Familiennachzug: Nur halb so viele Flüchtlinge können nachkommen
Anerkannte Flüchtlinge haben einen Rechtsanspruch auf Familiennachzug. Doch die Verfahren sind oft lang und bürokratisch. Im Pandemie-Jahr hat sich die Situation noch verschärft.
Im Jahr 2020 durften 7.231 Familienangehörige zu ihren Verwandten mit Asyl- oder Flüchtlingsschutz in Deutschland nachziehen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, die Panorama vorab vorliegt. Demnach stellte das Auswärtige Amt rund 47 Prozent weniger Visa für den Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen aus, als im Jahr 2019 (13.706).
Subsidiär Geschützte: Deutlich weniger Familiennachzüge als rechtlich möglich
Der Schutz der Familie ist in Deutschland im Grundgesetz verankert. Menschen, denen in Deutschland Asyl- oder Flüchtlingsschutz gewährt wurde, haben einen Rechtsanspruch, ihre Ehepartner und minderjährigen Kinder nachzuholen. Kinder dürfen ihre Eltern nachholen.
Anders ist es bei subsidiär Geschützten - einem Schutzstatus, der etwa ab 2016 an viele Syrer vergeben wurde. Für sie hatte die Bundesregierung von 2016 bis 2018 den Familiennachzug komplett ausgesetzt. 2018 führte die Koalition dann für subsidiär Geschützte eine umstrittene "Obergrenze" von 1.000 Familiennachzügen pro Monat ein, also 12.000 im Jahr. Doch im vergangenen Jahr wurde diese Zahl nicht annähernd erreicht. Das Auswärtige Amt stellte weniger als halb so viele Visa für subsidiär Geschützte (5.271) aus - auch das geht aus der Kleinen Anfrage hervor.
Der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Union, Volker Kauder (CDU), hatte unlängst gefordert, das vereinbarte Kontingent für subsidiär Schutzberechtige "sofort zu erfüllen" und sie mittelfristig mit anerkannten Flüchtlingen gleichzustellen. Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Linke) hält es für "beschämend", dass das "ohnehin niedrige Kontingent" nicht ausgeschöpft wurde. Sie habe zwar Verständnis für pandemiebedingte Einschränkungen, aber "es kann nicht sein, dass Geflüchtete die Leidtragenden sind und das Recht auf Familienleben mit Füßen getreten wird."
In einem offenen Brief an Bundesaußenminister Maas schreibt Ulla Jelpke, die deutschen Behörden stellten "unerfüllbare bürokratische Anforderungen im Rahmen des Familiennachzugverfahrens". "Betroffene schildern seit langem, dass sie massiv unter der restriktiven Visumspraxis des Auswärtigen Amtes leiden." Die jahrelange Trennung stelle eine erhebliche Belastung für die Familien dar und erschwere die Integration in Deutschland." Jelpke forderte Maas auf, einen Sonderbeauftragten für die Probleme beim Familiennachzug einzurichten.
Auf Panorama-Anfrage wollte sich Maas' Ministerium zu diesem Vorschlag nicht konkret äußern. "Die deutschen Auslandsvertretungen entscheiden über Visumsanträge in jedem Einzelfall nach sorgfältiger Prüfung aller Umstände und sind dabei an die geltenden aufenthaltsrechtlichen Vorschriften gebunden", heißt es aus dem Auswärtigen Amt.
Monate- und jahrelange Wartezeiten bei deutschen Botschaften
In der Praxis ist es für Familienangehörige häufig schon schwierig, überhaupt einen Termin in einer deutschen Botschaft zu bekommen. In der deutschen Botschaft in Beirut, bei der etwa syrische Familiengehörige auf Termine warten, beträgt die Wartezeit laut Kleiner Anfrage durchschnittlich 24 Wochen, in einigen Fällen auch über ein Jahr. In Islamabad (Pakistan), wo afghanische Familienangehörige Anträge stellen, gibt das Auswärtige Amt die Wartezeit nur grob mit "über 1 Jahr" an. Genau könne die Wartezeit bei einem "solch langen Zeitraum" nicht angegeben werden. "Wartezeiten von über 52 Wochen werden daher pauschal mit ‚über ein Jahr‘ angegeben", schreibt das Auswärtige Amt.
Die langen Wartezeiten sind nicht nur eine Folge von Corona. Schon vor der Pandemie betrug die Wartezeit etwa in Addis Abeba (Äthiopien) 13 Monate. Dort warten viele Familienangehörige von eritreischen Geflüchteten. Für diese Botschaft will das Auswärtige Amt gar keine Wartezeit mehr angeben. Nach Panorama-Recherchen wurde einem eritreischen Flüchtling dort jüngst mitgeteilt, dass er "bis zu 24 Monate" auf einen Termin warten müsse.
Auch wenn ein Termin stattgefunden hat, dauern die Verfahren. Besonders Eritreer berichten, dass sie teils seit fünf Jahren oder noch länger von ihren Ehepartnern und Kindern getrennt sind. Laut der neuesten Zahlen wurden beispielsweise in der deutschen Botschaft in Äthiopien im vergangenen Jahr 974 Anträge auf Familiennachzug von eritreischen Flüchtlingen bearbeitet. Über drei Viertel davon (764) wurden abgelehnt. Oft verlangen die deutschen Behörden offiziell vom eritreischen Staat ausgestellte Dokumente wie Heiratsurkunden. Laut einem Gutachten der deutsch-griechischen NGO Equal Rights Beyond Borders werden diese Dokumente aber in Eritrea häufig gar nicht vom Staat ausgestellt, sondern von Kirchen.
Das Auswärtige Amt ist sich dieser Problematik durchaus bewusst. Die Botschaftsmitarbeiter seien häufig in der schwierigen Situation, dass die Antragssteller nicht "die Tatsachen, die den eigentlichen Anspruch begründen sollen, belegen können", schreibt das Auswärtige Amt. Organisationen wie Pro Asyl fordern deshalb, dass das Auswärtige Amt auch andere Nachweise häufiger akzeptieren müsse - etwa DNA-Tests.