Große Klappe und was dahinter - HSV-Legende Jimmy Hartwig im Porträt
Jimmy Hartwig ist weit mehr als nur der ehemalige Fußballprofi des HSV, der mit flotten Sprüchen und teuren Autos glänzte. Nach vielen privaten Tiefpunkten hat er die Kurve bekommen, ist ein seriöser Schauspieler und engagiert sich in vielen sozialen Projekten. Am 5. Oktober feierte er seinen 70 Geburtstag.
William Georg Hartwig, den alle nur "Jimmy" nennen, wächst in Offenbach in einem "Arme-Leute-Viertel" auf. Die Kindheit verläuft wenig glücklich: Seinen Vater, einen schwarzen US-Soldaten, hat er nie kennengelernt. Hartwig lebt mit seiner Mutter bei seinen Großeltern - für den Großvater ist die Geburt des dunkelhäutigen Jimmy eine "Schande".
"Mein Großvater wollte nicht, dass ich auf die Welt komme. Sie mussten immer aufpassen, als ich klein war, dass er mir kein Kissen ins Gesicht drückt." Jimmy Hartwig über seine Kindheit
Von Offenbach über Osnabrück zum HSV
Trost und Respekt findet der gelernte Maschinenbauschlosser beim Fußball, bei den heimischen Kickers erhält er 1972 seinen ersten Profivertrag. Ein Jahr später wird er an den VfL Osnabrück ausgeliehen, wiederum ein Jahr später geht er zu 1860 München. Mit den "Löwen" steigt der laufstarke Mittelfeldspieler 1977 in die Bundesliga auf und schließt sich 1978 dem HSV an.
Meister und Europacup-Sieger mit dem HSV
Mit den Hamburgern hat Hartwig seine erfolgreichste Zeit als Profi, wird dreimal deutscher Meister (1979, 1982, 1983) und 1983 Europapokalsieger der Landesmeister. Das Finale gegen Juventus Turin verpasst er jedoch wegen einer Gelbsperre. Mit seiner Zweikampfstärke und seiner Torgefahr ist Hartwig Leistungsträger bei der damals besten deutschen Vereinsmannschaft - dennoch bestreitet er nur zwei Länderspiele für Deutschland.
1984 verlässt Hartwig Hamburg und beendet nach Stationen beim 1. FC Köln, Austria Salzburg und dem FC Homburg vier Jahre später nach einer Knieverletzung mit 34 Jahren seine Karriere. Insgesamt bestreitet er unter anderem 244 Bundesligaspiele (63 Tore), die meisten davon (182/52) für den HSV.
Mit "Mama Calypso" in den Charts
Schon während seiner aktiven Zeit glänzt Hartwig auch abseits des Fußballplatzes als Entertainer. Er fährt teure Sportwagen, haut immer wieder einen coolen Spruch raus. 1980 nimmt er das Lied "Mama Calypso" auf - die Single verkauft sich immerhin 40.000 Mal, als Sänger ist er zu Gast in TV-Sendungen wie "Disco" und "Die Aktuelle Schaubude". 1982 folgt "Ich bin immer zu früh" mit 17.000 verkauften Singles.
Alkohol, Drogen, Krebs - und finanzielle Probleme
Hartwig gibt sich nach außen hin gerne als Spaßvogel, tatsächlich fällt er nach seiner aktiven Zeit in ein tiefes Loch: Durch schlechte Berater verliert er sein ganzes Vermögen, dazu kommen Alkohol- und Drogenprobleme sowie die Diagnosen Krebs und Hirntumor. Zweimal ist er kurz davor, sich das Leben zu nehmen - doch Jimmy Hartwig steht immer wieder auf.
"Das ist ein großes Wunder. Ich glaube, der liebe Gott mag mich." Jimmy Hartwig über sein Überleben
So ist Hartwigs Leben nach der Zeit als Fußballprofi ein stetiges Auf und Ab. Seine Engagements als Trainer beim FC Augsburg und Sachsen Leipzig enden nach nur wenigen Partien. Er versucht sich als Immobilienmakler und als Vertreter für Kondome, moderiert zwei Jahre lang eine Fußballsendung im DSF und ist sich wegen seiner finanziellen Probleme auch nicht zu schade, am RTL-"Dschungelcamp" teilzunehmen.
Seriöser Schauspieler und Familienvater
Drei Ehen werden geschieden, bei seiner vierten Ehefrau hat der dreifacher Vater endlich seinen inneren Frieden gefunden, lebt im bayrischen Inning am Ammersee: "Die Familie ist das Größte. Das hat lange gebraucht, bis ich das erkannt habe."
Auch dank einer neuen Leidenschaft bekommt Hartwig die Kurve: Seit 2002 ist er als ernsthafter Bühnenschauspieler am Theater aktiv, tritt unter anderem am Nationaltheater in Weimar in einem Stück von Bertolt Brecht auf oder spielt am Centraltheater in Leipzig die Titelrolle in "Woyzeck".
"Der fragte mich: 'Kennst Du Brecht?' Und ich sagte: 'Brecht - wo hat der gespielt, Real Madrid?'" Jimmy Hartwig über sein erstes Theater-Engagement
2008 spielt er sich selbst in "Eine Legende liegt auf der Couch" nach Motiven aus seiner 1994 erschienenen Biografie "Ich möcht' noch so viel tun ... Meine Kindheit, meine Karriere, meine Krankheit". 2010 legt er eine zweite Biografie nach: "Ich bin ein Kämpfer geblieben. Meine Siege, meine Krisen, mein Leben."
"Habe alle zum Schweigen gebracht, da bin ich stolz drauf"
Hartwig ist einer der Protagonisten der 2021 erschienenen Doku "Schwarze Adler", die sich mit dem Thema Rassismus im Fußball befasst. Außerdem ist er Integrationsbotschafter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), dessen Präsident er vor drei Jahren werden wollte. Hartwig engagiert sich in der Gesundheitsprävention und für zahlreiche gesellschaftliche Projekte. 2019 bekommt er die bayerische Staatsmedaille für soziale Verdienste verliehen.
Und so hat Hartwig es nicht nur seinem Großvater ("Der hätte sich erhängt, wenn er mich als Nationalspieler erlebt hätte") gezeigt, sondern ist mit sich selbst im Reinen. Gegenüber dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" zieht er ein positives Fazit seines Lebens: "Bis jetzt habe ich immer wieder all jene Lügen gestraft, die mich unterschätzt haben, oder die mich schon tot sehen wollten. Ich habe alle zum Schweigen gebracht. Da bin ich stolz drauf."