G20: Mythos Nazi-Randalierer
Vor dem G20-Gipfel hatten nicht nur linke Gruppen Proteste gegen das Treffen in Hamburg angekündigt. Auch die rechtsextreme NPD, ihre Jugendorganisation und das Neonazi-Netzwerk "Antikapitalistisches Kollektiv" riefen zum Widerstand gegen den Gipfel auf. Nach den schweren Ausschreitungen zwischen Randalierern und der Polizei tauchen nun Berichte auf, wonach sich nicht nur Linksradikale, sondern auch Neonazis an den Krawallen im Hamburger Schanzenviertel beteiligt haben sollen. "Auch Rechte randalierten mit", schrieb zum Beispiel die "Hamburger Morgenpost" (Mopo) nach dem Krawall-Wochenende. Ein Reporter habe am Samstagabend "rechte Parolen" gehört. Die Rechten sollen dann Flaschen auf Polizisten geworfen haben. Belege dafür wurden bislang nicht vorgelegt.
Erste Gerüchte über rechte Demonstranten gab es bereits am Donnerstag vor dem G20-Wochenende bei der Demonstration unter dem Motto "Welcome to Hell": Aus dem Schwarzen Block kamen "Ahu, Ahu"-Rufe. Zu hören waren diese Laute zuletzt bei Demos der rechtsextremen "Hooligans gegen Salafisten" (Hogesa) und der "Identitären Bewegung". "Ahu, Ahu" wird jedoch auch von ausländischen Autonomen als Schlachtruf ausgestoßen. Der Journalist Felix M. Steiner kennt sich in der Neonazi-Szene aus und hat die Demos in Hamburg beobachtet. Die "Ahu"-Rufe seien von französischen Autonomen gekommen, sagt er Panorama. "Ich habe keine Neonazis im Schwarzen Block und bisher keine Beweise für eine Teilnahme gesehen." Laut der "tageszeitung" (taz) sollen jedoch am Randale-Wochenende auch Deutsche "Ahu" skandiert haben, als sie Steine auf Polizisten warfen.
Über 70 bekannte Neonazis?
Mehr als 70 organisierte Neonazis will der Fotograf Andreas Scheffel bei den Krawallen in Hamburg identifiziert haben. "Es waren bekannte Gesichter aus der Szene darunter", sagte er dem SWR. Die Neonazis, die aus mehreren Bundesländern gekommen sein sollen, seien vermummt und schwarz gekleidet gewesen. "Mir sind sie aufgefallen und ich konnte sie über ihre Artikulation, wie sie sich gegeben haben, wie sie gesprochen haben, zuordnen. Ich konnte dann auch verschiedene Leute an Gesichtern erkennen", so Scheffel im Radiointerview. Der SWR teilte auf Twitter mit, dass er außer "kursierender Gerüchte" keine Belege für die Neonazi-Beteiligung an den Krawallen habe. Laut "Übermedien" wollte Scheffel seine Recherchen am vergangenen Sonntag auf einem linken Online-Portal veröffentlichen. Ihm lägen die Belegfotos vor, die Auswertung dauere jedoch noch an, sagte Fotograf Scheffel am Montag. Konkrete Fragen dazu wollte er Panorama vorab nicht beantworten.
Rund zehn Tage nach dem G20-Gipfel berichtete das Onlineportal "Thüringen24", dass Neonazis sich an "Anti-G20-Protesten" beteiligt hätten. "Exklusiv" lägen dem Portal "zwei Bestätigungen von rechtsextremen Gruppen" vor, dass Mitglieder dabei gewesen sein sollen. Es handelt sich um die NPD-Jugend und das "Antikapitalistische Kollektiv". An welchen Protesten sich die Neonazis beteiligten, bleibt allerdings offen, denn die NPD-Jugendorganisation wolle "nicht verraten, an welchen Aktionen und Demonstrationen ihre Mitglieder genau teilnahmen". Klaus Beier, Pressesprecher der NPD, dementiert dies auf Panorama-Anfrage: Weder die Partei noch ihre Jugendorganisation habe sich an den Demonstrationen beteiligt.
Behörden haben keine Erkenntnisse über Neonazis
Informationen über Aktivitäten von Neonazis liegen auch den Sicherheitsbehörden nicht vor. Laut dem Sprecher des Hamburger Verfassungsschutzes, könnten zwar auch Neonazis nach Hamburg gereist sein, da vorab in der Szene mobilisiert worden sei. Doch "liegen bislang keine Erkenntnisse vor, dass sich Rechtsextremisten in die Gesamtlage beeinflussender Größenordnung in nennenswerter Anzahl beteiligt haben", heißt es auf Panorama-Anfrage. Die Hamburger Polizei hat dazu ebenfalls "keine gesicherten Erkenntnisse". Auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac hat keine Hinweise darauf, dass Rechtsextreme an den Demonstrationen oder Anti-G20-Aktionen teilgenommen hätten.
Rechte Medienaktivisten auf Demo
Eine Frau im T-Shirt der rechtsextremen "Identitären" tauchte im Umfeld der "Welcome to Hell"-Demo auf. Allerdings waren weder sie noch ihre Begleiter als Demonstranten oder Randalierer unterwegs, sondern mit Kameras als rechte Medienaktivisten.
Neonazis gegen Linke
Ganz untätig blieben die Rechtsextremen jedoch nicht: Noch in der Krawallnacht von Freitag auf Samstag kursierte in rechten Kreisen ein Aufruf der "Hooligans gegen Salafisten". Unter dem Motto "Unsere Heimat wieder unter Kontrolle bringen" wollten die Rechtsextremen am Samstag nach Hamburg reisen und für "Ordnung" sorgen. Der Treffpunkt für die Fahrt in die Hansestadt war am Hauptbahnhof Hannover. Dem Aufruf folgten nur wenige, teils alkoholisierte Neonazis, die bereits in Hannover von der Polizei abgefangen wurden. Die Beamten überprüften 25 Personen und nahmen vier Rechtsextreme auf richterliche Anordnung in Gewahrsam. Bei ihnen waren Fahrkarten nach Hamburg und Materialien zum Vermummen festgestellt worden.
Am Samstagnachmittag sammelten sich dann rund ein Dutzend Rechtsextreme am Hamburger Hauptbahnhof, sie wurden dort von der Polizei ebenfalls kontrolliert. Die Neonazis kamen jedoch offenbar nicht, um sich an der Randale zu beteiligen, sondern um Linke "aufzumischen". In der folgenden Nacht gab es mehrere Berichte über Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und Linken. Dabei soll es auch einen Angriff auf eine linke Kneipe in St. Pauli gegeben haben. Das konnte die Polizei bisher weder bestätigen noch dementieren.