HSV-Präsident Martens: Verehrt, verfolgt, entmannt
Ob Martens' Sympathisieren mit den Nazis aus Überzeugung oder Berechnung geschieht, ist unklar. Wenn er sich als Homosexueller vor Repressalien schützen wollte, dann hat es nicht funktioniert. Denn irgendwann nach seiner Absetzung als HSV-Vorsitzender gerät Martens, der masochistisch veranlagt ist, ins Fadenkreuz der Nazis. Es beginnt ein Martyrium, das in seinen Ausmaßen und Konsequenzen nicht bekannt wäre, hätte Dr. Gottfried Lorenz bei seinen Forschungen über die Lebens- und Leidensgeschichten schwuler Männer, die aufgrund des Paragrafen 175 des deutschen Strafgesetzbuchs juristisch verfolgt wurden, nicht zufällig auch die Vernehmungs- und Polizeiakten zum Fall Martens gefunden.
"Gefahr für die öffentliche Sicherheit"
Ob Martens von einem der Strichjungen, mit denen er verkehrt, denunziert wird oder durch das Besuchen einschlägiger Lokale auf St. Pauli die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich zieht, ist anhand der Akten nicht eindeutig zu klären. Belegt ist, dass er am 14. Dezember 1936 vom Schwurgericht Hamburg wegen fortgesetzter widernatürlicher Unzucht nach § 175 zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt wird. Nach dem Verbüßen seiner Haftstrafe zieht sich Martens aus dem öffentlichen Leben zurück. Es folgen zwei weitere Verurteilungen: Am 14. April 1939 wegen Unzucht in zwei Fällen zu 20 Monaten Gefängnis sowie am 15. Mai 1942 als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher zu 18 Monaten Zuchthaus und Sicherungsverwahrung - sprich: Überführung in ein Konzentrationslager. Im Urteil heißt es: Solange der Angeklagte nicht entmannt sei, bedeute er "für die öffentliche Sicherheit, insbesondere für die staatlichen Bestrebungen, das Strichjungenunwesen zu bekämpfen, eine derartige Gefahr, dass seine Sicherungsverwahrung unumgänglich ist". Dabei hat Martens bereits Anfang März 1942 der Staatsanwaltschaft über seinen Anwalt mitgeteilt, dass er sich "freiwillig entmannen" lassen wolle.
Das Leben ist für den einstigen Vorzeige-Kaufmann und HSV-Präsidenten schon lange vorher unerträglich geworden. Seine Arbeit hat Martens verloren, Sportplätze meidet er und leidet sehr darunter. Ende 1941 versucht er, sich das Leben zu nehmen.
Eigene Kastration bezahlt
Martens wird am 15. Dezember 1942 kastriert. Die Rechnung dafür muss er selbst zahlen. Entlassen aus der Sicherungsverwahrung wird Martens allerdings erst über ein Jahr nach seiner "freiwilligen Entmannung" - am 6. Januar 1944. Die Verzögerung ist vermutlich nur mit Schikane zu erklären. Rehabilitation erfährt Martens nach Kriegsende keine. Er findet allerdings den Weg zurück zum HSV, kickt bei den Alten Herren und ist im Ältestenrat aktiv. Emil Friedrich Martens stirbt am 15. Januar 1969 im Alter von 83 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls. Knapp vier Monate nach seinem Tod beschließt die Bundesregierung, die Homosexualität unter Männern nicht mehr zu bestrafen.
- Teil 1: Typ charmanter "Macher"
- Teil 2: "Freiwillige Entmannung"