Stand: 24.07.2018 16:51 Uhr

Wirklich ein positiver Trend? Mehr Reserve-Antibiotika in Ställen

von Christian Baars
Hühnerküken in einem Maststall an einer Tränke.
Hühner und Puten bekommen oft das Reserve-Mittel Colistin über die Tränken verabreicht.

Der Einsatz von sogenannten Reserve-Antibiotika in der Tierhaltung ist in Deutschland seit Jahren erstmals wieder gestiegen. Das geht aus den aktuellen Daten hervor, die das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz (BVL) veröffentlicht hat. Von 2016 zu 2017 setzten demnach Veterinäre unter anderem fünf Tonnen mehr Colistin ein. Dieser Wirkstoff wird als Reservemittel bei Menschen zunehmend wichtig, weil andere Medikamente immer häufiger nicht mehr wirken.

 

Landwirtschaftsministerin sieht positiven Trend

Ministerin Julia Klöckner (CDU) spricht dennoch von einem positiven Trend. Allerdings vergleicht sie die 2017er-Zahlen mit dem Jahr 2011, als das BVL erstmals entsprechende Daten veröffentlicht hat. Tatsächlich hat sich seitdem der Einsatz der Medikamente deutlich verringert.

Mehr als 140 Tonnen Reserve-Mittel für Tiere

Doch gerade in Bezug auf die besonders wichtigen Reserve-Mittel wurde bereits in den vergangenen Jahren immer wieder kritisiert, dass sich hier zu wenig tue. Und nun sind im Jahr 2017 laut den BVL-Zahlen von diesen extrem wichtigen Wirkstoffen insgesamt mehr als 140 Tonnen an Tierärzte abgegeben worden, ein Anstieg von mehr als fünf Tonnen. Dieser ist vor allem auf den vermehrten Gebrauch von Colistin zurückzuführen. Der Einsatz anderer Reserveantibiotika liegt etwa auf demselben Niveau wie im Vorjahr.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat im vergangenen Jahr ihre Liste mit diesen besonders wichtigen Antibiotika aktualisiert. In der höchsten Kategorie findet sich jetzt Colistin, außerdem vier anderen Wirkstoff-Gruppen, von denen die meisten auch bei Tieren eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um einige Cephalosporine sowie um Makrolide und Fluorchinolone. Diese Mittel sollten so wenig wie möglich eingesetzt werden - auch bei Tieren, damit sie ihre Wirkung für Menschen nicht verlieren.

Verwendung in Ställen wird "sehr kritisch gesehen"

Bei den Fluorchinolonen ist sogar bereits seit Jahren kein Rückgang zu erkennen - im Gegenteil. Laut den BVL-Zahlen wurden 2017 etwa 20% mehr dieser Mittel in Ställen eingesetzt als 2011. Dabei werde deren Verwendung in der Veterinärmedizin "wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Humanmedizin sehr kritisch gesehen", heißt es im aktuellen Lagebild von Klöckners Ministerium.

Der Bericht zeigt darüber hinaus, dass bei Mast-Hähnchen und -Puten der Einsatz von Antibiotika insgesamt wieder steigt, nicht nur von Reservemitteln. Bei anderen Tierarten ist jedoch ein leichter Rückgang zu verzeichnen. Insgesamt sank die Menge aller an Tierärzte abgegebenen Antibiotika von 742 Tonnen (2016) um 1,2% auf 733 Tonnen.

SPD-Gesundheitspolitiker fordert Verbot

SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach fordert nun vehement, Reserveantibiotika für die Tiermast grundsätzlich zu verbieten. "Sonst werden in Zukunft viele Menschen sterben, damit wir heute billigeres Fleisch haben", schrieb er auf Twitter.

Die Organisation Germanwatch hat ebenfalls Bund und Länder dazu aufgerufen, sich stärker für eine Verringerung des Antibiotikaeinsatzes in der Landwirtschaft einzusetzen. Die besonders wichtigen Reserve-Mittel sollten in der industriellen Tierhaltung komplett verboten werden. Nötig sei dafür unter anderem ein gesetzlich verbesserter Tierschutz.

Keine aktuellen Zahlen zu Resistenzen

Ob der vermehrte Einsatz der Reserve-Mittel auch zu einem messbaren Anstieg von resistenten Bakterien geführt hat, ist aus dem aktuellen Lagebericht des Landwirtschaftsministeriums nicht zu entnehmen. Denn bislang liegen dazu nur Daten bis zum Jahr 2016 vor. Insgesamt waren damals die Raten an Resistenzen in der Tiermast im Vergleich zu den Vorjahren leicht zurückgegangen - allerdings auch hier wiederum mit einigen Ausnahmen, unter anderem bei den Fluorchinolonen.

Grundsätzlich führt ein vermehrter Einsatz von Antibiotika immer zu einer Zunahme von resistenten Bakterien. Diese können sich dann auf verschiedensten Wegen ausbreiten.

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