HSV bei Hansa Rostock: Polzin setzt auf modifizierten Walter-Fußball
Der HSV tritt am Sonnabend im ersten Spiel nach der Entlassung von Coach Tim Walter beim FC Hansa Rostock an. Gegen den Nordrivalen wird der bisherige Co-Trainer Merlin Polzin für die Hamburger verantwortlich zeichnen. Bei einem Sieg dürfte der 33-Jährige gute Chancen haben, von der Interims- zur Dauerlösung zu werden.
Vor Beginn seiner ersten Pressekonferenz als Cheftrainer des HSV nahm Polzin am Freitagmittag erst einmal einen kräftigen Schluck aus der Pulle. Das wäre eigentlich nicht der Rede wert, hätte er nicht das stille Wasser des Herstellers aus der PET-Flasche getrunken, die Walter in den vergangenen zweieinhalb Jahren während der Partien stets in den Händen gehalten hatte.
"Für mich als Hamburger Jung und als HSVer ist es eine ganz besondere Situation." HSV-Coach Merlin Polzin
Die Plastikflasche, neben dem Rauschebart und dem wilden Offensivfußball das Markenzeichen des Polzin-Vorgängers, erinnerte in diesen Momenten im Bauch des Volksparkstadion noch an eine Ära, die am vergangenen Montag ein Ende gefunden hatte. Polzin, der Walter in dessen gesamter Amtszeit assistiert hatte, gestand ehrlich ein, dass ihn der Rauswurf des 48-Jährigen persönlich zugesetzt hat.
Er sei "enttäuscht" gewesen, "weil wir einen Rückschlag auf dem großen, gemeinsamen Weg erlitten haben", sagte der Interimscoach. "Die Dinge, die ich von Tim als Mensch und als Trainer lernen konnte, sind für meinen Weg ganz entscheidend gewesen. Die Dinge behalte ich auch bei mir. Dafür bin ich sehr dankbar."
Polzin will keine "180-Grad-Wende" vornehmen
Polzins Worte zeugen nicht nur von Respekt und Dankbarkeit, sondern auch seiner engen Zusammenarbeit mit Walter und den weiteren Co-Trainern Julian Hübner und Filip Tapalovic, die ebenfalls ihrer Aufgaben entbunden worden sind. Das Verhältnis untereinander sei über eine professionelle Beziehung hinausgegangen, verdeutlichte der 33-Jährige. Und er stellte zudem klar, vom gemeinsam vor zweieinhalb Jahren eingeschlagenen Weg weiter überzeugt zu sein.
"Wir haben in dieser Zeit extrem viel Positives bewegt. Und an diesen positiven Dingen wollen wir weiter festhalten. Das bedeutet, dass wir als HSV für mutigen und überzeugenden Fußball stehen wollen", erklärte Polzin. Er wolle nun keine "180-Grad-Wende" vornehmen, verdeutlichte der Walter-Nachfolger: "Es gilt weiterhin, dominant und mutig aufzutreten."
Walter-Nachfolger setzt auf mehr defensive Stabilität
Schön spielen, dabei allerdings nicht wie am vergangenen Spieltag gegen Hannover 96 (3:4) ins Verderben rennen - so lautet Polzins Plan für das Nordduell am Sonnabend (13 Uhr, im Livecenter bei NDR.de) beim FC Hansa Rostock. "Es ist wichtig, jetzt an gewissen Stellschrauben zu drehen, um den Jungs ein Gefühl zu geben von Zugriff und Selbstvertrauen - insbesondere in den Momenten, wenn der Gegner mal den Ball hat. Das war der Ansatz für diese Woche", erklärte der Coach.
Gemeinsam mit Co-Trainer Loïc Favé, dem etatmäßigen Sportlichen Leiter der Nachwuchsabteilung, war der 33-Jährige in den vergangenen Tagen stets schon auf den Trainingsplätzen am Volkspark, als die Spieler sich noch in den Kabinen umzogen. Das Duo sprühte nur so vor Tatendrang. Wohlwissend, dass beide wohl die Chance ihres Lebens haben. Die Chance, in jungem Alter für einen ambitionierten Proficlub verantwortlich zu zeichnen.
Mit einem Erfolg in Rostock würde die Wahrscheinlichkeit wohl erheblich steigen, dass Polzin und der zwei Jahre jüngere Favé zumindest bis zum Saisonende das Vertrauen von Sportvorstand Jonas Boldt ausgesprochen bekommen. Und für viele HSV-Fans hätte diese Lösung wohl auch Charme, schließlich sind beide gebürtige Hamburger.
Torwart-Frage offen - Schonlau wohl nicht in Startelf
Für Polzin und Favé gilt es nun, schnell die richtigen Entscheidungen zu treffen. Da wäre zum Beispiel die Torwart-Frage. Nachdem Walter gegen Hannover überraschend Matheo Raab für die bisherige Nummer eins Daniel Heuer Fernandes zwischen die Pfosten gestellt hatte, könnte es nun abermals zu einem Tausch im Kasten kommen. Die Mannschaft soll dem Vernehmen nach jedenfalls verstimmt auf die Degradierung von Heuer Fernandes reagiert haben.
Polzin wollte sich am Freitag - zumindest öffentlich - noch nicht darauf festlegen, wer gegen Hansa das Tor hüten wird: "Wir klären die Dinge erst intern, bevor wir sie nach draußen geben." Auch ob der wochenlang wegen einer Wadenverletzung fehlende Kapitän und Abwehrchef Sebastian Schonlau in Rostock sein Comeback feiern wird, ließ der Walter-Nachfolger offen. Mit der Aussage: "Wir müssen eher das große Ganze als diese eine Partie sehen", deutete eher aber an, dass Schonlau wohl erst einmal auf der Bank Platz nehmen wird.
Polzin zu seiner Zukunft: "Lebe im Hier und Jetzt"
Personalien spielten ansonsten auf der ersten Pressekonferenz von Polzin als Cheftrainer eher eine Nebensache. Die Fragen der anwesenden Medienvertreter drehten sich eher um ihn und seine Vergangenheit. "Für mich als Hamburger Jung und auch als HSVer ist es eine ganz besondere Situation. Aber ich bin Trainer des Vereins und hier nicht als Fan oder früherer Besucher der Spiele", war der 33-Jährige bemüht, sich nicht in den Vordergrund zu stellen.
Angesprochen darauf, ob er darauf hoffe, dauerhaft Chefcoach beim HSV zu werden, blieb Polzin unkonkret: "Ich bin jetzt keiner, der einen strukturierten Plan für die nächsten Jahre hat, sondern im Hier und Jetzt lebt." Trotz seines jungen Alters weiß er bereits um die Schnelllebigkeit des Profifußballs. Darum, wie schnell die "Flasche leer" sein kann, um es mit den Worten von Ex-Starcoach Giovanni Trapattoni zu sagen.
Die Waltersche Wasserflasche bleibt
Apropos Flasche. Auf die frühere Waltersche Wasserpulle, die nun auch Polzin für sich entdeckt hat, kam HSV-Pressesprecher Philipp Langer vor Beendigung der Medienrunde am Freitag tatsächlich noch zu sprechen. "Noch eine Beobachtung von mir: Die Wasserflasche gibt es offensichtlich auch bei dir. Die bleibt?", sagte er. "Die bleibt!" antwortete Polzin. Ein bisschen Walter steckt also trotz Trainerwechsel immer noch im HSV...
Mögliche Aufstellungen:
FC Hansa Rostock: Kolke - Neidhart, Hüsing, Roßbach, Stafylidis - van der Werff, Pröger, Dressel, Ingelsson, Singh- Junior Brumado
Hamburger SV: Raab - van der Brempt, Ramos, Ambrosius, Muheim - Meffert, Pherai, Reis - Jatta, Glatzel, Dompé