Vom Experiment zur Institution
In der Regel ging es gesittet zu. Das Leitthema wurde aus verschiedenen Perspektiven und mit Hilfe unterschiedlicher Beitragsformen beleuchtet. Reportagen vom Band gaben beispielweise die nötigen Impulse zur Einstimmung in den Abend, Interviews, Diskussionsrunden, Umfragen im Publikum, Ratespiele sowie tatsächlich live gesprochene Hörspiele direkt aus dem Studio gingen dem Sachverhalt tiefer auf den Grund. Abgerundet wurde der Abend durch klassische oder vorsichtig progressive Musikbeiträge, die das jugendliche Saalpublikum zum Tanz einluden. Vor allem das in der Umsetzung "kniffelige" Live-Hörspiel trieb den Verantwortlichen regelmäßig Sorgenfalten auf die Stirn, wurde aber zum unverwechselbaren Markenzeichen der Reihe.
Ambitionierte, kongeniale Kollegen
Wolfgang Jäger fungierte als Gastgeber der Abende und führte bestimmt, aber galant durch die Sendungen. Unterstützt wurde er dabei von gleichermaßen begeisterten und ambitionierten Kollegen. Dethardt Fissen wirkte als rechte Hand Jägers und als einfühlsamer Reporter. 1964 folgte er dann Jäger, der zum Chef der NDR Hauptabteilung Wort avancierte, als Leiter des Jugendfunks sowie als Moderator des "Abends für junge Hörer" nach.
Fissen steuerte die Redaktion und deren Flaggschiff-Sendung beherzt durch die kommenden Jahrzehnte. Gerlach Fiedler drückte der Reihe als kongenialer Regisseur seinen Stempel ebenso auf wie Charlotte Buck als langjährige Redaktionsassistentin oder Walter Girnatis als Musikredakteur. Zu den regelmäßigen Autoren der Hörspiele zählten Ludwig Schubert, Fritz Puhl, Fritz Raab, Charlotte Rothweiler, Heinrich von Tiedemann und Harald Vock. Diese wurden wiederum von jungen, später prominenten Schauspielern wie Inge Meysel, Uwe Friedrichsen oder Volker Lechtenbrink fulminant in Szene gesetzt.
Ein Publikumserfolg
Der "Abend für junge Hörer" traf den Nerv der Hörer. Die hauseigene Hörerforschung ergründete Ende der 1950er-Jahre, dass die Reihe von den meisten Heranwachsenden quer durch alle Bildungsschichten "bewusst und von 50 Prozent der Befragten sogar regelmäßig gehört" werde; 95 Prozent beurteilten die "Abende" positiv, rund 60 Prozent seien jünger als 25 Jahre. Zugleich wurde erfreut registriert, dass sich auch zahlreiche Erwachsene unter den Stammhörern befanden. Beflügelt durch diesen Zuspruch wurden seit dem Sommer 1956 einzelne Sendungen nicht nur über die Ultrakurzwelle (UKW), sondern auch im damals mehrheitlich eingeschalteten Mittelwellenprogramm ausgestrahlt. Seit 1960 war der "Abend für junge Hörer" dann regelmäßig auf der Mittelwelle zu hören.
Gastspiel im Fernsehen
Im September 1961 kam es überdies zur Auskoppelung der beliebten Hörfunkreihe in das Zweite Fernsehprogramm des NDR. Unter dem Titel "Abend für junge Leute" übertrug das Jugendfunk-Team um Wolfgang Jäger das im Hörfunk so erfolgreiche Sendekonzept für einige Ausgaben in das aufstrebende junge Medium. Aufgrund des enormen zusätzlichen Aufwands war diesem Gastspiel - trotz aller positiven Rückmeldungen durch die jugendlichen Zuschauer und professionellen Fernsehkritiker - jedoch nur eine relativ kurze Lebensdauer bis Ende des Jahres 1962 beschieden.
Nachahmer im Südwesten und im eigenen Haus
Auf das Erfolgskonzept im Norden aufmerksam geworden, hob der Süddeutsche Rundfunk am 12. Dezember 1955 mit der Reihe "Abende mit dem Jugendfunk" praktisch eine Kopie aus der Taufe. Die Adaption sah eine stärkere Einbindung von Kabarett-Elementen vor und fand ebenfalls für einige Jahre eine stattliche Hörerschaft. Letztlich konnte die Sendung aber nicht an das Hamburger Vorbild anschließen. Mehr Zuspruch war der seit Ende der 1960er-Jahre vom NDR selbst ausgestrahlten Reihe "Schulfunk mit Gästen" beschieden, die stärker auf die Vermittlung von Bildungsinhalten setzte, aber die Mischung verschiedener Sendeformen und die Idee einer Sendung mit Saalpublikum übernahm.
Ende einer Ära
Auch in späteren Jahren, als die meisten jugendlichen Hörer vom Radio in erster Linie Pop-Musik erwarteten, die pädagogische Grundhaltung des Jugendfunks an Akzeptanz verlor und die Sendeanstalten musikbetonte Jugendprogramme ins Leben riefen, fand der "Abend für junge Hörer" auf NDR 1 weiterhin sein Publikum. Das Sendekonzept ließ sich den veränderten medialen und jugendkulturellen Bedingungen immer wieder anpassen. Zugleich behielt das Kernanliegen, mit der Sendung die Diskussion und den Gedankenaustausch zwischen Jugendlichen sowie zwischen den Generationen zu befördern, noch lange seinen Reiz. Erst nach dem plötzlichen Unfalltod Dethardt Fissens wurde die Sendereihe 1990 eingestellt - das Ende einer Ära.
- Teil 1: Vom Experiment zur Institution
- Teil 2: Anspruchsvolle Zielgruppe
- Teil 3: Markenzeichen: Das Live-Hörspiel