Kommentar - Olympia-Ticket gelöst, doch Probleme bleiben bestehen
Über einen Umweg hat sich die deutsche Handball-Nationalmannschaft für die Olympischen Spiele in Paris qualifiziert. Ist damit jetzt alles gut? Keineswegs! Der Erfolg per Zittersieg gegen Österreich dürfe viele Probleme nicht übertünchen. Auch Bundestrainer Alfred Gislason muss sich Kritik gefallen lassen. Ein Kommentar von Thorsten vom Wege.
Deutschlands Handball-Männer sind bei den Olympischen Spielen dabei. Klingt nach Stehsatz, mit Ausnahme von 2012 war das bisher nämlich die Normalität. In diesem Olympiazyklus hing die Qualifikation aber am seidenen Faden, erst der 34:31-Sieg gegen Österreich in einem echten Finale um das Ticket nach Paris brachte Klarheit: Der DHB ist dabei an der Seine - Ende gut, alles gut also?
Beim Turnier in Hannover Zittern bis zum Schluss
Mitnichten: Denn man muss die Zittereinlagen auf dem Weg in die französische Hauptstadt schon ein bisschen einsortieren. Dass man sich nicht als Welt- oder Europameister direkt für die Spiele qualifizieren würde, war mit Blick auf das Leistungsniveau des Handballs hierzulande keine Sensation. Aber bei der EM im eigenen Land bestand die Chance, im "kleinen Finale" gegen Schweden alles klar zu machen in Richtung Olympiateilnahme – das wurde nix.
Stattdessen drehte man die Ehrenrunde über das Turnier in Hannover und trotz des Heimvorteils gelang es nicht, sich souverän für die Spiele zu qualifizieren. Vielmehr gab es das große Zittern bis zum Finale gegen die Österreicher.
Keine Kontinuiät in der DHB-Auswahl
Aber woran liegt das? Alfred Gislason war nach durchschnittlichen Resultaten bei den Spielen in Tokio und diversen Welt- und Europameisterschaften als Bundestrainer noch einmal angetreten, um eine neue, schlagkräftige Mannschaft zu formieren. Das scheint nur zum Teil gelungen. Neben Haudegen wie Andreas Wolff, Rune Dahmke, Kai Häfner und Jannik Kohlbacher – allesamt 2016 Europameister – gibt es inzwischen mit Juri Knorr, Julian Köster und Kapitän Johannes Golla weitere Leistungsträger.
Insbesonders die beiden Erstgenannten unterliegen aber eben nach wie vor ab und an zu großen Leistungsschwankungen. Kontinuität über 60 Minuten ist in der Männernationalmannschaft derzeit ein Fremdwort.
Erreicht Gislason in jeder Situation das Team?
Als Außenstehender stellt man sich zudem die Frage ob der Bundestrainer sein Team wirklich noch in jeder Situation erreicht. Es gibt Stimmen, die das vehement bestreiten, allerdings nicht in der Öffentlichkeit. Hinzu kommt der Wirbel um Gislasons letzte Vertragsverlängerung, die ja gekoppelt war an die Qualifikation für die Spiele. Gislason wirkte danach fast gekränkt, fühlte sich vielleicht in seiner Ehre angefasst und reagierte auch entsprechend dünnhäutig. Das alles sorgte nicht gerade für gute Laune, setzte alle Beteiligten unter Druck und das war nach außen spürbar.
Medaille bei Olympia ist unrealistisch
Um die Kirche im Dorf zu lassen - die Mannschaft hat das gesteckte Ziel erreicht, und bis Paris ist es noch ein Weilchen. Vielleicht aber sollte man in Handball-Deutschland auch nur damit aufhören, sich ständig einzureden, man sei der Nabel der Handball-Welt. Leistungsmäßig stimmt das schon lange nicht mehr. Und man täte hierzulande vielleicht gut daran, das eigene Vermögen realistisch einzuschätzen. Vermutlich wird es aber wieder heißen, man fahre nicht nach Paris, wenn man nicht um eine Medaille mitkämpfen wolle. Das ist ehrenhaft, aber unrealistisch.
Bleibt die Mannschaft zusammen und setzt die von Turnier zu Turnier gesammelten Erfahrungen irgendwann auch in den Spielen um, darf man vor der Heim-WM 2027 vielleicht mal darüber nachdenken, ob das Halbfinale realistisch ist. In Paris dagegen wäre das Erreichen der K.o.-Runde, also das Viertelfinale, schon ein Erfolg.