26. Mai 1912: Als Holstein Kiel deutscher Meister wurde
Am 26. Mai 1912 feierte Holstein Kiel mit dem Gewinn der deutschen Fußball-Meisterschaft den bislang größten Erfolg seiner Vereinsgeschichte. Im Finale bezwang das "Störche"-Team mit vielen Spielern aus dem eigenen Nachwuchs den übermächtig wirkenden Karlsruher FV.
Aller guten Dinge sind drei. Zum dritten Mal hintereinander waren die Fußballer von Holstein Kiel im Jahr 1912 bei der Endrunde um die deutsche Meisterschaft mit dabei. Nach der Finalniederlage und dem Aus im Halbfinale in den Jahren zuvor nahmen die Kieler einen dritten Anlauf. Doch wie schon 1910 wartete im Endspiel der schier übermächtig erscheinende Karlsruher FV, gespickt mit mehreren Nationalspielern. Allerdings hatten auch die Kieler "Störche" eine starke Mannschaft, aus der einige den Sprung in das Team des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) geschafft hatten.
Und der 26. Mai 1912 sollte für die Schleswig-Holsteiner in die Geschichtsbücher eingehen. In der 52. Minute erzielte der Kieler Ernst Möller den Treffer des Tages und schoss sein Team damit zur ersten und einzigen deutschen Fußball-Meisterschaft für einen Verein aus dem nördlichsten Bundesland.
Kiels Team: Von der Jugend bis zur Meisterschaft
"Das Faszinierende an der Kieler Mannschaft von damals ist, dass sie im Kern von der Jugend an gewachsen war", berichtet Schriftsteller Hardy Grüne, der an der Chronik zum 100. Geburtstag Holstein Kiels mitgearbeitet hat. "Die waren bei der Vereinsgründung 12 oder 13 Jahre alt und standen zehn Jahre später zusammen in der ersten Mannschaft." Viele Clubs entstanden damals aus Straßen- oder Schülermannschaften. Jugendliche wurden so zu Pionieren in einer neuen Sportart und die Entwicklung des Fußballs verlief rasant.
"Das Faszinierende an der Kieler Mannschaft von damals ist, dass sie im Kern von der Jugend an gewachsen war. Die waren bei der Vereinsgründung 12 oder 13 Jahre alt und standen zehn Jahre später zusammen in der ersten Mannschaft." Schriftsteller Hardy Grüne
Nach kurzer Zeit nahmen die Vereine bereits Geld durch Zuschauer, aber auch Sponsoren ein und konnten so ihr Stadion ausbauen oder Spieler bezahlen. "Der DFB hat damals allerdings ganz strikt am Prinzip des Amateurismus festgehalten. Sport war Leidenschaft und Ehre", berichtet Tim Cassel vom Schleswig-Holsteinischen Fußballverband, der sich in seiner Doktorarbeit unter anderem intensiv mit der Geschichte von Holstein Kiel beschäftigt hat.
Nielsen-Brüder aus Dänemark - Erste Stadion-Tribüne 1911
Die Kieler sorgten im Jahr 1910 für Aufsehen, als sich die dänischen Brüder Sophus und Karlo Nielsen aus Dänemark Holstein anschlossen. "Die sind sicher nicht wegen der schönen Förde nach Kiel gekommen", meint Cassel, der in der Jugend für die Kieler spielte und später unter anderem im Tor von Zweitligist VfB Lübeck stand: "Neben Geld konnten die Vereine ihren Spielern andere Vorteile bieten, wie Jobs in Unternehmen oder beim Militär. Holstein hatte zum Beispiel gute Kontakte zur Marine. Aber über alles das haben die Clubs Stillschweigen bewahrt."
Ein Meilenstein war für Holstein Kiel der erste eigene Platz. Anfang des 20. Jahrhunderts mussten die Fußballer sich ihren Stellenwert erst erarbeiten. Zunächst blieben nur Wiesen oder mit den entsprechenden Kontakten Exzerzierplätze zum Spielen. Doch 1911 pachtete Holstein eine Anlange von der Stadt, wenig später entstand die erste Stadion-Tribüne. Cassel nennt es das "Kieler Phänomen", dass Holstein nach der Gründung im Jahr 1900 schon so schnell in die höchsten deutschen Sphären vorstoßen konnte. Schließlich hatten die Großstädte viele Jahre Vorsprung.
Doch schon im Jahr 1910 qualifizierte sich Kiel erstmals für die Endrunde um die deutsche Meisterschaft. Und der Weg führte die "Störche" sofort ins Finale. In der Vorrunde schaltete Holstein Preußen Berlin aus, gleich vier Tore schenkten die Kieler ihrem Gegner ein. Im Halbfinale waren es sogar sechs. Tasmania Berlin, heutzutage nur als schlechtestes Team der Bundesliga-Geschichte bekannt, hatte den Schleswig-Holsteinern beim 0:6 nichts entgegenzusetzen. Doch im Finale war es vorbei mit der Kieler Herrlichkeit. Im Endspiel gegen den Karlsruher FV mit ihrem britischen Trainer William Townley fügte Max Breunig nach torlosen 90 Minuten den Kielern in der 114. Minute per Elfmeter die bittere Niederlage zu. Im Jahr darauf unterlagen die "Störche" in der Vorschlussrunde dem späteren deutschen Meister Viktoria 89 Berlin mit 0:4.
Hamburger Hoheluft gutes Pflaster für Kiel
1912 nahmen die Kieler den nächsten Anlauf. Ohne Niederlage sicherten sie sich die Bezirks- und die norddeutsche Meisterschaft. Auf Reichsebene bezwangen die Schleswig-Holsteiner zunächst erneut Preußen Berlin und nahmen dann beim 2:1 gegen Viktoria Revanche für die Vorjahresniederlage - allerdings erst in der zweiten Verlängerung: In der 129. Minute erzielte David Binder den Siegtreffer. Im Finale gab es dann die zweite Gelegenheit, eine Rechnung zu begleichen.
Wieder hieß der Gegner Karlsruhe, das von 1901 bis 1912 gleich achtmal süddeutscher Meister geworden war. Auf Seiten der Badener lief mit Fritz Förderer der mit sechs Treffern beste Torschütze der Endrunde auf. Für die Kieler war mit drei Toren Binder am treffsichersten gewesen. Offiziell 9.000 Zuschauer gaben der Partie im Stadion des SC Victoria an der Hamburger Hoheluft den angemessenen Rahmen. Doch die Begegnung war zunächst mäßig, was auch daran lag, dass die Kieler den Angriff ihres Gegners in Schach hielt, wie die Karlsruher damals in einem Spielbericht festhielten.
Großer Lorbeerkranz und die Viktoria für Kiel
Die "Kieler Neuesten Nachrichten" (KNN) berichteten: "Beider Mannschaften bemächtigte sich eine begreifliche Aufregung, die erst allmählich einem mehr planmäßigen Spiel Platz machte. Schon zu Beginn sah man, daß Karlsruhe über eine bessere Technik, die Kieler aber über eine viel größere Schnelligkeit verfügten." Dennoch gehörten die besseren Chancen zunächst den Karlsruhern, die allerdings schon früh auf Mittelstürmer Gottfried Fuchs verzichten mussten, dem die Kniescheibe herausgesprungen war. Doch entweder verfehlten die Schüsse das Tor oder Holstein-Schlussmann Adolf "Adsch" Werner, der auch schon das DFB-Trikot getragen hatte, parierte.
Die "KNN" weiter: "Allmählich arbeitete sich Holstein frei, ein feiner Durchbruch Ficks wird von Hübner, dem Verteidiger Karlsruhes, in unfairer Weise innerhalb des Strafraumes unschädlich gemacht; Fick stürzte." Es gab Elfmeter: Möller zeigte keine Nerven und sicherte der Kieler Mannschaft den "vollverdienten Sieg, sie war unstreitig die bessere". Als Trophäen gab es einen großen Lorbeerkranz und die Viktoria.
Deutscher Amateurmeister 1961
Es sollte bis heute der einzige ganz große Titel der Kieler Vereinsgeschichte bleiben. Auch weil wenige Jahre später der Erste Weltkrieg ausbrach. "Holsteins Ligaelf zog ausnahmslos in den Krieg", heißt es in einer Ausgabe der Vereinszeitung im Jahr 1914. Einige Kieler sind im Krieg gefallen. "Es ist natürlich spekulativ, welche Erfolge das Team noch hätte einfahren können. Aber Fakt ist, dass die gewachsene Mannschaft auseinandergerissen wurde", meint Grüne. "Die Fusion der beiden Kieler Vereine im Krieg erwies sich allerdings als absoluter Glücksfall." Nur der große Wurf blieb aus: 1930 scheiterten die "Störche" erst im Finale gegen Hertha BSC mit 4:5, 1943 belegte Kiel nach einem 4:1 über Vienna Wien Rang drei. Erfolgreich war die KSV dafür bei den deutschen Amateurmeisterschaften 1961. Vor 70.000 Zuschauern in Hannover bezwang Holstein im Finale den Siegburger SV 04 mit 5:1. Den Sprung in die neue Bundesliga verpassten die Kieler zwei Jahre später allerdings knapp.