BAMF-"Skandal" wird immer kleiner
Unberechtigtes Asyl für Tausende, korrupte Amts-Chefin - der BAMF-Skandal machte groß auf. Doch nach Recherchen von Panorama und "SZ" sind viele Vorwürfe unplausibel und widerlegbar.
Es begann als größter Asylskandal der Republik. Die sogenannte "BAMF-Affäre" dominierte über Wochen die politische Debatte in Deutschland. Die ehemalige Außenstellenleiterin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Bremen, Ulrike B., hätte tausende Asylsuchende ohne Rechtsgrundlage durchgewunken, so der Vorwurf. Besonders die Mandanten von drei Anwälten hätte sie bevorzugt - dafür massenhaft Asylverfahren nach Bremen gezogen, für die sie gar nicht zuständig war. Es sei auch Geld geflossen.
Private und öffentlich-rechtliche Medien stürzten sich auf die Geschichte. Der Bundesinnenminister sprach öffentlich von einem "handfesten Skandal" und versicherte den Bürgern, jetzt "aufzuräumen" im BAMF. Er schloss faktisch die Bremer Außenstelle, entließ die Präsidentin des BAMF, Jutta Cordt. Während die Ermittlungen noch am Anfang standen, fällte Staatssekretär Stephan Mayer aus dem Bundesinnenministerium bereits sein Urteil in der Sendung "Anne Will" im Fernsehen: "Die Vorgänge in Bremen waren auch deshalb möglich, weil hier hochkriminell, kollusiv und bandenmäßig von mehreren Mitarbeitern agiert wurde."
Nach Recherchen von Panorama und der "Süddeutschen Zeitung" sind Teile der erhobenen Vorwürfe allerdings unplausibel, teils gar widerlegbar. Zum ersten Mal äußert sich nun auch einer der Beschuldigten vor der Kamera.
Tausendfacher Asylbetrug?
Rund 18.000 positiv beschiedene Asylbescheide aus Bremen wurden im vergangenen Jahr überprüft. Das Innenministerium selbst hat nun Anfang März eingeräumt, dass nur 47 dieser Entscheide widerrufen oder zurückgenommen wurden. "Insgesamt", so teilt das Bundesinnenministerium mit, "liegt diese Anzahl der widerrufenen Verfahren mit Bezug zu Bremen auf einem ähnlichen Niveau wie die Zahl der insgesamt bundesweit widerrufenen Verfahren."
"Und es gibt nicht einen einzigen Fall von Identitätstäuschung und nicht einen einzigen Fall, wo jemand überprüft wurde und nicht aus dem Land kam, das er oder sie angegeben hat", betont Ulla Jelpke. Die Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion hat bereits mehrere parlamentarische Anfragen zur BAMF-Affäre an die Bundesregierung gestellt. "Was sehr wichtig ist, ist, dass es nicht einen einzigen Fall gibt unter den 1.200 Menschen, die zu Unrecht Asyl bekommen haben sollen. Das ist ja genau das, was immer behauptet wurde: Kriminelle konnten einreisen ohne dass sie im Blick der Behörden waren", berichtet Jelpke weiter.
Der "Skandal" von dem der Bundesinnenminister im Fernsehen sprach: Wo ist er geblieben?
Beschuldigter meldet sich zu Wort
Irfan Cakar ist jesidischer Herkunft, kam als Sechsjähriger mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland. Hier studierte er Verwaltungs- und Strafrecht. Er ist einer der Hauptbeschuldigten im Ermittlungsverfahren rund um das Bremer BAMF.
Ulrike B. soll seine Mandanten bevorzugt und durchgewunken haben, auch von Bestechung war die Rede. Für den 40-Jährigen sind all diese Vorwürfe konstruiert: "Warum soll ich für etwas bezahlen, worauf meine Mandanten einen Rechtsanspruch hatten?" Die verfolgten Jesiden seien damals überall in Deutschland zu fast 100 Prozent als Flüchtlinge anerkannt worden, dazu habe es keiner Korruption bedurft. Er gibt zu, dass er Hotelrechnungen für die ehemalige Außenstellenleiterin des Bremer BAMF vorgestreckt habe: "Diese Hotelrechnungen gab es tatsächlich. Ich habe das Geld vorgestreckt und später von Frau B. in bar zurückerhalten. Das habe ich ihr auch quittiert." Korruption habe es nicht gegeben, sagt Cakar.
Wende in den Ermittlungen
Auch für die Staatsanwaltschaft in Bremen scheint Korruption kein zentraler Vorwurf mehr zu sein. Die Ermittlungsgruppe "Antrag" geht inzwischen davon aus, dass zwischen der damaligen Leiterin der Bremer Außenstelle des BAMF und Irfan Cakar eine besondere Nähe bestand.
Um dem Anwalt zu gefallen, so der Verdacht, soll die Beamtin Asylanträge rechtswidrig positiv entschieden haben - in welcher Zahl dies der Fall sein soll, ist noch nicht endgültig geklärt. Der Sprecher der Bremer Staatsanwaltschaft sagt, der Eindruck verstärke sich, "dass die Motivlage eher im zwischenmenschlichen Bereich, im emotionalen Bereich - aber eher im einseitigen Bereich zu suchen ist." Der Verdacht ergebe sich aus einer Vielzahl von E-Mails, die Ulrike B. an Irfan Cakar geschrieben hat.
Für Cakar und seinen Anwalt ist diese Volte der Staatsanwaltschaft "abenteuerlich". "Aus unserer Arbeitsbeziehung hat sich eine Freundschaft entwickelt. Meines Wissens ist es nicht strafbar, mit einer Beamtin befreundet zu sein", so Cakar.
Tatsächlich klingt der E-Mailverkehr zwischen Ulrike B. und Irfan Cakar sehr vertraut. Zu vertraut? Ausführlich beantwortete Ulrike B. immer wieder Nachfragen zu Cakars Mandanten, die damalige Außenstellenleiterin nahm sich viel Zeit für ihre detaillierten Emails. Und manchmal ist tatsächlich unklar, wie es gemeint sein könnte, wenn Ulrike B. davon schreibt, dass sie nicht "doch in Erklärungsnöte" kommen möchte. An anderer Stelle heißt es, sie habe "eine Idee, wie ich dir helfen kann".
Jetzt sucht die Staatsanwaltschaft nach Menschen, die bei ihrem Asylantrag von der Nähe zwischen Ulrike B. und dem Anwalt profitiert und unrechtmäßig Asyl erhalten haben.