Insel Samsø: Leben ohne CO2-Ausstoß
Der Klimawandel lässt sich nur noch aufhalten, wenn wir unseren Hunger auf Kohle, Öl und Gas verringern. So viel steht fest. Während die ganze Welt darüber diskutiert, wie sich das machen lässt, lohnt ein Blick zu unseren dänischen Nachbarn. Vor über 20 Jahren begannen nämlich die Bewohner von Samsø damit, ihre kleine Ostsee-Insel selber mit Energie zu versorgen. "Die NDR Info Perspektiven" haben sich vor Ort umgeschaut.
von Kristopher Sell
Wer auf die dänische Insel Samsø zieht, entscheidet sich für ein Leben inmitten einer Postkarten-Idylle: kilometerlanger weißer Sandstrand. Sanft geformte saftig-grüne Hügel und kleine Dörfchen mit reetgedeckten Häuschen. Doch Familie Kjaer kam nicht nur deshalb. Tina, Ben und ihre drei Kinder wollten Teil eines Experimentes werden, Teil des Versuchs einer kleinen dänischen Inselgemeinschaft werden, die Welt zu retten. "Ich finde es toll, dass es inzwischen weltweit Interesse gibt an der Insel, auf der ich wohne. Aber natürlich wäre es mir noch lieber, der Rest der Welt würde auch in die Gänge kommen und sich wegbewegen von Kohle und Öl", sagt der Vater, Benjamin Hansen.
Erneuerbare Energie von der Insel für die Insel
Wegkommen von fossilen Brennstoffen, CO2 sparen, das Klima schonen - bereits in in den 90er-Jahren hatte die dänische Regierung die Idee, auf dem kleinen Samsø etwas Großes auszuprobieren. Dabei halfen viele der 3.500 Bewohner. Auch Landwirt Jørgen Tranberg, der sich vor über 20 Jahren für den ersten Windpark der Insel hoch verschuldete: "Als ich damals 12 Millionen Kronen in meine erste Windmühle gesteckt habe, hatte ich große Bauchschmerzen. Ich musste die Bank wechseln, mich hoch verschulden. Das war überhaupt nicht lustig." Tranbergs mutige Investition war damals der erste Schritt, vom Festlandstrom unabhängig zu werden. Dann legten die Insulaner zusammen, um kleine Blockheizkraftwerke zu bauen. Nun heizen sie nicht mehr mit Gas und Öl, sondern mit Stroh von der Insel. Aufgetürmt zu großen Ballen liegt es auf Jørgen Tranbergs Feldern: "150 Ballen Stroh entsprechen etwa 30 Tonnen Erdöl. Das Stroh ist hier gewachsen und das Erdöl bleibt irgendwo anders in der Erde. Und das Beste: Im Frühling wächst das Stroh ja wieder nach. Ganz schön schlau, oder?"
Nach klimaneutral kommt "klimanegativ"
So kamen immer weitere Ideen dazu: Elektro-Autos für die Altenpflege, eine Solartankstelle hinter dem Rathaus, eine Auto-Fähre betrieben ohne Diesel. All diese Projekte werden koordiniert in der sogenannten Energie-Akademie der Insel. Ein futuristischer heller Kubus inmitten eines großen Rapsfeldes. Innen sind die Wände dekoriert mit Gastgeschenken aus aller Welt. Denn immer mehr Delegationen besuchen die Insel in der Ostsee und wollen von Samsø lernen. Projektleiter Søren Hermansen steht vor einer metergroßen Weltkarte in die Hunderte kleine Stecknadeln gepinnt sind: "Hier in ganz Europa Projekt-Partner. Hier eine neue Kooperation mit Indonesien. Japan seit der Fukushima-Katastrophe. Nächste Woche Besuch aus Neuseeland. Insgesamt waren schon etwa 5.000 Gäste hier." Die Besuchergruppen nehmen eine klare Botschaft mit nach Hause. Der schrittweise Verzicht auf Kohle, Gas und Strom ist keine Utopie. Und das ist gut fürs Klima: "Unterm Strich ist es uns gelungen, dass wir unsere CO2-Bilanz umgewandelt haben. Erst neutral, inzwischen sogar negativ. Das bedeutet: Heute produzieren wir mehr Energie als wir verbrauchen."
In Planung: Eine neue Passagierfähre
Auch Familie Kjaer hat gemeinsam mit den Inselbewohnern in den vergangenen zwei Jahren überlegt, wie sich noch mehr Energie einsparen ließe. Ihr neustes Projekt wird im Sommer eingeweiht. Eine kleine Passagierfähre für Pendler in die dänische Großstadt Aarhus. Hergestellt aus Aluminium: besonders leicht, besonders wenig Verbrauch. Und dennoch: Restlos glücklich scheint Tina Kjaer noch nicht zu sein: "Es wäre fantastisch, wenn wir eine rein elektrisch angetriebene Fähre bauen könnten. Aber die Batterien sind derzeit noch zu groß und zu teuer. Der Kompromiss: Wir tauschen den Motor aus, sobald es die passende Technik dafür gibt." Ein bisschen Diesel muss es offenbar auch auf Samsø noch geben. Auch wenn der zu großen Teilen aus Plastikabfall und biologischen Materialien hergestellt werden soll. Wer die Welt retten will, muss eben manchmal auch ein wenig pragmatisch sein.