"Ein rechtloses und asoziales System"
Eine große Menschentraube hat sich am Bahnhof in Diepholz versammelt. Die Leute sind aufgeregt, reden durcheinander. Viele haben Briefumschläge dabei, darin ihre Kündigung. Die Menschen kommen aus Rumänien. Sie alle haben für ein Subunternehmen gearbeitet, das bei Wiesenhof in Lohne für die Verpackung von Hähnchen zuständig war. Nun soll das alles vorbei sein. "Ich stehe unter Schock", erzählt Monica. Seit sie ihren Job verloren hat, könne sie nicht mehr essen, nicht schlafen. Mit dem Geld habe sie ihre Familie unterstützt, unter anderem das Studium ihrer Tochter finanziert.
Es ist Ostermontag, als ein Teil der Werkshallen auf dem Wiesenhof-Gelände in Lohne niederbrennt. Obwohl lange Zeit nicht klar ist, ob die Betriebsstätte wieder aufgebaut wird, beginnen die Subunternehmen damit, ihre Mitarbeiter zu entlassen. Johannes Brinkhus ist Arbeitsrechtler und vertritt immer wieder Werkvertragsnehmer in der Region. Für ihn kam dieser Schritt wenig überraschend: "Das ist die Schicht, die immer am unteren Ende sozusagen leben muss und ohne großartigen arbeitsrechtlichen Schutz Manövriermasse für Arbeitgeber ist."
Arbeiter vertrauen Subunternehmer nicht
Und tatsächlich - nur einen Tag nach dem Brand bringt einer der Subunternehmer einen Teil seiner Arbeiter nach Berlin. Der Schlachthof hier habe Bedarf. Die Rumänen sollen Aufhebungsverträge unterschreiben, stattdessen neue Arbeitsverträge bekommen. Auf Anfrage teilt uns der Subunternehmer mit, man habe den Arbeitern zugesichert, sie könnten ihre alten Verträge zurück bekommen, sobald in Lohne wieder produziert werde. Matthias Brümmer steht diesem Angebot skeptisch gegenüber. Ein sauberer Betriebsübergang sei nicht zu erkennen. Auch die Arbeiter vertrauen dem Subunternehmer nicht. Sie erzählen außerdem, dass die Unterkünfte in einem schlechten Zustand gewesen seien. Die Schlafräume seien überfüllt gewesen. Auf Anfrage teilt uns der Subunternehmer mit, jeder habe sein eigenes Bett gehabt.
Gewerkschaft kritisiert das System seit Jahren
Alle großen Schlachthöfe in der Region setzen auf Subunternehmer. Die schicken dann ihre eigenen Arbeiter, um bestimmte Aufgaben wie das Verpacken von Hühnchen zu erledigen. Fällt die Produktion aus, wie nach dem verheerenden Brand, kann das Unternehmen dem Subunternehmer einfach kurzfristig kündigen - was aus den Mitarbeitern wird, muss Wiesenhof nicht kümmern. Ein Vorgehen, dass Matthias Brümmer von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) seit Jahren kritisiert: "Wenn die Beschäftigten alle im Unternehmen Wiesenhof beschäftigt wären, dann wären Entlassungen erst möglich gewesen nach Einigung mit dem Betriebsrat im Rahmen eines Sozialplans, aber jetzt bereits trennt man sich schon von einem Großteil und das zeigt auch, wie rechtlos und wie asozial dieses System ist."
Gegen dieses "asoziale System" wollte die Politik eigentlich längst etwas tun. Der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) versichert, dass er eine solche Beschäftigung in Deutschland nicht will. "Der Werkvertrag muss die Ausnahme für konjunkturelle Schwankungen sein und nicht die Regel für Beschäftigung, wie wir sie in diesen Betrieben oft vorfinden", so der Minister. Dabei ist im Koalitionsvertrag vereinbart, eine neue gesetzliche Regelung zum Schutz von Werkvertragsnehmern auf den Weg zu bringen. Längst hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) einen Gesetzentwurf vorgelegt, doch der scheiterte an dem Dauerzwist mit der CSU. Man brauche nicht noch mehr Bürokratie, ließ Horst Seehofer wissen.
Solange sich Subunternehmer nur an die Gesetze halten, werden osteuropäische Fleischarbeiter das Nachsehen haben. Sie verlieren als erste ihr Einkommen, wenn es mal nicht rund läuft in der Fleischproduktion. So trägt der Schwächste das unternehmerische Risiko einer Branche, die jedes Jahr Milliarden umsetzt.