Vom Herbstmeister zum Abstiegskandidaten: St. Paulis absehbarer Niedergang
Die Hinrunde endete für Fußball-Zweitligist FC St. Pauli mit einem spektakulären 4:4 beim Karlsruher SC. Danach herrschte bei den Braun-Weißen was den Abstiegskampf betrifft allgemeine Zuversicht. Doch sie ist aufgrund der eklatanten Probleme des Teams trügerisch.
"Riesenkompliment an meine Mannschaft, die immer wieder zurückgekommen ist", freute sich Trainer Timo Schultz über die Comeback-Qualitäten seiner Spieler gegen den KSC. Und auch Torschütze Lukas Daschner ergänzte zuversichtlich: "Wir haben die Mentalität. Das haben wir schon öfter bewiesen."
Doch trotz des jüngsten Punktgewinns wird der FC St. Pauli froh sein, hinter das Jahr 2022 bald einen Haken setzen zu können. Nach der Wintermeisterschaft und dem anschließend verpassten Bundesligaaufstieg im Mai befindet sich die Mannschaft mittlerweile im Tabellenkeller der Zweiten Liga.
Eine Entwicklung, die vor der Saison aufgrund der Transferpolitik des Clubs und der schleichenden, aber konstanten sportlichen Verschlechterung auf dem Feld seit Beginn des Jahres absehbar war. Die Hamburger gehen als Tabellen-15. in die Winterpause - mit gerade Mal einem Punkt Vorsprung auf Tabellenschlusslicht Sandhausen.
Letzter Auswärtssieg im Februar
Ganze drei Siege fuhr St. Pauli in dieser Spielzeit ein, im gesamten Kalenderjahr waren es schmale acht. Die Braun-Weißen sind das einzige Team der Liga, das noch keinen Auswärtssieg in dieser Spielzeit bejubeln konnte, der jüngste datiert aus dem Februar gegen Ingolstadt. 3:1 hieß es damals gegen die mittlerweile drittklassigen Schanzer, die Tore für die Norddeutschen erzielten Daniel-Kofi Kyereh, Guido Burgstaller und Simon Makienok. Drei Namen, die das sportliche Dilemma der Kiezkicker auf den Punkt bringen.
Mit dem Verkauf der Leistungsträger Kyereh (12 Tore) und Burgstaller (18 Tore) sowie der geräuschvollen Nicht-Verlängerung des Vertrags von Makienok (6 Tore) verlor der Club im Sommer seine offensive Schlagkraft. Die drei Spieler zusammen waren für mehr als die Hälfte der Tore der Braun-Weißen in der vergangenen Spielzeit verantwortlich.
Der Ersatz, der keiner ist
Als Ersatz dafür kamen Stürmer Johannes Eggestein, Stürmer David Otto und Offensivallrounder Carlo Boukhalfa. Während die beiden Letztgenannten ihre Zweitligatauglichkeit am Millerntor noch unter Beweis stellen müssen, ist Eggestein als Burgstaller-Ersatz überfordert und zu inkonstant in seinen Leistungen. Als Top-Transfer geholt war er zeitweise in der Stürmer-Hierarchie nur noch auf Rang vier und kam gar nicht mehr zum Einsatz, jüngst erzielte er beim KSC allerdings seine Saisontore vier und fünf. Diese magere Ausbeute reicht bereits, um bei St. Pauli bester Torschütze zu sein.
Viel Aufwand, wenig Ertrag
Generell müssen die Hamburger in ihren Spielen extrem viel Aufwand betreiben, um Tore zu schießen. St. Pauli daddelt, chipt und flankt sich in jeder Partie die Seele aus dem Leib - ohne dass dabei viele Punkte herausspringen. Die jungen Spitzen Igor Matanovic und Etienne Amenyido wirken überfordert und sind - was ihre Leistungen betrifft - völlig neben der Spur. Der in der Not zum Stürmer umfunktionierte Daschner hat gute Ansätze - macht aber bessere Spiele auf seiner Stammposition als Zehner.
Defensive: Verletzungs- und Gegentoranfällig
Verbesserungswürdig ist allerdings auch die anfällige Defensive von St. Pauli. Bis auf Leart Paqarada spielen alle anderen Verteidiger unter ihren Möglichkeiten, angefangen bei Jakov Medic und Neuzugang David Nemeth, die beide aktuell verletzt sind. Rechtsverteidiger Manolis Salikas ist bemüht, aber schwankend in seinen Leistungen. Rätselhaft bleiben die Auftritte von Betim Fazliji, der für die stolze Summe von kolportierten 800.000 Euro aus St. Gallen geholt wurde. Der Defensiv-Allrounder findet keine Rolle im Team und seine auffälligste Aktion war bisher die Rote Karte für seinen Kopfstoß im Spiel gegen Düsseldorf.
St. Pauli braucht Tempo und einen kopfballstarken Stürmer
Um im Abstiegskampf zu bestehen, wird St. Pauli den Kader im Winter verändern müssen. Offensichtlich ist, dass ein kopfballstarker und erfahrener Torjäger an allen Ecken und Enden fehlt. Denn Saliakas' und Paqaradas zahlreiche Flanken finden keine Abnehmer. Und auch ein torgefährlicher Mittfeldspieler mit Ruhe am Ball würde den Kiezkickern helfen.
Auffällig ist auch das fehlende Tempo im Spiel der Braun-Weißen, speziell auf den Außenbahnen. Schultz hat damit schon gegen Braunschweig und Heidenheim experimentiert, die Außen wurden dann links von Marcel Hartel und rechts von Jackson Irvine, Boukhalfa, Connor Metcalfe, oder Daschner besetzt. Doch die sind weder gelernte Außenbahnspieler noch verfügen sie über ausreichend Geschwindigkeit.
Bornemann redete Kritik an seiner Planung bisher klein
Bisher wurde die Kritik an der bisherigen Kaderzusammenstellung mit dem Verweis auf "Potenziale" und "Vertrauen" von Sportchef Andreas Bornemann immer kleingeredet. Doch der 51-Jährige hielt sich bereits zum Ende der Sommertransferperiode ein Hintertürchen offen: Wenn der Club das Gefühl habe, das Konzept gehe nicht ganz auf, "dann haben wir uns die Möglichkeit offengelassen, womöglich noch was zu machen", sagte Bornemann im September.
Weitere Fehlgriffe wird sich der Sportchef dabei nicht leisten können, die gesuchte Kategorie Spieler ist im Winter ohnehin teuer genug. Noch teurer würde die Hamburger allerdings ein Abstieg in die Dritte Liga kommen.