Interne Dokumente von DePuy zu den Metallhüften
"Unsubstantiiert“ sollen die Argumente gegen den Hersteller DePuy sein, sagt das Landgericht Bonn. Dass der Medizinproduktehersteller von der Fehlerhaftigkeit seiner Metallhüften vom Typ ASR schon frühzeitig gewusst habe, also bereits in den Jahren 2006 bis Anfang 2008, sollen also Behauptungen ohne Substanz sein? Wir stellen unsere entscheidenden Belege ins Netz. Es sind firmeninterne Emails und Dokumente in englischer Sprache aus dem fraglichen Zeitraum. Marketingmanager, Qualitätskontrolleure und Ingenieure der Firma tauschen sich aus über beunruhigende Nachrichten von behandelnden Ärzten. Wir wahren die Persönlichkeitsrechte der handelnden Personen, indem wir die Nachnamen und Mail-Adressen unkenntlich machen.
"Besorgt wegen Versagensrate"
Bereits am 06.10.2005 schreibt eine Top-Managerin des Mutterkonzerns Johnson & Johnson, sie sei „besorgt wegen der Versagensrate“ der ASR-Hüften (Dokument 3). Im Juni 2006 häufen sich schlechte Nachrichten aus zahlreichen Ländern. Ein Arzt aus Nordirland berichtet von „Schmerzen“ einer Patientin, die er sich nicht erklären kann (Dokument 13). Aus Italien meldet ein Chirurg „sehr hohe“ Konzentrationen von Chrom und Kobalt im Blut von Patienten (Dokument 9). Am eindrücklichsten ist das Feedback eines niederländischen Arztes, Dr. Paul B., der an einer klinischen Studie der Prothese teilnimmt. Der erfahrene orthopädische Chirurg hat rund 100 ASR-Prothesen eingesetzt. Er berichtet von „lockeren Hüftpfannen“, „Schmerzen“ und „erhöhten Konzentrationen“ von Schwermetallen im Blut. (Dokumente 6 und 8) Die Versagensrate der Prothese sei „signifikant“. Dr. Paul B. fordert Erklärungen vom Hersteller. Er pocht darauf, dass einer der Designchefs persönlich in die Niederlande kommt. Der Arzt wird hingehalten. Er beschließt, die ASR-Prothese „nicht mehr einzusetzen.“
Reaktion auf Bedenken
Wie DePuy auf die Bedenken reagiert, zeigt sich am deutlichsten in Dokument 11: „We need to nip this one in the bud,“ schreibt der Marketing-Manager John D. „Wir müssen das im Keim ersticken“. Und dann weiter: „Das letzte, was wir brauchen, ist Geschwätz, das nach außen dringt, über Verbiegungen, unerklärliche Schmerzen und erhöhte Metallionenwerte !!!!!!“ Mit sechs Ausrufezeichen unterstreicht der Manager die Linie des Unternehmens: Bedenken sollen erstickt werden.
Wenn man in Dokument 11 weiterliest, erkennt man, wie DePuy sich bemüht, einen offenbar dem Unternehmen sehr verbundenen in der Schweiz praktizierenden deutschen Arzt für einen Vortrag bei einem orthopädischen Kongress in Rotterdam im September 2006 zu gewinnen: Dr. Jens B. soll die „Sorgen“ der niederländischen Ärzte zerstreuen.
Profit über Interessen der Patienten gestellt?
Aus den Unterlagen wird deutlich, dass das Unternehmen den Profit über die Interessen der Patienten stellt. Trotz der alarmierenden Rückläufe aus den Krankenhäusern denkt man nicht an einen Stopp des Produkts. Man habe ja allein in eines der beiden Modelle schon 45 Millionen Dollar investiert, schreibt der Marketing-Chef für den Bereich „Hüfte“ (Dokument 10). Das viele Geld, das man in die Entwicklung der Metallhüfte gesteckt habe, ist ein wiederkehrendes Motiv, siehe Dokument 5. Die klinischen Daten hätten das „Potential, unser Geschäft ernsthaft zu gefährden“, heißt es.
Zunächst erwägt die Unternehmensführung ein „redesign“, also eine Nachbesserung der Prothese (Dokument 1). Aber dann verwirft man den Plan wieder als „zu teuer“ (Dokument 4). Schließlich ruft ein Top-Mann des Unternehmens seine Kollegen auf, anzuerkennen, dass die Probleme vom Design der Metallprothese an sich hervorgerufen würden (Dokument 7).
Skepsis gegenüber dem Produkt
Diesen Befund hat uns der ehemaliger Berater von DePuy Dr. Koen De Smet im Interview bestätigt. Sein Name taucht auch in der firmeninternen Korrespondenz auf (Dokument 12). Der in Fachkreisen weltweit bekannte Chirurg aus Belgien bringt seine Skepsis gegenüber dem Produkt deutlich zum Ausdruck: „Will it last fort two, three years???“ – „Wird sich die Prothese zwei oder drei Jahre halten ???“, schreibt er bereits im Jahr 2005. Der belgische Arzt, der die Firma DePuy nach eigenem Bekunden 2007 den Hersteller eindringlich aufgefordert hat, die Prothese vom Markt zu nehmen, ist bisher nicht von deutschen Gerichten gehört worden.