Neues Gesetz: Doch kein besserer Schutz für Leiharbeiter?
Es soll der große Wurf im Kampf gegen Lohndumping sein: Die Bundesregierung hat neue Regeln für Leiharbeit und Werkverträge beschlossen. Hunderttausende Beschäftigte sollen dadurch künftig besser geschützt werden. Doch eine Klausel im Gesetz bewirkt offenbar genau das Gegenteil - und schützt im Zweifel vor allem die Firmen, die mit Scheinwerkverträgen Geld sparen wollen.
Der Gesetzentwurf von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sieht vor, dass Leiharbeiter künftig nach neun Monaten im selben Betrieb den gleichen Lohn erhalten wie die Stammbelegschaft. Sie dürfen außerdem höchstens 18 Monate an dasselbe Unternehmen verliehen werden. Danach müssen sie fest angestellt oder von dem Betrieb abgezogen werden. Bisher war das nie so klar geregelt, es war immer von einer "vorübergehenden" Beschäftigung die Rede. Dieses schwammige "vorübergehend" war von Firmen rigoros ausgenutzt und teilweise auf acht, neun Jahre ausgedehnt worden, wie Panorama bereits 2012 berichtet hat. Die "Zwei-Klassen-Gesellschaft" im Betrieb werde mit dem neuen Gesetz zurückgedrängt, sagte Nahles. "Ich glaube, dass wir weniger ausbeuterische Werkverträge haben werden.“
Verringerter Schutz
Der Münsteraner Arbeitsrechtler Professor Peter Schüren bezweifelt gegenüber Panorama allerdings stark, dass es tatsächlich so kommen wird: "Das neue Gesetz verbessert den Schutz von Leiharbeitern nicht, es verringert ihn!", konstatiert er. "Firmen werden zum Missbrauch durch Scheinwerkverträge geradezu eingeladen!" Schüren hat den Gesetzentwurf eingehend geprüft und ist über eine Klausel gestolpert, die neu aufgenommen worden ist - und die entscheidend sein kann. Sie gilt für Arbeitnehmer, die illegal überlassen werden. Das sind in der Praxis Arbeitnehmer, die von ihrem Arbeitgeber an dessen Kunden ausgeliehen werden. Nach außen wird diese Überlassung aber als Werkvertrag getarnt. Bei einer solchen illegalen Überlassung wird der illegal überlassene Arbeitnehmer automatisch kraft Gesetzes Beschäftigter des Unternehmens, an das er ausgeliehen wurde. Durch die neue Gesetzes-Klausel wird ihm nun ein Widerspruchsrecht eingeräumt, für den Fall, dass er statt in eine reguläre Beschäftigung beim eingesetzten Unternehmen doch lieber bei seinem illegalen Verleiher bleiben will - was aber eher unwahrscheinlich ist.
Leiharbeiter dauerhaft schlechter gestellt
Genau das könne sich die entleihende Firma nun zu Nutze machen: Sie könne einfordern, dass alle Mitarbeiter, die der illegale Verleiher schickt, diese Erklärung beim Arbeitsantritt schriftlich abgeben. Sprich: Dass sie bei ihrem illegalen Verleiher bleiben werden. Ansonsten werde es nichts mit dem Einsatz. Beispiel: Das Logistikunternehmen ABC verleiht auf Basis von Scheinwerkverträgen - also illegal - 500 Beschäftigte an die Supermarktkette XY. Die arbeiten dort wie reguläre Arbeitnehmer, jedoch deutlich schlechter bezahlt. Alle Mitarbeiter, die ABC schickt, haben mit Arbeitsaufnahme bei XY die Erklärung abgegeben, dass sie stets bei ABC bleiben wollen. Konsequenz: Die Leiharbeiter sind dauerhaft schlechter gestellt. Und die Supermarktkette XY ist fein raus. Sie muss weder - wie bisher - mit empfindlichen Lohn- und Versicherungsnachzahlungen noch mit einem Ermittlungsverfahren wegen Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen rechnen.
Strafrechtliche Belangung künftig nicht mehr möglich
"Sobald das Unternehmen im Falle von Ermittlungen die Widerspruchserklärungen vorlegt, können die Verantwortlichen nicht mehr strafrechtlich belangt werden“, so Schüren. Allein Bußgelder wegen der Ordnungswidrigkeit des illegalen Entleihs seien möglich. "Wenn das Widerspruchsrecht kommt, wird es den Unternehmen, die mit Scheinwerkverträgen arbeiten, in Zukunft sehr viel Geld und den Führungskräften, die bisher wegen Beitragshinterziehung strafbar wurden, viel Leid ersparen“, prophezeit Schüren.
Die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und die Sanktionierung von Scheinwerkverträge sind wichtige Ziele, die die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbart hat. Erreicht wurde mit der Umsetzung laut Schüren jetzt genau das Gegenteil. Bundesrat und Bundestag müssen dem Gesetzentwurf noch zustimmen. Die neue Regelung soll dann zum 1. Januar 2017 in Kraft treten