HSV zwischen FC Hollywood und Aufstiegsträumen
Mit viel Fortune und noch mehr Moral hat der HSV im Zweitliga-Topspiel beim 1. FC Heidenheim eine Niederlage gerade noch abgewendet. Das 3:3 nach einem 0:3-Rückstand war der emotionale Höhepunkt einer Woche, in der es beim einstigen Bundesliga-Dino wieder einmal hoch hergegangen war.
Auf die irre Aufholjagd seiner Mannschaft genehmigte sich Tim Walter unmittelbar nach dem Schlusspfiff des Fußball-Dramas an der Brenz erst einmal einen Schluck Sprudelwasser aus der Plastikflasche, die der Coach der Hamburger während der Partie die ganze Zeit in seiner rechten Hand gehalten hatte. Dann klatschte der 47-Jährige mit seinen Co-Trainern Merlin Polzin und Filip Tapalovic ab, bevor er zu Jean-Luc Dompé ging.
Den Linksaußen hatte Walter zur Halbzeit nach schwacher Leistung ausgewechselt. Nun drückte er den traurig dreinschauenden Franzosen ganz fest an seine Brust, streichelte ihm über seinen Kopf und sprach ihm aufmunternde Worte zu. Walter wirkte in diesen Momenten nicht wie ein Coach, sondern ein liebevoller Vater, der seinem Kind Trost spendet. Im Falle von Dompé war dies nicht nur wegen dessen glückloser Vorstellung bitter nötig.
Der Angreifer hatte zu Wochenbeginn mit einem Autounfall sowie anschließender Fahrerflucht für Aufsehen gesorgt. Tagelang wurde anschließend darüber spekuliert, ob Walter in Heidenheim dennoch auf den 27-Jährigen setzen würde. Er tat es und signalisierte damit allen seinen Spielern, dass er stets seine schützende Hand über sie halten wird, so lange sie mit ihrem Verhalten das Betriebsklima nicht vergiften.
Walter hält Unruhe vom Team fern
Walter, vor eineinhalb Jahren als B-Lösung verpflichtet, weil Wunschkandidat Steffen Baumgart einen Wechsel zum 1. FC Köln vorzog, hat es als erster Trainer in der Zweitliga-Historie des HSV geschafft, eine verschworene Einheit zu formen. Das ist beim einstigen Europapokalsieger deshalb so wichtig, weil der Club beziehungsweise genau genommen die ausgegliederte HSV Fußball AG beinahe täglich Schlagzeilen produziert, die nichts mit den sportlichen Auftritten zu tun haben.
Die fortwährende Unruhe im Umfeld von der Mannschaft fernzuhalten und dafür zu sorgen, dass das Team fokussiert bleibt, ist eine große Aufgabe. Bis dato hat sie Walter gemeistert.
Zwei Profis in Unfall verwickelt, zwei vor Gericht
Der Mann mit den grauen Bart und der häufig etwas heiseren Stimme ist mit dem HSV als Tabellenzweiter auf Bundesliga-Kurs. Verfolger Heidenheim konnte durch das Last-Minute-Remis auf vier Zähler auf Distanz gehalten werden. Dass an der Sylvesterallee in rund drei Monaten die dann seit fünf Jahren ersehnte Erstliga-Rückkehr gefeiert werden könnte, geht in diesen Hamburger Theatertagen jedoch fast unter.
Denn nicht nur Dompé und sein Teamkamerad und Landsmann William Mikelbrencis, der als Beifahrer eines anderen Fahrzeugs ebenfalls in den Unfall verwickelt war, sorgten in der vergangenen Woche für Gesprächsstoff. Da war auch noch der zweite Verhandlungstag vor dem DFB-Sportgericht in der Causa Mario Vuskovic. Der Verteidiger und sein Rechtsbeistand kämpfen weiter gegen die drohende Dopingsperre für den Kroaten.
Vuskovic war aber nicht der einzige HSV-Profi, der in der Vorwoche vor dem Kadi stand. Auch Bakery Jatta hatte es mit der Justiz zutun. Der Angreifer wird von seinem früheren Weggefährten Mahmut Aktas vor dem Landgericht Hamburg auf die Zahlung von einer Million Euro verklagt. Es geht in dem Prozess um Versprechen, die Jatta dem Berater gegeben haben soll, bevor er Profi wurde. Ein Urteil soll am 1. März verkündet werden.
Anteilseigner Wüstefeld nicht mehr erwünscht
Zwei Spieler in einen Unfall verwickelt, zwei weitere vor Gericht und dazu noch die Fortsetzung des "Rosenkriegs" zwischen Vorstand Jonas Boldt und Ex-Vorstand Thomas Wüstefeld. Dass sich beide während ihres gemeinsamen Schaffens in der Chefetage der HSV Fußball AG nicht gerade freundschaftlich gegenüberstanden, ist an der Elbe ein offenes Geheimnis. Doch selbst jetzt, da der umtriebige Geschäftsmann kein Amt mehr beim Zweitligisten bekleidet, ist er noch in den Schlagzeilen.
So wurde im "Hamburger Abendblatt" eine Stellungnahme des Aufstiegsanwärters veröffentlicht, in der es hieß: "Die HSV Fußball AG distanziert sich in vollem Umfang von Herrn Wüstefeld. Wir haben nach seinem Wirken und Handeln des vergangenen Jahres kein Interesse, weiter mit Herrn Wüstefeld in Verbindung gebracht zu werden, und betrachten dies auch aus unserer Verantwortung heraus gegenüber der Mitarbeiterschaft, Partnern und Mitgliedern."
Wüstefeld ist ab sofort beim Zweitligisten also eine Persona non grata. Das Problem dabei: Der Unternehmer hält 5,11 Prozent der Anteile an der HSV Fußball AG und wird diesen Affront vermutlich nicht klaglos hinnehmen.
HSV noch 14 Spiele vom Aufstieg entfernt
Langeweile droht also nicht aufzukommen beim Hamburger SV, der seinen Vereinsnamen längst auch in FC Hollywood hätte umändern können. So wurde einst ja auch der FC Bayern München tituliert. Die älteren unter den HSV-Anhängern mögen sich noch an Zeiten erinnern, in denen man mal auf Augenhöhe mit dem Rekordchampion agierte. In der kommenden Serie könnte der HSV zumindest wieder in einer Liga mit den Bajuwaren spielen.
14 Partien ist das Walter-Team noch vom Sprung in die Beletage entfernt. 14 Mal muss die Mannschaft das Theater abseits des Platzes noch ausblenden, um das große Ziel zu erreichen.
Walter-Team in Heidenheim lange neben der Spur
Dass die Hamburger aufstiegsreif sind, war am Samstagabend in Heidenheim allerdings erst in den letzten 30 Minuten zu sehen. Zuvor zeigte der Tabellenzweite eine "schläfrige und fahrige" Leistung, wie Walter kritisierte: "Das müssen wir ansprechen und da besser werden." Der 0:3-Rückstand war sogar noch schmeichelhaft. Gegen in der Abwehr viel zu zaghaft agierende und im Angriff harmlose Hamburger hätten die Hausherren auch mit 5:0 oder 6:0 führen können.
"Am Ende war es dann die individuelle Qualität des Gegners, die uns bestraft hat", sagte Heidenheims Dauercoach Frank Schmidt mit Blick auf die Aufholjagd des HSV.
"Man darf uns nie abschreiben"
Neuzugang András Németh, Torjäger Robert Glatzel und Jatta sorgten mit ihren Toren für die irre Wende nach einer wieder einmal irren HSV-Woche. "Man darf uns nie abschreiben. Wir haben heute wieder eindrucksvoll bewiesen, dass wir bis zum Ende durchziehen", lobte Walter die Moral seiner Mannschaft.
Sein Team ist fraglos so wie der gesamte Verein: Immer für eine Überraschung gut.