommen ist es sogar so, dass diese Tierrettungsaktionen überhaupt nicht Aufgabe der Polizei sind. Das ist reine PR.

Es gibt aber noch deutlich problematischere Beispiele. Insbesondere zählen dazu politische Demonstrationen, in denen die Polizei aus unterschiedlichsten Gründen Partei ergreifen kann. Weil diejenigen beispielsweise, die im Social-Media-Team sitzen, Sympathien oder Antipathien haben. Oder weil Polizei im Protestgeschehen selber eine Konfliktpartei ist. Und Konfliktparteien neigen dazu, sich hineinzusteigern, sich gegenseitig anzustacheln. Situationen eskalieren und dann gehen Sachlichkeit und Neutralität ganz schnell verloren.

In ihrer Studie ging es ja um den Hamburger G20-Gipfel. Eines Ihrer Ergebnisse lautet, dass die Polizei zum wichtigsten Bezugspunkt für die gesamte Medienlandschaft geworden ist. Worauf stützt sich diese Aussage?

Unsere Social-Media-Analysten haben mit einer App sämtliche Tweets, die G20 zum Thema hatten, innerhalb der Protestwoche gesammelt und dann mit verschiedenen statistischen Methoden ausgewertet. Dann kann man beispielsweise feststellen, wer besonders wichtig ist in der Formierung eines bestimmten Diskurses.

Im Laufe der Protestwoche bilden sich zwei Lager: Ein Law-&-Order-Lager, was im Wesentlichen die Vorstellungen der Polizei wiederholt und verbreitet und sich sehr stark mit der Polizei solidarisiert. Und auf der anderen Seite ein protestfreundliches Lager, was vom Grundsatz her eher die Maßnahmen der Polizei kritisch bewertet und den Protest unterstützt. Über beide Lager hinweg wird im Laufe der Protestwoche ganz klar Gewalt zum dominierenden Thema.

Die Polizei kann aber die Zahl ihrer Follower auf Twitter um fast 50 Prozent steigern. Das heißt, sie dominiert einerseits das Geschehen, andererseits gibt es immer mehr Leute, die ihr Bild von den Vorfällen in Hamburg und bei G20 vor allem auf Information aufbauen, die von Polizeiseite kommen. Das liegt auch daran, dass alle großen Medien sehr stark die Polizei-Tweets wiederholen, ihre Meldungen darauf aufbauen und die Polizei damit eine unglaublich große Reichweite erreicht. Die üblichen journalistischen Standards, das Gegenchecken von bestimmten Informationen, das Kontrastieren mit anderen Auffassungen, finden bei der Polizei deutlich seltener Anwendung. Und das prägt natürlich den Diskurs.

Was für Auswirkungen hat diese dominante Stellung?

Dass die Polizei zum Beispiel regelmäßig Meldungen über ihre Verletztenzahlen verschickt hat, hat ganz stark dazu geführt, dass sie sehr viel Solidarität generieren konnte. Immer mehr Leute haben sich anteilnehmend geäußert. Damit bildet sich aber eine gewisse Asymmetrie im Diskurs. Denn es gab keinerlei verlässliche Informationen über Verletztenzahlen auf Demonstrierenden-Seite. Obwohl es wahrscheinlich zu Hunderten, vielleicht sogar Tausenden Verletzten gekommen ist, gibt es im Bereich der Demonstrierenden keine statistische Erfassung.

Die Polizei schafft es also, Solidarität und Unterstützung zu organisieren. Aber sie macht das mit Informationen, die man eigentlich ganz genau auseinandernehmen müsste. In der Gesamtzahl von verletzten Polizisten beispielsweise waren auch einige enthalten, die man mit dem Alltagsverstand da nicht vermuten würde. Beispielsweise Beamtinnen und Beamte, die sich schon vor Beginn des Einsatzes krank gemeldet haben. Oder solche, die wegen Erschöpfung dienstunfähig wurden oder nicht im Konflikt mit Demonstrierenden verletzt wurden. Das heißt nicht, dass es nicht zu einer relevanten Anzahl verletzter Polizisten gekommen wäre. Das ist definitiv der Fall. Aber wenn man die Zahlen genau anschaut, entsteht doch zumindest in gewisser Hinsicht ein etwas anderes Bild.

Wie lautet ihre Empfehlung für den polizeilichen Umgang mit Social Media in Konfliktsituationen?

Die Polizei kann Social Media genauso nutzen wie sie andere Kommunikationskanäle, um sachliche Informationen zu verbreiten, die abgesichert sind. Aber in Konfliktsituationen neigt die Polizei wie alle anderen Akteure dazu, ad hoc eintreffende Eindrücke zu verbreiten. Aktuelle Einschätzungen, die nicht abgesichert sind. Diese Tweets wirken direkt. Weil sie von Demonstrierenden wahrgenommen werden, weil sie von Beamten wahrgenommen werden, weil sie wiederum Auswirkungen darauf haben, wie in den Lagern, die dort quasi aufeinandertreffen, untereinander kommuniziert wird, wie die Situation eingeschätzt wird.

Das heißt, alle Meldungen, die zur Panikmache neigen, die irgendwie sehr dramatische Dinge in auch teilweise dramatischer Sprache verbreiten, tragen direkt zur Eskalation im Geschehen bei. Mit diesen Meldungen, die sich als problematisch oder gar als fehlerhaft erweisen, oder politisch wertend sind, greift man also direkt ins Geschehen ein - und kann großen politischen Schaden anrichten. Und das ist der Grund, warum die Polizei im Konfliktgeschehen, flapsig gesagt, an die Kandare genommen werden muss. Ich denke auch, dass es dazu wahrscheinlich gesetzlicher Regelungen bedarf.

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Bildmontage: eine Polizeimütze auf dem Kopf des Twitter-Vogels. © NDR

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Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 05.09.2018 | 23:20 Uhr

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