Hannovers Triumph 1992: Der größte Pokalcoup aller Zeiten
Am 23. Mai 1992 schrieb Hannover 96 Fußball-Geschichte: Die Niedersachsen gewannen den DFB-Pokal - als erster und bislang einziger Zweitligist.
Seit 1952 lässt der der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den DFB-Pokal ausspielen (zuvor gab es von 1935 bis 1943 als Vorläufer den "Tschammer-Pokal") - seitdem hat lediglich ein einziges Mal ein Zweitligist die Trophäe gewonnen: Hannover 96, das sich 1992 gegen den Bundesligisten Borussia Mönchengladbach durchsetzte. Zwar erreichte 1970 mit Kickers Offenbach ebenfalls ein Zweitligist das Finale, doch den Titelgewinn feierten die Hessen als Bundesligist. Das Endspiel wurde wegen der Weltmeisterschaft in Mexiko erst in der neuen Saison am 29. August ausgetragen.
23. Mai - ein historisches 96-Datum
Für die Pokalsensation haben sich die Hannoveraner ein aus Vereinssicht perfektes Datum "ausgesucht". Das Endspiel in Berlin fand am 23. Mai 1992 statt - an einem 23. Mai hatten die Niedersachsen 38 Jahre zuvor ihren letzten großen Titel geholt - ebenfalls als Außenseiter. Mit einem fulminanten 5:1 über den hohen Favoriten 1. FC Kaiserslautern, aus dessen Reihen wenige Wochen später fünf Spieler durch das "Wunder von Bern" Weltmeister wurden, gewann Hannover 96 sensationell die deutsche Meisterschaft.
Bochum erstes prominentes Opfer
Auf dem Weg zum überraschenden Pokalgewinn 1992 räumt der Underdog aus der niedersächsischen Landeshauptstadt fünf Bundesligisten aus dem Weg. Das erste prominente Opfer ist nach dem leichten Aufgalopp bei Marathon Berlin in Runde zwei der VfL Bochum.
Bei den Westfalen setzt sich das Team von Trainer Michael Lorkowski mit 3:2 durch. Ein erstes Ausrufezeichen, getoppt nur noch durch den Lokalrivalen TSV Havelse, der als Drittligist in der gleichen Runde den Bundesligisten 1. FC Nürnberg nach Elfmeterschießen aus dem Rennen wirft.
Sensation im Westfalenstadion
Doch während Havelse in der dritten Runde sang- und klanglos in Bamberg ausscheidet, startet Hannover 96 richtig durch. Auch Borussia Dortmund scheitert im eigenen Stadion mit 2:3 an dem Pokalschreck aus der Zweiten Liga. Der Bundesliga-Tabellenführer liegt zur Halbzeit mit 2:0 vorne, doch Patrick Grün, André Breitenreiter und Jörg-Uwe Klütz drehen die Partie.
96 ist in der Saison die einzige Mannschaft, die im Westfalenstadion gewinnen kann. Im Achtelfinale hat Hannover erstmals Heimrecht, Liga-Konkurrent Bayer Uerdingen wird durch ein Grün-Tor mit 1:0 bezwungen. Mit dem gleichen Ergebnis schicken die "Roten" einen Monat später den Erstligisten Karlsruher SC nach Hause. Mathias Kuhlmey erzielt das Tor des Abends.
Elfmeterdramen im Halbfinale und Finale
Das große Los zieht Hannover im Halbfinale. Zu Gast im Niedersachsen-Stadion ist der Titelverteidiger (und spätere Europapokalgewinner) Werder Bremen. 0:0 steht es vor 57.000 Zuschauern nach 90 Minuten. Fünf Minuten sind in der Verlängerung gespielt, als die 96-Fans erstmals jubeln dürfen: Michael Koch schießt Hannover in Front. Doch die Freude währt nur kurz, Rune Bratseth gleicht zwei Minuten später für den Favoriten aus. Es geht ins Elfmeterschießen.
Zum Held des Abends wird 96-Keeper Jörg Sievers. Erst verwandelt er zum 5:4, dann hält er gegen Bremens Marco Bode - Hannover steht im Finale von Berlin. "Im Grunde war es nach meinem verwandelten Elfer ganz einfach für mich", erinnert sich Sievers später: "Ich musste ja nur noch halten - Marco hat dann auch nicht sehr platziert geschossen."
Sievers pariert, Schjönberg vollendet
Im Endspiel gegen Borussia Mönchengladbach muss wieder ein Elfmeterschießen die Entscheidung bringen: 0:0 steht es nach 120 Minuten, 2:2 nach den ersten beiden Schützen. Dann tritt Karlheinz Pflipsen an - Sievers hält.
Der vermeintliche Vorteil ist aber wieder vergeben, als auch Hannovers Oliver Freund am Gladbacher Keeper Uwe Kamps scheitert. Doch Teufelskerl Sievers hält auch den nächsten Elfmeter - Holger Fach ist der Unglücksrabe auf Seiten des Bundesligisten. 3:3 steht es schließlich, als Michael Schjönberg als letzter der ersten fünf Schützen antritt.
Der Däne bleibt cool und versenkt den Ball in der linken Ecke - 20.37 Uhr zeigt die Stadionuhr im Berliner Olympiastadion, mit Hannover 96 gewinnt erstmals ein Zweitligist den DFB-Pokal.
50.000 Fans bereiten einen begeisternden Empfang
Die Rückfahrt gerät zum Triumphzug: "Auf der Fahrt von Berlin nach Hannover war eine Wahnsinnsstimmung in der Mannschaft. Ich habe denen ja immer unterstellt, dass sie nicht feiern können - aber das stimmte absolut nicht", erklärt Lorkowski. Auch Elfmeterheld Sievers erinnert sich gerne an die bewegenden Tage zurück: "Geträumt hat davon jeder, ob man daran geglaubt hat, ist etwas anderes. Aber man war doch wirklich mehr als froh, dass man das miterleben durfte."
50.000 Fans empfangen am Tag nach dem Finale in Hannover die Mannschaft und feiern ihre Pokalhelden. Die sportliche Belohnung für Hannover im Europapokal der Pokalsieger fällt enttäuschend aus: In Runde eins wartet mit Werder Bremen kein internationaler Gegner, sondern ein nur 120 Kilometer entfernter Bundesligist. 96 scheidet aus, versinkt wieder in der Anonymität der Zweiten Liga.