Fast alle Klippen umkurvt: Kitesurferin Leonie Meyer auf Olympia-Kurs

Stand: 08.04.2024 14:03 Uhr

Schon bald nach der Geburt ihres Sohnes Levi, der mit einer Fehlbildung am Unterschenkel zur Welt kam, verlor die deutsche Top-Kitesurferin Leonie Meyer den Kaderstatus. Die junge Familie lebte lange im Van. Nun könnte sich für die Kielerin der Traum von der Olympia-Teilnahme erfüllen.

von Christian Görtzen

Als ihr Name aufgerufen wurde, Applaus am Strand von Palma de Mallorca aufbrandete, und ihr diese massive, funkelnde Bronzemedaille um den Hals gehängt wurde, war Leonie Meyer klar: Sie ist jetzt - nach all den großen Herausforderungen in den vergangenen Jahren - ihrem Sehnsuchtsort Marseille so unglaublich nah! Dort, in der Marina du Roucas-Blanc, finden in der Zeit vom 28. Juli bis 8. August die Segel- und Surfwettbewerbe der Olympischen Spiele 2024 in Paris (26. Juli bis 11. August) statt.

Der dritte Platz beim Weltcup "Trofeo Princesa Sofía" vor der Balearen-Insel ist dafür im übertragenen Sinne wie ein "Big Air"-Sprung, der die Kitesurferin in die Lüfte heben und in etwas mehr als drei Monaten in 446 km Entfernung nordöstlicher Richtung landen lassen wird - in Marseille. Die internationale Norm hat die gebürtige Osnabrückerin längst erfüllt und Deutschland damit einen Olympia-Startplatz gesichert.

Mit viel Wind unter dem Kite zur WM nach Südfrankreich

Nun geht es für die Top-Athletin vom Norddeutschen Regatta Verein darum, sich in der nationalen Rangliste durchzusetzen. "Da stehe ich jetzt natürlich sehr gut da", sagte die 31-Jährige bei ihrem Besuch im NDR Sportclub mit Blick auf den dritten Rang beim Weltcup vor Mallorca.

Leonie Meyer, Kitesurferin © DSV/Sailingenergy Foto: DSV/Felix Diemer
Hofft auf Olympia: Leonie Meyer.

"Dort habe ich ordentlich Punkte gesammelt. Es müsste jetzt schon sehr viel schief gehen beim letzten Wettkampf, der WM in einem Monat, dass es nicht klappen sollte." Im Mai findet vor dem südfranzösischen Hyères, nur 85 km von Marseille entfernt, die Formula Kite WM statt.

Meyer verliert nach der Geburt ihres Sohnes den Kaderstatus

Dass sich für die Norddeutsche aller Voraussicht nach der große Traum von einem Start bei den Olympischen Spielen erfüllen wird, ist angesichts der Ereignisse in den vergangenen Jahren außergewöhnlich. Levi, der Sohn von Meyer und ihrem Partner Darian Rubbel, kam im Mai 2021 mit einer Fehlbildung am rechten Unterschenkel zur Welt.

Zahlreiche Behandlungen und lange Krankenhausaufenthalte im Ausland erschwerten danach den Trainingsalltag. Zudem wurden ihr durch Bestimmungen der Verbände das sportliche Vorankommen de facto unmöglich gemacht.

"Wir waren ein Jahr komplett ohne Unterstützung." Kitesurferin Leonie Meyer

"Die WM war vier Monate nach Levis Geburt. Ich hatte da noch mit einigen Komplikationen zu kämpfen, und dann kam eines zum anderen", schilderte Meyer. Sie verpasste die Kadernorm und verlor dadurch auch direkt ihren Kaderstatus. Meyer: "Wir waren finanziell eine Zeit lang schlecht aufgestellt, waren ein Jahr komplett ohne Unterstützung."

Junge Familie lebt zweieinhalb Jahre im Van

Ein langjähriger Sponsor half enorm dabei mit, dass für die Kielerin der Traum von Olympia nicht schon viele Monate vor der feierlichen Eröffnung der Spiele platzte.

Das Unternehmen stellte einen Van zur Verfügung, der für die junge Familie fortan das Zuhause war. Sie lebten zweieinhalb Jahre lang überwiegend auf diesen zwölf Quadratmetern und reisten durch die Welt - von Wettkampf zu Wettkampf und von Trainingsstätte zu Trainingsstätte - nichts Ungewöhnliches im Kitesurf-Kosmos, da so die komplizierte Logistik am besten zu bewältigen ist. Aber auch finanziell lohnend. "Es war natürlich das Günstigste, im Auto zu wohnen", sagte Meyer.

Meyer will mit dem DSV familienfreundlicheres Konzept erarbeiten

Inzwischen lebt die Familie in Tarifa, in Südspanien. Aber die Zeit ohne Unterstützung durch den Verband war prägend und wirkt verständlicherweise nach. "Ich würde mich gerne mit dem DSV zusammensetzen und ein Konzept erarbeiten, weil wir, so glaube ich, alle der Meinung sind, dass das nicht die Anforderung sein sollte. Also, dass man vier Monate nach der Geburt, bei der WM unter die Top Acht fahren muss", sagte Meyer. "Mein Körper konnte das nicht. Und ich glaube, dass es wenige weibliche Körper gibt, die das schaffen."

Dass es jetzt Richtung Olympia zu gehen scheint, sei vor allem dem familiären Zusammenhalt geschuldet. "Ohne mein Umfeld wäre das nicht möglich. Ich habe eine super Unterstützung von meiner Familie erhalten, in erster Linie von Darian, der sich sehr viel frei genommen hat, um auf Levi aufzupassen. Sonst wäre das alles nicht möglich", sagte Meyer, die 2016 mit der Aufnahme ihres Medizinstudiums vom 49er-Segeln zum Kitesurfen gekommen war. Das Studium beendete sie, ihrem Ehrgeiz entsprechend, in der Regelstudienzeit.

Hilfe bei Reisekosten durch Fonds für junge Eltern

"Dass sie ihren Weg konsequent verfolgt, sich durch nichts aus der Bahn werfen lässt, und dass sie das mit einer solchen Souveränität und Gelassenheit macht - das finde ich bewundernswert", sagte die Präsidentin des Deutschen Segler-Verbandes, Mona Küppers.

Leonie Meyer, Kitesurferin © DSV/Sailingenergy Foto: DSV/Felix Diemer
Leonie Meyer beim Sprung.

Vom DSV wird sie seit vergangenem Jahr auch über einen Fonds für junge Eltern unterstützt. Das helfe bei den Reisekosten, weil der zwei Jahre junge Levi im Flugzeug inzwischen einen eigenen Sitzplatz benötigt. Auch die Kosten für einen Babysitter könnten eingereicht werden, so Meyer.

Auf das Jahr gesehen, ergebe sich so eine Ersparnis von 4.000 bis 5.000 Euro. "Im Verhältnis zu dem, was unser Material und die ganze Kampagne kosten, ist das natürlich wenig. Aber es ist trotzdem ein superwichtiger Schritt. Denn ich weiß, dass der Verband auf diese Problematik aufmerksam geworden ist, mit Müttern und Vätern im Sport, und dass wir da jetzt auch zusammen in der Vorreiterrolle in Deutschland sind", sagte Meyer, die schon vor drei Jahren folgendes Ziel ausgegeben hatte: "Ich will als Mama und angehende Ärztin 2024 eine Olympia-Medaille gewinnen."

"Es macht mich stolz, dass wir das als Familie irgendwie geschafft haben." Darian Rubbel, Partner von Leonie Meyer

"Sie weiß auf jeden Fall, was sie will, ist da sehr passioniert und gibt alles dafür, ihre Ziele umzusetzen. Dazu ist sie warmherzig, Familie ist ihr ganz wichtig" sagte ihr Partner Darian. "Es macht mich stolz, dass wir das als Familie irgendwie geschafft haben. Dass sie da ist, wo sie jetzt ist und sie vielleicht auch zu den Olympischen Spielen fährt. Und das mit Familie, mit Kind, und mit den Herausforderungen in Levis Leben – dass wir dies alles unter einen Hut bekommen haben."

Es spricht viel dafür, dass der kleine Levi, der am Strand von Tarifa auch schon vergnügt Trockenübungen auf einem Kiteboard macht, Ende Juli mit seiner Familie in Marseille weilen wird. Sicherlich dann auch mit Oma Sabine, die einst im Segeln ganz knapp die Olympia-Qualifikation verpasst hatte, und mit Opa Rolf. Und dann werden sie alle gemeinsam Leonie Meyer feiern - und zwar vollauf verdient.

Weitere Informationen
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Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 06.04.2024 | 22:50 Uhr

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