Ruder-Trainer Adam: Eine streitbare Legende
Karl Adam gilt als einer der erfolgreichsten Trainer des modernen Leistungssports. Der Studienrat aus Ratzeburg revolutionierte das Rudern, führte den Deutschland-Achter 1960 und 1968 zu Olympia-Gold. Er propagierte den mündigen Athleten - und lehnte Bevormundung beim Thema Doping ab. Eine bis heute umstrittene Haltung.
Er galt als Star, aber Rampenlicht und Allüren waren seine Sache nicht. Eher scheu sei er gewesen, der Mann mit der Mütze, dem Megafon und dem Fernglas vor der Brust, erinnert sich seine Tochter Gisela: "Das Brimborium abseits der Regattastrecken mochte er nicht. Es war ihm lästig.
Am liebsten hätte er sich verkrümelt." Aber Karl Adam, der Ruder-Professor, war eben ein Star. Einer, der in den 1950er- und 1960er-Jahren nicht nur seine Sportart revolutionierte. Für viele gilt Adam bis heute als "Vater der modernen Entwicklung des Leistungssports - weltweit", wie sein langjähriger Weggefährte, der Sportmediziner Paul Nowacki, sagt.
Ikone seines Sports
Wie Sepp Herberger im Fußball hat auch Adam in der Nachkriegszeit wundersame Erfolge gefeiert und ist zur Ikone seiner Sportart geworden. Noch immer wird dem 1976 gestorbenen Sturkopf gehuldigt, vor allem wenn die Rede vom Deutschland-Achter ist. Wie Herberger mit dem "Wunder von Bern" wird Adam mit dem Aufstieg des Rudersports assoziiert, der sich in sieben Titeln bei Welt- und Europameisterschaften sowie vor allem zwei Olympiasiegen seines Paradeboots in Rom (1960) und Mexiko (1968) manifestierte. Dabei hat der 1912 im westfälischen Halle geborene Pädagoge nie selbst an Riemen oder Skull ein Rennen gerudert.
"Schüler-Ruderer angedreht"
Es war eher einem Zufall zu verdanken, dass der Lehrer für Mathematik, Physik, Philosophie und Leibesübungen an der Gelehrtenschule im schleswig-holsteinischen Ratzeburg zum Mythos wurde und als einer der Ersten in die am 6. Mai 2008 gegründete "Hall of Fame" des deutschen Sports aufgenommen wurde. Adam: "Sie haben mir einfach die Schüler-Ruderer angedreht." Widerstand sei zwecklos gewesen, erzählte der damalige Studienrat.
Ruder-Professor vom Küchensee
Der Ruder-Professor vom Küchensee stellte fortan alles in Frage, probierte vieles aus: neue Hebelverhältnisse, andere Ruderblätter, leichtere Materialien. Er erfand die verstellbaren Ausleger und das Höhentraining auf dem Silvretta-Stausee. Auch in puncto Trainingslehre experimentierte er, nahm erfolgreich Anleihe bei anderen Sportarten.
Aus der Leichtathletik adaptierte er das Intervalltraining sowie Kraft- und Koordinationstraining. Selbstverständlich gehörte für ihn auch die Psychologie dazu. Vieles kannte der Boxer, der 1937 im Schwergewicht Studenten-Weltmeister geworden war, aus der eigenen Praxis. Doch vieles eignete er sich in theoretischen Studien oder auch durch empirisch-experimentelle Untersuchungen an.
Gelassen als Pädagoge
Seine Ruderer standen dabei stets im Mittelpunkt, Adam wollte sie zu Persönlichkeiten fürs Leben reifen lassen. "Er hatte die Fähigkeit, uns den Freiraum zu lassen, uns selbst zu motivieren", sagt der Olympiasieger von 1968, Dirk Schreyer, dem NDR Sportclub. Eine Anekdote aus dem Schulalltag verdeutlicht Adams Philosophie: Während Klassenarbeiten, so erzählten es Schüler später, habe Adam Zeitung gelesen und sich nicht um die Pennäler geschert.
Wer Leistung erschleicht, schummelt oder täuscht, werde die Quittung und Strafe in seinem Leben bekommen, meinte er. Getreu seinem Kernspruch: "Die Struktur der Leistung ist auf allen Gebieten gleich". Nachzulesen ist dies bis heute auf dem Karl-Adam-Gedenkstein am Küchensee in Ratzeburg.
Autodidakt mit NS-Vergangenheit
Doch es gibt auch weniger ruhmreiche Episoden in der Biografie des Autodidakten, der wie Emil Beck (Fechten) oder Gustav Kilian (Bahnrad) eine komplette Sportart geprägt hat. Über Krieg und Nationalsozialismus mochte der Unteroffizier nicht sprechen; ein Granatsplitter hatte ihm den linken Unterarm zertrümmert und den Dünndarm teilweise zerrissen.
Bei Hitlers Machtergreifung war Adam 20 Jahre alt, beim Ausbruch des Krieges 27. Ein Jahr blieb der Student in Münster Mitglied in der SA, unterrichtete an der Nationalpolitischen Lehranstalt (Napola), und das Parteibuch der NSDAP hatte er auch. Trotzdem überstand er am 11. November 1947 den Entnazifizierungsausschuss in Itzehoe und durfte in den Schuldienst.
Fragwürdige Haltung zum Doping
Bis heute umstritten ist Adams Rolle und Haltung beim Umgang mit Doping. Als leidenschaftlicher Pädagoge vertrat er die Auffassung, dass "jeder Athlet ein Recht auf das beste Training und das beste Material hat" - was durchaus zweideutig zu interpretieren ist. In seinem Buch über Sinn und Unsinn des Leistungssports von 1975 wird Adam deutlicher: "Als Trainer bin ich der Ansicht, dass die Entscheidung, ob ein Athlet seine physiologischen Leistungsvoraussetzungen etwa durch Anabolika verbessern will, nur er selbst treffen kann. Funktionäre, Sportmediziner, Trainer haben die Pflicht zur Aufklärung über die Wirkung, aber nicht das Recht der Bevormundung."
Historiker: Freifahrtschein für Athleten
Der Sporthistoriker Erik Eggers nennt es problematisch, dass sich Adam so geäußert und den Athleten quasi einen Freifahrtschein ausgestellt hat. Vorstellen könne er sich, "dass Adam mit solchen Stoffen experimentiert hat - oder die Athleten damit hat experimentieren lassen". Beweise gibt es keine.
Verbrieft ist, dass keiner der von Adam trainierten Athleten jemals des Dopings überführt wurde. Solche Manipulationen seien weder für Adam noch für ihn als verantwortlichen Arzt jemals ein Thema gewesen, beteuert Nowacki im NDR Sportclub. "Seine Haltung", so glaubt Gisela Adam, "war: Soll doch jeder machen, was er will. Wenn er dann tot aus dem Ruderboot oder vom Rad fällt, dann ist es seine Entscheidung gewesen."
Erfolg braucht Aggression
Sein Konzept vom mündigen Athleten geriet bisweilen ins Wanken. Dann nämlich, wenn der Erfolg ausblieb oder in Gefahr geriet. Dann trickste Adam - und aus dem friedliebenden Pädagogen und Philanthropen konnte eine Art "Hassprediger" werden: "Sport ist Kampf - und Kampf lässt sich nur durchführen auf der psychologischen Grundlage der Aggression. Also auf Grund von Hassgefühlen", sagte Adam: "Und wenn die Hassgefühle nicht vorhanden sind, dann muss man sie erregen - notfalls in der Mannschaft gegen den Trainer. Das habe ich schon mehrfach mit Erfolg praktiziert."
Früher Tod beim Dauerlauf
Nach Platz fünf des Deutschland-Achters bei den Olympischen Spielen in München 1972 trat Adam zurück. Die Dominanz der deutschen Ruderer war dahin, was Adams Kritiker auch ihm anlasteten, weil er seit jeher allzu sorglos aus der Ruderschule geplaudert und andere Nationen damit stark gemacht habe. Gesundheitlich schwer angeschlagen, zog sich der Ratzeburger Ehrenbürger (1962), Ehrendoktor der Uni Karlsruhe (1972) und Träger des Bundesverdienstkreuzes (1972) im Februar 1976 auch aus der Leitung der Ruderakademie zurück.
Die Trainer-Legende Karl Adam starb am 18. Juni 1976 mit 64 Jahren bei einem vom Arzt verordneten 4.000-m-Lauf an Herzversagen - einen Monat vor den Olympischen Spielen in Montréal, wo der Deutschland-Achter mit Platz vier abermals eine Medaille verpasste. Gold ging an den Achter aus der DDR.
