Skandal, der keiner war - BAMF-Prozess eingestellt
Das Landgericht Bremen stellt das Verfahren gegen die ehemalige Leiterin der Flüchlingsamts-Außenstelle ein. Stefan Buchen kommentiert.
10.000 Euro muss sie bezahlen, damit die Sache abgeschlossen ist. Eine geringfügige Summe ist das nicht. Wer zahlt schon gerne 10.000 Euro, einfach so? Nur, um Ruhe zu haben. Ulrike B. darf sich so von einem Strafprozess vor dem Landgericht Bremen freikaufen - von einem Berg von Vorwürfen waren nur Krümel übrig geblieben. Der Prozess gegen sie findet nun nicht mehr statt. Womöglich wäre die ehemalige Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) am Ende auch von den wenigen übrig gebliebenen Vorwürfen freigesprochen worden. Die Chancen dafür standen gut. Dass diese Vorwürfe "geringfügig" waren, darüber waren sich Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung am Ende sogar einig. Aber die 60-Jährige wollte sich diese Verhandlung ersparen. Ulrike B. hat sich öffentlich nie geäußert. Was sie durchmachen musste, kann man nur ahnen.
Massive Anschuldigungen
Vor drei Jahren war Ulrike B. die Sau, die durchs Dorf getrieben wurde. Tausenden Migranten soll die Beamtin, im Verbund mit kriminellen Anwälten und anderen dubiosen Helfern, zu unberechtigtem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland verholfen haben. Eine Frau, die unerwünschten Einwanderern aus dem Orient en masse den Bleibestatus verschaffte - in den Augen vieler war Ulrike B. im Frühjahr 2018 die naiv-verblendete Wiederkehr der Willkommenskanzlerin Angela Merkel. Eine Doppelgängerin gefährlicher noch als das Original.
Pflichtbewusste niedersächsische Landräte und missgünstige Gegner innerhalb der BAMF-Bürokratie brachten den Stein ins Rollen. Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelten mit Verve. Die Medien, allen voran der NDR, waren willige Helfer und machten die Geschichte groß. Für die Medien der bürgerlichen Mitte war es die Gelegenheit, ihre "Objektivität" und "Ausgewogenheit" unter Beweis zu stellen. Hatten sie noch im Migrationsjahr 2015 mehrheitlich die der Genfer Konvention verpflichtete Politik der offenen Grenze im Moment der Not befürwortet und wohlwollend kommentiert, so konnten sie nun zeigen, dass sie in der Lage sind, eine zu generöse Willkommenskultur mit strenger Kritik zu hinterfragen. Sie neigten ihr Ohr den besorgten Bürgern zu und multiplizierten deren Ängste. "Einfach so" habe Ulrike B. positive Asylbescheide vergeben, hieß es.
Politisches Beben
In der Politik löste die BAMF-Affäre ein Beben aus. Zwischen CSU und CDU knarzte es so gewaltig, dass das Duell zwischen Söder und Laschet wie ein Streit im Kindergarten erscheint. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) grenzte sich von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ab und ließ unverblümt erkennen, dass nach seiner Auffassung die Kanzlerin persönlich an der Misere schuld sei. Sein Staatssekretär Stephan Mayer erklärte im Fernsehen, dass er Ulrike B. und ihre "Komplizen" für "hochkriminell" halte. Es drohte der Riss zwischen den Schwesterparteien wegen der Migrationsfrage.
Und doch war von vornherein klar, dass nach den Maßstäben der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und des deutschen Asylrechts nichts Falsches passiert war. Der "Skandal" bezog sich, wie sich sofort zeigte, auf Asylanträge vornehmlich jesidischer Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien, die Ulrike B. und zwei Rechtsanwälte bearbeiteten. Jesiden waren in dem Zeitraum 2014-2016, in dem die Schutzsuchenden nach Deutschland kamen, die verwundbarsten und exponiertesten Opfer des sogenannten Islamischen Staates. Ein Schutzstatus in Europa stand ihnen zu. Und wenn sie im Erstaufnahmeland, etwa in Bulgarien, schlecht behandelt wurden, wofür es zahlreiche Anzeichen gab, hatten sie Anspruch auf Schutz in Deutschland. Dieses Ergebnis hätte auch eine flüchtlingsfeindlichere BAMF-Beamtin, als Ulrike B. es ist, nicht verhindern können. Verbrecher wären Ulrike B. und die mitbeschuldigten Anwälte nur in einem Staat, der die erwähnten verfassungs- und völkerrechtlichen Grundlagen über Bord wirft. Es ist kein Geheimnis, dass manche in Deutschland genau danach streben.
"Wegen Geringfügigkeit" eingestellt
Wegen Einschleusung von Ausländern oder missbräuchlicher Asylantragstellung konnte Ulrike B. also nach geltender Gesetzeslage nicht schuldig sein. Das hatte das Landgericht Bremen der Staatsanwaltschaft schon im vergangenen November klar gemacht, als es die Anklage überwiegend zurückwies. Nun werden auch die übrig gebliebenen Nebensächlichkeiten wie etwa der angebliche "Verrat von Dienstgeheimnissen" nicht mehr verhandelt. Das Verfahren gegen Ulrike B. ist "wegen Geringfügigkeit" eingestellt. Der mitangeklagte Anwalt darf ebenfalls mit einer baldigen Einstellung rechnen. Gericht, Staatsanwaltschaft und Angeklagte teilen offenbar den Wunsch, sich die Peinlichkeit dieses Prozesses zu ersparen.