Vom Experiment zur Institution
Die Jugend erwies sich indes auch schon zu dieser Zeit als ausgesprochen anspruchsvolle Zielgruppe. In der Rückschau beschrieb Jäger das Dilemma des Jugendfunks, der traditionell vor allem auf politische Bildung und auf Nachrichten aus den Jugendverbänden setzte, einmal so: "Da unsere heutige junge Generation im Gegensatz zur Jugend anderer Zeiten möglichst früh erwachsen sein möchte, ist sie skeptisch gegenüber allen Einrichtungen, die unter der Überschrift 'Jugend' laufen."
Entsprechend musste ein Weg gefunden werden, die jungen Hörer direkt anzusprechen, ihr Vertrauen zu gewinnen und sie in die Gestaltung der Sendungen einzubinden. Jäger beschritt diesen Weg zielstrebig. Er konnte sich dabei auf Erkenntnisse der Hörerforschung stützen und vor allem auf die Diskussionen im bereits Anfang 1946 entstandenen "Arbeitskreis Jugendfunk" zurückgreifen. Der Arbeitskreis war eine Art inoffizieller Beirat, in dem die Redakteure sich regelmäßig mit jugendlichen Hörern und Mitgliedern von Jugendverbänden über die Sendungen und über neue Ideen austauschten.
Grünes Licht für den "Abend für junge Hörer"
Anfang 1954 beschwor Jäger dann den Intendanten des Hamburger Funkhauses, Ernst Schnabel, ihm statt der Vielzahl an oft nur zehn Minuten umfassenden und auf unterschiedliche Wochentage und Tageszeiten verteilten Sendeplätzen, einen größeren, zusammenhängenden Sendeplatz im UKW-Programm zu geben. Überraschend schnell willigte Schnabel in das Experiment ein und gab für zunächst sechs "Abende" grünes Licht - als die Reihe schließlich eingestellt wurde, waren es mehr als 300 Sendungen.
Innovatives Konzept
Das innovative Sendekonzept durchstieß das damals noch übliche kleinteilige Programmschema, indem es verschiedene Elemente zu einem in sich geschlossenen Themenabend verband. In bunter Abfolge nahmen sich die Jugendfunker freitags - später sonntags - nach 20 Uhr zweieinhalb Stunden lang eines bestimmten, keineswegs "nur" jugendspezifischen Themas an. Gewöhnlich wurden die Sendungen im großen Sendesaal des NWDR beziehungsweise des NDR in der Hamburger Oberstraße produziert. Er bot bis zu 500 Jugendlichen als Saalpublikum Platz. Seit den 60er-Jahren ging der "Abend für junge Hörer" dann regelmäßig auf Reisen durch das gesamte Sendegebiet. Einige Sendungen kamen gar aus Städten im Ausland: etwa aus Oslo, London, Brüssel oder auch aus Moskau, Peking oder Dresden, also von jenseits des "Eisernen Vorhangs".
Spiegel der Zeitgeschichte
In der Themenauswahl spiegelt sich das Zeitgeschehen der formativen Jahre der Bundesrepublik bis kurz nach dem Mauerfall. Neben "Evergreens" wie den Problemen des Erwachsenwerdens, der ersten Liebe, Fragen der Jugendpolitik und Initiativen von Jugendverbänden, ging es immer wieder um aktuelle Entwicklungen: den gesellschaftlichen Umgang mit Jugendkriminalität, die Entfremdung von Jugend und Kirchen, den Wert der Freiheit, die deutsche Teilung, die Wiederbewaffnung und Einführung der Bundeswehr, die Lage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, die Gefahren des Alkohol- und Drogenkonsums, den Erhalt des Friedens oder das Erwachen der Alternativbewegungen und des Umweltbewusstseins in den 1980er-Jahren.
Manchmal geriet die Reihe aber auch ganz unfreiwillig in die Wirren der Geschichte. Für erheblichen politischen Wirbel sorgte etwa ein Zwischenfall im September 1974, als ein im niederländischen Groningen veranstalteter "Abend für junge Hörer" von Sympathisanten der "Rote Armee Fraktion" (RAF) gestört wurde, denen es sogar gelang, eine Stellungnahme zum Hungerstreit der inhaftierten Terroristen zu verlesen.
- Teil 1: Vom Experiment zur Institution
- Teil 2: Anspruchsvolle Zielgruppe
- Teil 3: Markenzeichen: Das Live-Hörspiel