Lorkowski: Pokalheld, Aussteiger, Lebenscoach
Michael Lorkowski trainierte als junger Coach den FC St. Pauli und führte 1992 Hannover 96 sensationell zum Pokalsieg. Später gönnte er sich eine Auszeit und segelte lange durch die Karibik. Es folgte der Karriereknick. Heute trainiert Lorkowski Kinder und Jugendliche in Hamburg.
Horst Hrubesch hatte eindringlich gemahnt: "Pass auf, dass du nicht zu lange wegbleibst, sonst kommst du nicht wieder rein." Doch Michael Lorkowski schlug die Warnung seines Trainerkollegen buchstäblich in den Wind. 2001 stach der gebürtige Hamburger in Travemünde mit seinem Zweimaster "Blaubart" in See, segelte binnen sechs Wochen bis Gran Canaria und dann weiter in die Karibik. Ausgebrannt und kaputt, des harten Fußballgeschäfts überdrüssig. "Heute würde man das als Burnout bezeichnen. Ich war einfach müde vom Fußball. Ich bin ein Motivator-Typ. Aber wenn du keinen mehr motivieren kannst und selber nicht mehr motiviert bist, bist du fehl am Platz", schilderte er dem NDR Sportclub. Es habe zu viel Druck in der Schlussphase seiner Zeit im Profigeschäft gegeben, so der 58-Jährige: "Es war eine sehr stressige Zeit für mich. Deshalb brauchte ich einfach einmal eine Phase, in der ich regenerieren konnte."
Sensations-Coup mit Hannover 96
Lorkowskis größter Triumph lag zu diesem Zeitpunkt bereits über acht Jahre zurück: Am 23. Mai 1992 hatte er Hannover 96 sensationell zum DFB-Pokalsieg geführt, als einziger Coach hat er mit einem Zweitligisten den "Pott" gewonnen. Ihm wurde eine große Trainerlaufbahn prophezeit. Sein Abschied aus Hannover hatte indes nach internen Querelen über eine mögliche Vertragsverlängerung bereits vor dem unverhofften Finalsieg gegen Borussia Mönchgladbach festgestanden. Der Pokalsieger ging zurück zum FC St. Pauli, wo er seine Karriere als Proficoach 1982 als 27-Jähriger begonnen hatte, dann nach Wuppertal, Lübeck, Braunschweig und 2000 zu Zweitliga-Aufsteiger VfL Osnabrück - der Anfang vom Ende. "Ich habe die Situation völlig unterschätzt. Die Mannschaft war voller Euphorie in die Zweitliga-Saison gegangen und ich als neuer Trainer habe die Leistungsstärke der Mannschaft falsch eingeschätzt. Es war ein Fehler, das zu machen", weiß er heute. Osnabrück stieg ab und entließ Lorkowski - eine folgenreiche Entscheidung. "Ich hatte das Bedürfnis, mal etwas anderes zu machen, als Mannschaften vor dem Abstieg zu retten. Ich brauchte einfach wieder neue Energie", berichtete der Coach. Er stieg aus.
Karriereknick nach Karibiktraum
Zwei Jahre lang kreuzte "Lorko" zwischen St. Lucia, Guadeloupe und Martinique, erfüllte sich damit einen Lebenstraum. "Es war immer mein Wunsch, mal auf einem Schiff zu leben und frei zu sein. Es war nicht spontan. Ich hatte mir immer überlegt, wenn sich die Gelegenheit bietet, dann möchte ich das tun. Und es machte Sinn, das in dem Alter zu tun, denn es ist harte Arbeit und sehr anspruchsvoll", erzählte er dem Sportclub. Noch heute zehrt er von den Erlebnissen, von den Abenteuern und der Anonymität des Trips, bei dem er nur einmal erkannt wurde. Doch schließlich überwogen das Heimweh und die Sehnsucht - auch nach dem Fußball. 2003 segelte er über die Azoren und die Jersey-Inseln zurück. Allein, die Rückkehr auf die Trainerbank eines Proficlubs gelang nicht mehr. "Mir war klar, dass ein Wiedereinstieg nach zwei Jahren Auszeit sehr schwierig wird. Aber ich habe eigentlich gedacht, durch die Erfolge, die ich in der Vergangenheit mit Hannover, Lübeck und Wuppertal hatte, dass ich schneller wieder reinkomme. Das war ein Irrtum", sagte der 58-Jährige, dem das Image als Sunnyboy und Lebemann anhaftet. Davon hält er nichts: "Man muss an seiner Arbeit gemessen werden, was man erreicht hat. Da kann ich mir keine Vorwürfe machen. Ich habe meine Ziele eigentlich immer erreicht und mit Hannover sicherlich auch über das Ziel hinaus."
Anspruchsvolle Arbeit mit Jugendlichen
Angebote als Fußballtrainer blieben dennoch aus, von Engagements beim MTV Wolfenbüttel, SSV Wolfenbüttel und bei den Junioren des SV Eichede abgesehen. Lorkowski fuhr zunächst Segeltörns auf der Ostsee, schließlich gab seine Freundin für ihn eine Bewerbung auf eine Stelle als Aushilfslehrer in Wolfenbüttel ab. Seither arbeitet der Diplomsportlehrer mit Kindern und Jugendlichen, ist aktuell an drei verschiedenen Schulen in Hamburg tätig. "Ich trainiere in Harburg, St. Pauli und Altona mit schwierigen Kindern Fußball, mache Projekte mit ihnen und versuche sie ein bisschen von der Straße zu holen", berichtete er. Eine anspruchsvolle Aufgabe: "Es ist nicht leicht, die Kinder zu motivieren. Das ist bei Profis leichter. Für die ist das ihr Job. Aber bei Kindern muss man überzeugend arbeiten, um etwas aus ihnen herauszuholen. Ohne die Energie, die ich mir in der Karibik geholt habe, würde ich das gar nicht können." Den nötigen Abstand garantiert zudem sein Häuschen im schleswig-holsteinischen 400-Seelen-Örtchen Stubben, das er 1983 gekauft hat und auf dessen Gelände er Schafe hält: "Nur deswegen kann ich das ertragen, diese Hektik in Hamburg. Wenn ich die rund um die Uhr hätte, wäre ich unzufrieden."
"Ich glaube, ich bin schon zu lange raus"
Der Job als "Lebenscoach" für aggressive, teilweise straffällige Jugendliche erfüllt ihn: "Wenn man die Erfolge bei den Kindern sieht, auch in schwierigen Gebieten in Hamburg, dann ist das schon toll. Ich weiß, dass diese Arbeit, die ich jetzt mache, sehr wichtig ist." Und doch macht der jüngste Zweitliga-Trainer aller Zeiten, der mit St. Pauli und dem VfB Lübeck den Aufstieg in die Zweite Liga schaffte, Fortbildungen beim DFB und steht bereit, falls ein Proficlub anruft. "Ich träume davon, noch einmal auf jemanden zu treffen, der Bock hat, etwas mit mir zu machen. Unabhängig von der Liga. Es wäre mir egal, ob das eine A- oder B-Jugendmannschaft ist. Aber schon auf einem anspruchsvollen Niveau, auch was die Qualität der Spieler betrifft. Wo man auch ein paar Anforderungen stellen kann und es nicht nur Erziehungsmaßnahmen sind, so wie ich das jetzt mache", überlegte er laut - und weiß doch ganz genau, was Hrubesch einst ahnte: Von den großen Stadien und seinem einstigen Fußballtraum ist er sehr weit weg: "Es sind schon genug Trainer in der Warteschleife, die sich anbieten. Ich glaube, ich bin schon zu lange raus, als dass man auf mich zurückkommt."