Gewalt im Fußball in SH: Positiver Trend, negative Ausreißer
Ein Spiel der Kreisklasse C im Kreis Rendsburg-Eckernförde war am vergangenen Wochenende außer Kontrolle geraten. NDR Schleswig-Holstein hat nachgefragt: Wie ist die Entwicklung in Sachen Gewalt?
Ein Foulspiel an der Seitenlinie, eine Gelb-Rote Karte - und anschließend eine Auseinandersetzung mit etlichen Beteiligten und mehreren Verletzten. Das war die Bilanz der Polizei nach der Partie in Krogaspe im Kreis Rendsburg-Eckernförde, die letztendlich abgebrochen wurde.
Schiedsrichter sieht Verhalten der Zuschauer kritisch
Dass schon eine Grätsche oder ein Platzverweis die Stimmung schnell aufheizen kann, weiß auch Tim-Marvin Meyer. Seit 13 Jahren ist er Schiedsrichter, pfeift aktuell für den SC Rönnau 74. In dieser Saison hat er bisher Spiele in der Oberliga Schleswig-Holstein und in der Landesliga geleitet.
"Bei Spielern und Trainern gehören Emotionen dazu", meint der 27-Jährige. Was ihn aber stört, ist die Unruhe, die von außen kommt: "Die Zuschauer denken oft, wenn sie Eintritt gezahlt haben, haben sie einen Freifahrtschein zum Pöbeln und auch zum Beleidigen." Manchmal habe er das Gefühl, der Schiedsrichter sei das Ventil für deren Frust. Eine Eskalation wie zuletzt in der Kreisklasse musste Meyer aber noch nicht miterleben.
Statistik zeigt positiven Trend
Wie oft kommt so etwas überhaupt vor? Da die aktuelle Saison erst knapp zur Hälfte gespielt ist, ist die jüngste belastbare Statistik das sogenannte Lagebild des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) für die abgelaufene Spielzeit 2023/2024. Das zeigt, dass die Entwicklung grundsätzlich in die richtige Richtung geht.
Auf den Amateurplätzen in Schleswig-Holstein gab es 68 registrierte Fälle von Gewalt, 65 Fälle von Diskriminierung. Das sind Rückgänge von 21 Prozent beziehungsweise 13 Prozent im Vergleich zur Saison davor. Abgebrochen wurden 17 Spiele und damit knapp halb so viele wie 2022/2023. Zur Einordnung: Pro Wochenende finden nach Angaben des Schleswig-Holsteinischen Fußballverbandes (SHFV) etwa 2.500 Partien statt.
Nicht alle Fälle werden öffentlich
"Jeder Fall ist einer zu viel", stellt SHFV-Geschäftsführer Tim Cassel klar. "Die Intensität unterscheidet sich und gerade bei den Diskriminierungsvorfällen haben wir wahrscheinlich auch eine Dunkelziffer." Denn nicht jeder Zwischenfall landet am Ende im Spielbericht des Schiedsrichters oder führt sogar zu einem Spielabbruch. Im Gedächtnis bleibt er den Aktiven dennoch. Hört man sich unter ihnen um, ergibt sich mit ihren subjektiven Eindrücken ein differenziertes Bild, das sich nicht immer in den Zahlen widerspiegelt.
Trainer empfindet die Stimmung als zunehmend aggressiv
Michael Gerken ist Trainer der ersten Herrenmannschaft des TV Trappenkamp. Aus Sicht des 51-Jährigen ist die Atmosphäre auf den Fußballplätzen in der vergangenen Zeit deutlich aggressiver geworden: "Ich bin seit 45 Jahren als Spieler und Trainer dabei. Lange habe ich keinen einzigen Spielabbruch erlebt. Jetzt hört man gefühlt jedes Wochenende von irgendwelchen Vorfällen." Dadurch mache sein Ehrenamt weniger Spaß.
"Früher hat man nach dem Spiel ein Bier zusammen getrunken. Heute geht man sich an die Wäsche", so Gerken. Er spricht sich unter anderem dafür aus, die Zeitstrafe einzuführen und bei Spielen mit erhöhtem Risiko für Ausschreitungen erfahrene Schiedsrichter einzusetzen oder auch in den unteren Klassen ein ganzes Gespann mit Assistenten.
Neue Regeln sollen zur Beruhigung beitragen
Zwei andere Neuerungen gibt das Regelwerk seit dieser Saison tatsächlich her, um eine negative Dynamik auf dem Platz zu bremsen. Schiedsrichter können unter anderem die Stoppregel anwenden. Dabei schicken sie die Teams für einige Minuten in ihren jeweiligen Strafraum. Kapitänen und Trainern erklären sie gleichzeitig im Mittelkreis, warum sie sich dafür entschieden haben und fordern sie auf, die eigenen Spieler, Offiziellen oder Zuschauer zu beruhigen, damit das Spiel nicht abgebrochen wird. Außerdem gilt seit dem Sommer die Kapitänsregel, die seit der Europameisterschaft 2024 bekannt ist und nach der nur noch der Spielführer mit dem Schiedsrichter über strittige Szenen sprechen darf. Ziel ist es, ständige Diskussionen und Rudelbildungen zu vermeiden.
Kapitänsregel kommt offenbar gut an
Auch Schiedsrichter Tim-Marvin Meyer hat also die Möglichkeit, sich mit diesen Regeln zu helfen. Sein Zwischenfazit fällt positiv aus. Die Stoppregel musste er "zum Glück" noch nicht anwenden, sagt er, umso begeisterter ist er von der Kapitänsregel: "Das ist eine super Sache, die bei allen anerkannt ist. Die Regel hilft mir als Schiedsrichter, Akzeptanz zu bekommen." Das entspricht auch generell den bisherigen Rückmeldungen, bestätigt SHFV-Geschäftsführer Cassel.
Konflikte haben nicht immer mit dem Spiel zu tun
Außerdem setzt der Verband weiterhin auf Prävention, um die Zahl der Vorfälle weiter nach unten zu drücken. "Im Grunde arbeiten wir mit dem Projekt 'Schleswig-Holstein kickt fair' seit dem Jahr 2007 in diesem Bereich", so Cassel. Das Thema Gewalt gehöre zur Ausbildung bei Trainern und Schiedsrichtern, es gebe eine Zusammenarbeit zum Beispiel mit Beratungsstellen für Betroffene. Die Maßnahmen seien erfolgreich, aber: "Man erreicht natürlich nie jeden, zumal wir wissen, dass Konflikte auch aus anderen Bereichen mit auf den Fußballplatz getragen werden." Der Fußball als Brennglas der Gesellschaft - das stelle der Verband bei der Analyse der Vorfälle immer wieder fest, sagt der Geschäftsführer.
Forscherin: Wettkampf und Respekt schließen sich nicht aus
Diesem Eindruck stimmt auch Frederike Stucke von der Kieler Christian-Albrechts-Universität zu. Sie forscht unter anderem zur Sozialpsychologie im Sport und erklärt: "Sport ist ein Wettkampf. Diese Situation kann man auch auf die Gesellschaft denken. Es gibt Gruppen, die unterschiedliche Vorstellungen von der richtigen Lebensweise haben. Da kommt es zu Meinungsverschiedenheiten." Die Expertin erinnert daran, wie wichtig in solchen Fällen der gegenseitige Respekt ist. "Auch wenn man gegeneinander antritt, sind es ja zwei Sportteams und in diesem Sinne eine Gruppe, die das gleiche Ziel hat - nämlich einen schönen Nachmittag zu haben und eine gute Leistung zu bringen", so Stucke. "Dieser Respekt darf sowohl im Sport als auch in der Gesellschaft nicht verloren gehen."