Talente der U23 von Hannover 96 im Einsatz © IMAGO / Hübner

Fußball-Nachwuchs ohne Bühne: Corona als Karriereknick?

Stand: 22.02.2021 09:46 Uhr

Nachwuchs in Nöten: Ohne Spiele und Wettkampfpraxis kann sich die Corona-Generation kaum für höhere Aufgaben empfehlen. Platzt der Traum vom Profifußball? Ein Besuch beim Nachwuchs von Hannover 96.

von Andreas Bellinger und Ole Zeisler

Für einen Moment weht ein Hauch von Normalität durch die Eilenriede. Der Ball rollt, es wird gepasst, gerannt, und manchmal hallt ein Fluchen über den Platz. Alles wie immer im Stadtwald von Hannover? Könnte man meinen beim Blick auf das tägliche Training der zweiten Mannschaft von 96. Ex-Profi Christoph Dabrowski und seine U23 können in der Corona-Pandemie im Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) der "Roten" wenigstens auf dem Rasen üben. Seit Oktober 2020 schon warten auch sie darauf, wieder spielen zu dürfen, sich zu messen, zu beweisen und für den Traum von der Profi-Laufbahn zu empfehlen.

Dabrowski: "Man merkt es an der Psyche"

"Extrem bitter für die Jungs", sagt Dabrowski im NDR. Gerade die Spieler, die sich anschicken, den Sprung in den Herren- bzw. Profibereich zu schaffen, hat der 43-Jährige im Blick. Nicht alle stecken die Situation einfach so weg. Viele plagen Sorgen und Ängste, die auch ihre Altersgenossen abseits des Fußballs haben, deren Ausbildung und Berufsweg in der Krise bisweilen ins Wanken geraten sind. "Man merkt es an der Psyche", so Dabrowski, der unter anderem bei 96 und Werder Bremen 273 Bundesligaspiele absolviert hat.

Trainer Schmidt: "Ein verlorenes Jahr"

Fragezeichen schwirren durch die Köpfe der Jungen. Wie geht es weiter? "Da platzen auch Träume", sagt Stephan Schmidt im NDR. Die Taktiktafel hat der Trainer der U19 fürs Erste beiseitegelegt. "Momentan bin ich mehr als Pädagoge, Psychologe und auch Gute-Laune-Bär gefragt." Soweit wie Ralf Rangnick ("Wir riskieren die Entwicklung einer kompletten Generation") will Schmidt nicht gehen. "Ich würde eher sagen, dass es ein verlorenes Jahr ist." Das Highlight am Wochenende, Spiele auf hohem Niveau seien durch Training nicht zu kompensieren. "Wettkampfpraxis kann man nicht ersetzen."

Plan B immer aktueller

Manch einen Nachwuchsspieler plagen mittlerweile Existenzängste. Vor allem die, deren Verträge auslaufen. "Es fehlt die Spielpraxis, sich im Wettkampf mit den erfahrenen Spielern zu messen und natürlich auch das ein oder andere abzugucken", sagt Frederik Trümner. Der rechte Verteidiger stieg vorigen Sommer in die Regionalliga-Mannschaft auf - und wurde wie seine Kollegen nach ein paar Spielen jäh ausgebremst. "Man kann in ein Loch fallen, oder es auch positiv sehen", sagt der 19-Jährige. Plan B (Ausbildung oder Studium) sei mehr denn je ein Thema. "In der Akademie sowieso", sagt deren Leiter, Ex-Profi Michael Tarnat. "Die Jungs sollen den bestmöglichen Schulabschluss machen, denn nicht jeder hat das Zeug zum Fußballprofi."

Tarnat: Problematisch, aber kein Schritt zurück

Es wird sich zeigen, wie die Zeit ohne Leistungskontrolle im Wettkampf die Entwicklung der Spieler beeinflusst. "Ich glaube schon, dass es für die Jungs nicht unbedingt ein Schritt zurück, aber schon problematisch ist", sagt Tarnat. "Ich war selbst Spieler und weiß, wie schwer es ist, kein Ziel zu haben, auf das man hinarbeiten kann." Dass sich der eine oder andere überlegt, die Fußballschuhe ganz auszuziehen und Studium oder Ausbildung voranzutreiben, könne er sich durchaus vorstellen. "Wir hatten in der letzten Saison einen Spieler, der uns verlassen hat."

Ex-Profi Schulz: "Tag für Tag beweisen"

Dabei können die Wirren und Einschränkungen der Pandemie durchaus auch Positives befördern, den Charakter stärken und vielleicht die Fähigkeit, mit Widrigkeiten zurechtzukommen. Eine Blaupause mithin, die im Sport und speziell im Wettkampf die Stärke eines Führungsspielers ausmacht. "Das ist nicht immer einfach", sagt Christian Schulz, der nach Jahren in der Bundesliga seine Karriere in der U23 der Niedersachsen ausklingen lässt. Letztlich sei jeder auf sich selbst gestellt: "Da gilt es auch in schweren Zeiten, sich Tag für Tag zu beweisen." An vorhandenen Defiziten zu arbeiten oder Strategien und kreative Lösungen zu entwickeln, die der (sportlichen) Laufbahn dienen können.

Als hätte eine ganze Generation einen Kreuzbandriss

"Natürlich überwiegen die Nachteile", sagt Meikel Schönweitz, der Cheftrainer der U-Nationalmannschaften des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). "Aber es gibt auch positive Aspekte - ohne etwas schönreden zu wollen." Die in der Corona-Pandemie eingeführten fünf (statt drei) Spielerwechsel beispielsweise, die jungen Spielern mehr Einsätze bei den Profis ermöglichten.

Wie den 20-jährigen Mick Gudra, der bei Hannovers 2:3 in Düsseldorf am Sonntag eine Minute nach seiner Einwechslung sein erstes Zweitliga-Tor markiert hat. Leistungsdaten dieser Art können die meisten Spieler im Corona-Wartestand nicht nachweisen. "Als hätte eine ganze Generation einen Kreuzbandriss", so Schönweitz. Was das mit der Branche macht? "Es wird Auswirkungen haben - aber eine Glaskugel haben wir leider nicht."

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 21.02.2021 | 23:00 Uhr

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