THW Kiel: Die deutliche Derby-Niederlage und eine Erkenntnis
Das 33:37 im Handball-Landesderby gegen die SG Flensburg-Handewitt war bereits die vierte Bundesliga-Niederlage des THW Kiel in der noch jungen Saison. Trainer Filip Jicha gibt sich unbeeindruckt. Aber Fakt ist, die "Zebras" laufen den eigenen Ansprüchen hinterher.
Weit muss man in der Historie nicht zurückgehen, um einen ähnlich schlechten Saisonstart des deutschen Handball-Rekordmeisters zu finden. Genau vor einem Jahr standen die Kieler nämlich auch mit 12:8 Punkten da. Am Ende verpasste der Meister die angestrebte Champions-League-Quali als Vierter um satte neun Zähler hinter den Füchsen Berlin. Der Rückstand auf den SC Magdeburg betrug sogar 15 Punkte!
Ein GAU im Kieler Selbstverständnis. Aber auch die Erklärung dafür, dass Trainer Filip Jicha nun die Fragen nach einer Krise nach der dritten Derbyniederlage in Serie abzublocken versuchte: "Das ist überhaupt nicht unser Thema jetzt. Wir sind in die Saison gestartet und wussten, wo wir herkommen. Wir arbeiten weiter. Wir lassen uns nichts einreden."
Doch die Kieler sind zu einer deutlichen Erkenntnis gekommen: Die Zeiten, in denen der THW seine Punkte im Liga-Alltag im Vorbeigehen einsammelte, sind vorbei. "Wir können die Sachen nicht einfach locker runterspielen", sagte Linksaußen Rune Dahmke. "Das kostet extrem viel Energie und man merkt dann auch mal, dass der Tank leer ist. Aber anders geht es nicht."
Angeschlagener Duvnjak kämpft bis zum Umfallen
Aktuell sind die Kieler lediglich Mittelmaß. Reichten die 12:8 Punkte vor einem Jahr noch zu einem Platz in den Europapokal-Rängen, schlägt aktuell lediglich Rang neun zu Buche. Bei den Rhein-Neckar Löwen verlor der THW mit fünf Toren Differenz, gegen die MT Melsungen waren es vier, bei den Füchsen sogar neun - und jetzt wieder vier. Vier klare Niederlagen, denen dann aber auch die Highlight-Siege gegen Magdeburg - in der Liga auswärts und im Pokal zu Hause - gegenüberstehen.
"Wir müssen wirklich alles, was wir haben, investieren." THW-Linksaußen Rune Dahmke
Diese beiden Partien haben gezeigt, dass es geht. In der Breite genügt der Kader allerdings derzeit offenbar nicht den Ansprüchen. Die Qualität reicht (noch) nicht. Gegen Flensburg konnte Kiel in den ersten zehn Minuten mithalten. Danach war der THW in allen Belangen unterlegen. Der angeschlagene Antreiber Domagoj Duvnjak war zu Beginn bärenstark. Dass er sogar noch das Abschlusstraining verpasst hatte, zeigte sich aber bald. "Am Ende waren die Kräfte bei ihm weg", erklärte Jicha.
Dahmke: Spielverlauf wird zum "mentalen Ding"
Die Probleme können aber nicht bloß mit fehlenden Kräften eines 36-Jährigen erklärt werden. Coach Jicha hatte nach eigener Aussage schon vorab auf die große Bedeutung von Eins-gegen-Eins-Situationen hingewiesen. Hinterher musste der Tscheche enttäuscht feststellen: "Wir haben unglaublich viele direkte Duelle verloren."
Jicha lobte Duvnjak für seinen großen Einsatz, der mit den Ärzten abgesprochen gewesen sei. "Wenn 'Dule' draußen war, sind wir leider mehr in den Verwaltungsmodus und weniger auf Attacke gegangen. Das hat uns schrittweise den Faden aus den Händen genommen."
Besonders bitter war das Überzahl-Spiel. Der THW habe das Sieben-gegen-Sechs "nicht mit voller Überzeugung" gespielt, ärgerte sich Dahmke: "Wir hatten zu viele leichte Ballverluste und haben drei, vier, fünf hintereinander ins leere Tor bekommen. Und dann ist es auch ein mentales Ding. Dann schiftet das Momentum und wir sind nur noch hinterhergelaufen."
Jicha stellt sich "voll hinter meine Jungs"
Jicha betonte, es hätten "die Übersicht, die Ruhe und die Selbstverständlichkeit" gefehlt und fügte trotzdem hinzu: "Ich stelle mich voll hinter meine Jungs." Dabei hat der ehemalige Welthandballer seine Talente im Blick: "Wer - wie bei uns - sechs Spieler aus dem Jahrgang 2000 oder jünger im Kader hat, sollte nicht erwarten, dass sie jeden Tag diese Übersicht haben wie am Mittwoch (Anm.d.Red.: beim 29:28 gegen Magdeburg im Pokal). Dafür muss man ein paarmal solche Derbys in dieser Atmosphäre gespielt haben."
In der European League wieder Selbstvertrauen tanken?
Zum Lernprozess gehört sicher auch der Umgang mit Niederlagen - und die "tun richtig weh", wie Dahmke nach der Flensburg-Pleite unterstrich. Aber: "Man sollte zum jetzigen Zeitpunkt nicht alles abschreiben. Dafür sind zu wilde Konstellationen und zu wilde Ergebnisse dabei", sagte der Nationalspieler mit Blick auf die Tabelle, die überraschend von Melsungen (18:2 Punkte) angeführt wird. Vor dem Team liege aber "ein richtig schwieriger Weg" - um am Ende doch zumindest wieder im Europapokal vertreten zu sein. "Wir müssen Spiele gewinnen", forderte Dahmke.
Vor dem nächsten schwierigen Ligaspiel beim VfL Gummersbach am Freitag (20 Uhr) steht zunächst die nächste Aufgabe in der European League an: Schon am Dienstag (20.45 Uhr) spielen die Schleswig-Holsteiner in Torrelavega. Und vielleicht gelingt es Jichas "Jungs", in Spanien neues Selbstvertrauen zu tanken.