"Abhitlern": Polizei guckt zu
Die Aufregung war groß im Sommer: 6.000 Neonazis fielen im Juli in Themar in Südthüringen ein, bei einem Konzert wurde kollektiv der Arm zum Hitlergruß hochgerissen, von der Bühne schallte es "Sieg Heil". Jetzt geht aus den Panorama vorliegenden Antworten der thüringischen Landesregierung auf mehrere Anfragen der Linken hervor: Die Polizei ließ die Rechtsextremisten gewähren und schritt trotz wiederholter Gesetzesverstöße nicht ein.
Polizei schaut tatenlos zu
"Abhitlern" ohne juristische Konsequenzen: In Themar konnten sich Neonazis bei einem als politische Kundgebung angemeldeten Rechtsrock-Festival austoben. Es gibt nur wenige Aufnahmen von dem, was bei der angeblich öffentlichen Versammlung im Juli im Konzertzelt abging, aber die Bilder sind eindeutig: Dutzende oder mehr Neonazis hoben zu lauten "Heil"-Rufen ihre Arme zum Hitlergruß. Das ist eigentlich verboten, doch die Polizei schritt nicht ein.
"Ermahnung" beeindruckte Neonazis offenbar nicht
Wie aus den Antworten der thüringischen Landesregierung auf drei Kleine Anfragen der Linken-Abeordneten Katharina König-Preuss hervorgeht, konnten die Neonazis in Themar tun und lassen, was sie wollten. Obwohl König-Preuss als Abgeordnete der Linken selbst Teil der regierenden Koalition ist, pocht sie auf eine öffentliche Aufklärung der Vorgänge, weshalb sie das parlamentarische Mittel der Kleinen Anfrage wählte, das im Regelfall vor allem für Auskunftsersuchen der Opposition an die Regierung genutzt wird.
Die Polizei störte die Neonazis demnach nicht beim Begehen von Straftaten: So hatte das Spielen von indizierten Liedern für die Neonazis keine direkten Konsequenzen. Eine Band spielte etwa einen Song des verbotenen Albums "SA voran". Nachdem zwei Neonazi-Bands indizierte Lieder präsentierten und Bandmitglieder der Gruppe "Blutzeugen" von der Bühne aus "Sieg Heil" gerufen hatten, "wurde der Versammlungsleiter von der Polizei unmittelbar ermahnt", heißt es in der Antwort. Die Polizei hätte weitere Straftaten "unterbunden", behauptet die thüringische Landesregierung weiter. Tatsächlich wurden jedoch 14 weitere indizierte Lieder nach der "Ermahnung" gespielt, darunter auch strafrechtlich relevante. Die "Ermahnung" scheint den Neonazis nicht sonderlich imponiert zu haben.
Kritik an Polizei-Strategie
Für die Landtagsabgeordnete König-Preuss ist das passive Verhalten der Behörden unangemessen: "Die Gefahrenprognose war nicht ausreichend und deswegen auch die Vorbereitung der Polizei nicht angemessen, was die Beweissicherung betrifft", sagt König-Preuss. Die Polizei müsse sich besser aufstellen, fordert König-Preuss, denn mit "nur" 900 Beamten hätte sie das Konzert gar nicht auflösen können. Immerhin hätten den Polizisten mehrere tausend gewaltbereite und alkoholisierte Neonazis gegenüber gestanden.
Die Linken-Politikerin kritisiert auch, dass das rechtsextreme Konzert Mitte Juli - ebenso wie andere Rechtsrock-Konzerte in Thüringen - als öffentliche Kundgebung deklariert werden konnte. "Die Neonazis können also auf Basis des Versammlungsrechts relativ gut ihre Konzerte als Versammlung deklarieren und dem Staat große Teile der Kosten auflasten", ärgert sich König-Preuss. Trotz 35 Euro Eintrittspreis wurde gerichtlich festgestellt, dass es sich um eine politische Versammlung handelte.
Rosige Aussichten für Neonazis
Die Neonazis, die in Themar den verbotenen Hitlergruß zeigten, können sich sehr sicher sein, dafür nicht belangt zu werden. Die Beamten trauten sich bei der öffentlichen Versammlung nicht in das Zelt, wie ein Polizeisprecher vor Ort zugab. Gefilmt hat die Polizei die Straftaten der Neonazis daher selbst nicht. Tatsächlich überführen könnte man "maximal Einzelne", heißt es inzwischen aus Polizeikreisen. Zu schwer sei es, den ausgestreckten Armen auch Gesichter zuzuordnen. Ohne Personalienfeststellung vor Ort sei die Ermittlung der Täter ohnehin schwierig - rosige Aussichten für die Täter.
Insgesamt wird im Zusammenhang mit dem Konzert am 15. Juli wegen 50 Straftaten gegen 49 Personen ermittelt, so die Landesregierung. Vier Ermittlungsverfahren richten sich gegen unbekannte Täter. Die Anzeigen beziehen sich größtenteils auf Straftaten, die die Polizei bei Kontrollen im Vorfeld festgestellt hatte. Kurz nach der Veranstaltung hatte die Polizei noch verkündet, von 440 Neonazis die Personalien aufgenommen zu haben. Wie aus der Antwort der Landesregierung hervorgeht, wurden allerdings lediglich 52 Identitäten festgestellt.
Viele Rechtsrock-Konzerte in Thüringen
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat auf das Neonazi-Event in Themar allerdings eine ganz eigene Sichtweise. "Während der Veranstaltung achteten die Organisatoren weitgehend auf die Einhaltung der behördlichen Auflagen", schreiben die Verfassungsschützer in ihrem aktuellen Newsletter. "Insgesamt war die Anzahl der von der Polizei aufgenommenen Delikte (…) angesichts der hohen Besucherzahl relativ gering." Der Grund: Die dutzend- bis hundertfachen Hitlergrüße während des Konzertes werden von der Polizei in einem einzigen Verfahren zusammengefasst - zählen also nur als eine Tat.
Für Neonazis ist Thüringen seit Jahren ein Eldorado - in keinem anderen Bundesland finden so viele Neonazi-Konzerte statt, die auch noch als öffentliche Versammlungen deklariert werden. "Ich mache das das nächstes Jahr wieder", kündigte schon im Sommer Bodo Dressel an, der das Gelände für die Veranstaltung dem Neonazi Tommy Frenck zur Verfügung stellte. Die Behörden müssten ihm das Grundstück schon abkaufen, um weitere rechtsextreme Versammlungen zu verhindern.
Das nächste Rechtsrock-Konzert steht bereits nächste Woche auf dem Gelände an: "Rock gegen Links" - wieder als politische Kundgebung angemeldet, wieder mit Neonazi-Bands. Im schlimmsten Fall werden die Neonazis dann wohl wieder von der Polizei ermahnt, Straftaten doch bitte zu unterlassen.