Die glanzvollen Zeiten von Göttingen 05
Unter Trainer Fritz Rebell klopfte der 1. SC Göttingen 05 Mitte der 1960er-Jahre dreimal in Folge - vergeblich - ans Tor der Fußball-Bundesliga. Nach vielen finanziellen Problemen sind die Gelb-Schwarzen inzwischen in die Landesliga abgestürzt. Aus unserer Serie "(Fast) vergessene Vereine".
Kurt "Kurtchen" Krauß träumt 1965 von der Bundesliga. Aufsteiger Bayern München will den offensiven Mittelfeldspieler verpflichten, der fraglos zu den besten Fußballern zählt, die Göttingen je hervorgebracht hat - 94 Tore in 255 Spielen für die 05er sind eine stolze Bilanz. Dumm nur, dass Krauß mit einem 05-Betreuer offen über das Interesse der emporstrebenden Münchner redet. Der Gesprächspartner ist Soldat und weiß, was er zu tun hat. "Drei Wochen später hatte ich den Einberufungsbefehl und konnte nicht aus Göttingen weg", erzählt Krauß im Gespräch mit dem NDR Sportclub. Dass ihm die Bundesliga deswegen verwehrt blieb, bereut er nicht: "Die zehn Jahre bei Göttingen 05 waren meine schönste Zeit als Fußballer."
In die Hoch-Zeit von Krauß fällt auch der Zenit des Göttinger Fußballs. Wegen des Trainernamens bekommen die 05er schnell einen Spitznamen verpasst: "Rebellenelf" wird das Team genannt, das 1964/1965 als Aufsteiger in der zweitklassigen Regionalliga Nord für Furore sorgt. Platz fünf schlägt zum Saisonende zu Buche - und der Erfolg bleibt keine Eintagsfliege.
Berüchtigte Defensivstärke
Die Göttinger werden im Jahr drauf sogar Vizemeister, auch dank ihrer starken Defensive. "Wenn wir mehr als zwei Tore bekamen, wurde der Trainer verrückt", erklärt 05-Rekordspieler Helmut Hinberg dem NDR Sportclub: "Er sagte immer: 'Das Torverhältnis ist am Ende einen Punkt wert.'" Und Rebell behält recht: Zweimal qualifiziert sich Göttingen so statt der punktgleichen Kieler für die Aufstiegsspiele zur Bundesliga, nur beim dritten Vizemeister-"Titel" haben die Niedersachsen einen Zähler mehr als der Drittplatzierte - diesmal der VfL Wolfsburg.
Harte Hand und Tricksereien
Rebell führt seine Truppe mit harter Hand und überlässt nichts dem Zufall: Weil viele Junggesellen im Team sind, übernachtet die Mannschaft am Wochenende stets im Hotel - egal, ob ein Heim- oder ein Auswärtsspiel ansteht. "Wir waren regelrecht einkaserniert", erinnert sich der ehemalige Mittelfeldspieler Klaus Matz. Alles wurde penibel kontrolliert und überwacht, ergänzt Hinberg: "Sogar die Getränke bekamen wir nur zugeteilt."
Auch einen Team-Psychologen gibt es in Göttingen. "Er hat uns vor den Spielen in der Aufstiegsrunde beim Gegner klein gemacht", erinnert sich Matz an ein Porträt, das der Psychologe als "Gruß aus der Provinz" an die große Berliner Hertha schickte. Aber auch andere unterstützende Maßnahmen sind offenbar kein Tabu: "Er hat gesagt, ich mache aus euch Weltklassespieler. Nehmt einfach das Zeug hier ein. Er meinte, dass seien nur Vitamine...", sagt Krauß, der Wert auf die Feststellung legt, selbst nichts eingenommen zu haben.
Stets vorne dabei, aber nie ganz oben
Doch der große Sprung in die noch junge Bundesliga will den Feierabendkickern aus Göttingen nicht gelingen: 1966 scheitern sie in der Vor-Qualifikation am 1. FC Saarbrücken. 1967 gelingt in der Aufstiegsrunde lediglich ein Sieg, 1968 sind es immerhin drei Siege, es reicht in der Fünfergruppe aber nur zu Platz vier.
In der Regionalliga ist Göttingen auch danach stets vorne dabei, sodass die Niedersachsen sich 1974 für die neugegründete Zweite Bundesliga Nord qualifizieren. Mit nur 15 Lizenzspielern geht 05 das Abenteuer an, wird als "Absteiger Nummer eins" gehandelt. Aber Göttingen legt furios los, schießt in den ersten drei Heimspielen 15 Tore (5:2 gegen Gütersloh, 5:0 gegen St. Pauli, 5:2 gegen Wilhelmshaven) und steht nach sechs Spielen an der Tabellenspitze. Am Ende schlägt ein zehnter Rang zu Buche. Drei Jahre bleibt Göttingen zweitklassig, 1977 folgt der Abstieg - trotz des Lizenzentzugs für den Bonner SC verzichtet Göttingen aus wirtschaftlichen Gründen auf den Ligaverbleib - den Club drücken Verbindlichkeiten in Höhe von rund einer Millionen DM.
Im Pokal-Viertelfinale gegen den HSV
1980 spielen die Göttinger noch einmal in der Zweiten Liga, die im Jahr darauf reformiert und eingleisig werden soll. Für die Qualifikation dazu werden die Platzierungen der beiden vergangenen Zweitliga-Spielzeiten herangezogen. Durch diese Festlegung stehen die Niedersachsen praktisch bereits vor Beginn der Saison 1980/1981 als Absteiger fest und verabschieden sich denn auch 1981 als Tabellen-18. aus dem Profifußball. Ein letzter Höhepunkt ist das Erreichen des Viertelfinales im DFB-Pokal 1982: 23.650 Zuschauer, die höchste Zuschauerzahl in der Göttinger Fußball-Geschichte, sehen eine 2:4-Niederlage (nach 2:1-Führung in der 58. Minute) gegen den Hamburger SV.
Finanzielle Sorgen
Es folgen knapp verpasste Aufstiege, finanzielle Sorgen und schließlich 1995 der Abstieg in die Viertklassigkeit. Sportlich gelingt 2001 die Rückkehr in die (inzwischen drittklassige) Regionalliga, der DFB verweigert den Niedersachsen jedoch die Lizenz - weil sie einen Antrag auf ein Insolvenzverfahren gestellt haben. 2003 kommt das Insolvenzverfahren zum Abschluss mit einer Bilanz von 2,4 Millionen Euro Schulden. Der Club wird aus dem Vereinsregister gestrichen, Nachfolgeverein ist der 1. FC Göttingen 05, der 2005 mit dem RSV Geismar zum RSV Göttingen 05 fusioniert. 2012 gliedert sich die Fußballabteilung aus und spielt seit 2013/2014 wieder unter dem Namen I. SC Göttingen 05 in der Landesliga Niedersachsen.