Giovanna Scoccimarro (l., MTV Vorsfelde) bei der Judo-WM im Kampf gegen Sanne van Dijke (NED) © Imago images Foto: Mathias Mandl

Zwei Kreuzbandrisse in sechs Monaten: Judoka Scoccimarro will trotzdem zu Olympia

Stand: 26.12.2023 14:25 Uhr

Top-Judoka Giovanna Scoccimarro riss sich in beiden Knien jeweils ein Kreuzband: im November 2022 rechts, im Mai 2023 links. Am Traum von einer Olympia-Teilnahme in Paris im Sommer 2024 und dem Gewinn einer Einzelmedaille hält sie dennoch fest, wie sie dem NDR sagte.

von Christian Görtzen und Yasmin von Bargen

Als der Schmerz durchs Knie schoss, schien alles dahin. Paris 2024, der Start bei den Olympischen Spielen, der Traum von einer Einzelmedaille - nach einer unglücklichen Bewegung im Training in Hannover ganz weit weg. Kreuzbandriss! Schon wieder! Diesmal - Ende Mai - das linke Knie. Im November 2022 war es noch das rechte gewesen. Rückblickend Glück im Unglück, dass es nicht wieder im rechten Bein passierte. Es wäre womöglich das Karriereende gewesen.

"Als würde die ganze Welt zusammenbrechen." Judoka Giovanna Scoccimarro

"Ich war davor gerade auf einem Höhenflug, bin im Mai Vizeweltmeisterin geworden. Und zwei Wochen später reiße ich mir zum zweiten Mal das Kreuzband. Es fühlte sich an, als würde die ganze Welt zusammenbrechen", sagte die 26-Jährige bei ihrem Besuch im Sportclub des NDR. Die deutsche Top-Judoka vom MTV Vorsfelde war mental total am Boden, unglaublich hart aufgeschlagen. Sie sah sich vor den Trümmern ihrer Karriere im Leistungssport.

Kein Gedanke an ein Karriereende

Aber: Nie sei es ihr in den Sinn gekommen, mit dem Sport aufzuhören, sagte die gebürtige Gifhornerin, auch wenn sie die zweite schwere Knieverletzung mit einer viel größeren Wucht traf. "Beim ersten Kreuzbandriss war es nicht so gravierend, weil man dachte: 'Okay, du hast noch Zeit bis zu den Olympischen Spielen.' Der zweite war schon ein deutlicher Niederschlag, weil ich wusste, es ist nur noch knapp ein Jahr bis dahin", erzählte Scoccimarro.

Für ihre Psyche war es eine extreme Belastungsprobe. "Mir ging es mental sehr schlecht", räumte die Kauffrau für Büromanagement ein. Sie wusste genau, wie knapp alles zeitlich wird. "Jeder, der mal etwas mit den Knien hatte, weiß, dass alles eigentlich viel länger als ein Jahr dauert, bis das komplett geheilt ist. Wir sind dabei, alles zu geben, damit das Knie so schnell wie möglich fit wird."

Traum von Einzelmedaille treibt Scoccimarro an

Ein Risiko, das räumte die Wahl-Hannoveranerin ein, sei das "auf jeden Fall". Es nagt aber etwas an ihrem Verständnis daran, wie sie sich als Top-Sportlerin sieht. Etwas fehlt - eine olympische Medaille im Einzel. "Ich bin superstolz auf die olympische Bronzemedaille mit dem Team in Tokio. Aber wir sind als Judoka einfach Einzelkämpfer. Ich möchte alles dafür tun, dass ich diese Einzelmedaille bekomme."

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Wie weit der Weg ist, zeigt dies: Nur rund 15 Prozent der Athletinnen und Athleten im Bundeskader schaffen es überhaupt zu den Olympischen Spielen. Was passiert aber mit solch extrem ehrgeizigen Menschen, wenn das große Ziel verfehlt wird, wenn dieser enorm wichtige Lebensinhalt wegbricht?

"Eine Persönlichkeit haben sie natürlich auch über den Sport hinaus", sagte Dr. Lena Tessmer, Sportpsychologin am Olympia-Stützpunkt Hannover. "Wichtig ist, sich dessen auch bewusst zu sein, und das ist der große Knackpunkt. Dass sich ganz viele dessen gar nicht bewusst sind: Wer bin ich denn eigentlich noch, wenn ich den Sport nicht ausübe?"

Bangen um das Knie, Wettlauf mit der Zeit

Scoccimarros Traum wird sich nur erfüllen können, wenn auch ihr linkes Knie so gut heilt wie das rechte beim ersten Kreuzbandriss. Bisher sehe das gut aus, sagte sie. Die Ärzte hätten ihr gesagt, dass sich das Knie stabil anfühle, dass die Muskulatur gut vorhanden und es somit okay sei, das Risiko einzugehen. Bis zum 31. Juli 2024 muss sie in Top-Form kommen - dann starten in Paris die Judo-Wettkämpfe in ihrer Gewichtsklasse bis 70 kg.

"Natürlich ist es belastend", räumte Scoccimarro ein. "Es ist ein Traum, der nur alle vier Jahre wahr werden kann." Um sich besser gegen alle Widrigkeiten mentaler Art zu wappnen, arbeitet sie mit einer Sportpsychologin zusammen. "Es geht darum, von Kampf zu Kampf zu gucken. Man muss versuchen, das große Ganze auszublenden, um sich auf die ganzen kleinen Schritte zu fokussieren", so die Norddeutsche, die sich auch mal mit Gummibärchen belohnt. "Die sind sehr wichtig, ich kann da nicht anders", sagte sie mit einem Lachen.

In der nationalen Ausscheidung hinter Butkereit zurück

Es ist ein langer, steiniger Weg nach Paris. Auch weil sie in der nationalen Vorentscheidung ins Hintertreffen geraten ist. Pro Gewichtsklasse erhalten nur eine Athletin und ein Athlet das Olympia-Ticket. In ihrer Gewichtsklassse liegt sie in der nationalen Rangliste hinter der aus Glinde stammenden Miriam Butkereit.

Auch vor diesem Hintergrund ist Scoccimarrros Zeitplan enorm knapp getaktet. Im Januar will sie wieder anfangen zu kämpfen, an den Turnieren der IJF-World-Tour teilnehmen. Paris, Tel Aviv, Taschkent, Linz, Tiflis, Antalya, Duschanbe, Almaty, Ulaanbaatar - so sehen die Stationen aus.

"Bei jedem Turnier, bei dem ich dabei bin, muss ich einen Treffer landen", sagte die Niedersächsin. Damit sich für sie der Traum von einer Olympia-Teilnahme doch noch erfüllt - und sie einem noch größeren Traum näher kommt: dem Gewinn einer Einzelmedaille.

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