Ex-Oberliga-Fußballer packt aus: So haben wir Spiele manipuliert
Im Hamburger Amateurfußball herrscht nach den Berichten über mögliche Spielmanipulationen in der Oberliga große Unruhe. Noch gibt es keine Beweise für verschobene Partien. Ein langjähriger Oberliga-Kicker gibt nun im Gespräch mit dem NDR aber zu, früher gemeinsam mit anderen Akteuren diverse Begegnungen der Stadtliga manipuliert zu haben.
"Ich habe damals alles abgegriffen, was ging, habe viel Scheiße gebaut. Es ist, wie es ist, ich habe alles mitgenommen", gibt der ehemalige Oberliga-Fußballer im Gespräch mit dem NDR unumwunden zu. Er hat seine aktive Karriere seit geraumer Zeit beendet. Auch die Partien, die er gemeinsam mit anderen Spielern manipuliert haben will, liegen viele Jahre zurück. Dennoch möchte der langjährige Oberliga-Kicker, der auch für höherklassige Clubs auflief, anonym bleiben. Denn seine Aussagen sind von strafrechtlicher Relevanz.
Er berichtet von verschobenen Partien und bestochenen Spielern. Und davon, dass es dafür bei den Protagonisten kaum ein Unrechtsbewusstsein gab: "Wir haben gar nicht gewusst, wie groß die Scheiße ist. Wenn uns jemand erwischt hätte, wären wir richtig baden gegangen. Für uns war das Spaß."
"Wir waren sauer auf die Vereine. Du reißt dir viermal die Woche den Arsch auf und kriegst nur 200 Euro. Wir haben es nicht gemacht, weil wir cool sein wollten, sondern weil wir Kohle verdienen wollten." Ex-Oberliga-Spieler
Ein verbotener "Spaß", mit dem er und seine Mitstreiter Tausende von Euro verdienten. Sie setzten früher beim Wettanbieter "Tipico" auf die eigenen Spiele - und manipulierten sie anschließend vereinzelt. Bis 2015 waren Tipps auf Begegnungen der Oberliga Hamburg beim Wettanbieter mit Sitz auf Malta noch möglich - sogar ganz unkompliziert und anonym an Wettautomaten, die teilweise in Vereinshäusern standen.
"Da gab es eine Quote. Du hast dann geguckt, wo stehst du in der Tabelle und gegen wen spielst du. Und dann war es immer ganz einfach. Du hast 100, 150 oder 200 Euro auf einen Sieg des Gegners gesetzt. Dann hast du mit dem oder dem gesprochen. Im Spiel hast du dann am Trikot gezupft oder mit dem Keeper gesprochen und ihm einen Hunderter angeboten. Da haben alle mitgespielt", behauptet der ehemalige Amateurfußballer.
Bis heute kein Nachweis einer Spielmanipulation
Welche Partien genau er und seine Mitstreiter durch zum Beispiel bewusst verursachte Strafstöße beeinflusst haben, möchte der langjährige Oberliga-Kicker nicht verraten. Es handelt es sich jedoch um Spiele, die bis 2015 stattfanden. Denn dann nahm "Tipico" die Fünftliga-Begegnungen aus seinem Wettangebot. Das Unternehmen reagierte damit auf Berichte über mögliche Spielmanipulationen in Hamburgs Stadtliga. Den Stein ins Rollen gebracht hatte seinerzeit Florian Gossow. Der Coach beschuldigte öffentlich drei seiner früheren Kicker von Germania Schnelsen, ein Spiel verschoben zu haben.
Im NDR Sportclub berichtete bereits im November 2014 ein Insider von "Mafia-ähnlichen und skrupellosen Methoden". Er riet Gossow davon ab, wie geplant zu einer Anhörung zu dem Thema zum Hamburger Fußball-Verband (HFV) zu gehen. "Er könnte Probleme kriegen und müsse sich Sorgen machen, dass er am nächsten Morgen vielleicht nicht aufsteht", so der Insider.
Gossow sagte dennoch beim HFV aus. Den von ihm beschuldigten Spielern konnte aber nie eine Schuld nachgewiesen werden. Auch gibt es bis heute trotz einiger Verdachtsfälle in den vergangenen Jahren keine einzige Oberliga-Partie, bei der eine Manipulation juristisch festgestellt werden konnte.
"Dann hast du mit dem Keeper einen Deal gemacht"
Das gründet vermutlich aber insbesondere auf dem sehr vorsichtigen Vorgehen der Manipulateure. So berichtet der NDR Informant, dass die Wetten "nie ein Kabinenthema" gewesen sein. Erst wenn nahezu alle seiner Mannschaftkameraden nach dem Training bereits auf dem Weg nach Hause waren, sei über den geplanten Betrug gesprochen worden.
"Es waren immer maximal zwei, drei, vier Leute. Und auch nicht immer zusammen. Weil der eine sagte, komm lass es uns machen, der andere wollte nicht 500 Euro setzen, der andere hat 500 gesetzt. Und dann hast du mit dem Keeper einen Deal gemacht", erzählt er. Es sei nie etwas herausgekommen, behauptet er. Die Manipulation auffliegen zu lassen, hätte vermutlich auch schlimme Konsequenzen gehabt: "Am Ende war das immer so ein Straßen-Ding: Wenn du etwas machst, dann hältst du dein Maul und fertig."
Ansprachen in der Shisha-Bar
Laut dem früheren Oberliga-Kicker waren insbesondere Spieler an den Manipulationen beteiligt, die aus sozial benachteiligten Stadtteilen stammen. "Wir haben nicht mit jedem kommuniziert, sondern mit Leuten, von denen wir gesagt haben, okay, den kenne ich gut. Das ist ein Straßenjunge, mit dem kann man so etwas machen. Dann hat man sich mal in einer Shisha-Bar getroffen und geschnackt. Man wusste schon, mit wem man kann und mit wem nicht. Dementsprechend hat man agiert", erklärt er.
Um nicht in Verdacht zu geraten, an Spielmanipulationen beteiligt zu sein, hatte der Informant nach eigener Aussage auch in den Wettbüros von "Tipico" Helfer. "Ich bin da hingegangen mit Cap und Sonnenbrille. Ich hatte Jungs, die da gearbeitet haben. Ich habe denen 500 Euro zugesteckt und gesagt, du tippst für mich. Das heißt: Die Kameras hatten dich gar nicht auf dem Zettel. Es war eine Win-win-Situation", berichtet er.
Gleich in mehreren "Tipico"-Filialen in Hamburg und im Umland habe er seine Wetten platziert: "Wenn am Freitag das Spiel war, habe ich den Samstag dann dazu genutzt, dort Umschläge abzuholen. Es war eine coole und einfache Zeit."
"Der Schiedsrichter hat einfach keinen Elfmeter gegeben"
Immer ging sein Plan allerdings nicht auf. Einmal habe er bei einem eigenen Spiel auf den Sieg des Gegners getippt und dann "gezupft, gemacht und getan". Sogar "dolle Fouls" hätten jedoch nicht zum gewünschten "Erfolg" geführt: "Der Schiedsrichter hat einfach keinen Elfmeter gegeben." Die Referees der betroffenen Spiele, so versichert der Informant, seien nie in die Spielmanipulationen involviert gewesen. Und auch wisse er von keinem Fall einer Kontaktaufnahme durch Dritte, etwa durch Mitglieder der "Wettmafia".
"Wenn ich einen Hunderter investiere und am Ende 150 habe, dann bringt mir das nichts. Aber wenn ich 500 investiere und fünf 'Mille' bekomme, das schmeckt dann." Ex-Oberliga-Spieler
Er und einige andere Kicker hätten stets aus eigenem Antrieb gehandelt. "Wir waren sauer auf die Vereine. Du reißt dir viermal die Woche den Arsch auf und kriegst nur 200 Euro. Wir haben es nicht gemacht, weil wir cool sein wollten, sondern weil wir Kohle verdienen wollten", erklärt er.
Die Anzahl der verschobenen Begegnungen zu seiner Zeit als Oberliga-Kicker konnte der Informant nicht beziffern. Aber es waren wohl sehr viel mehr, als bis dato in der Hamburger Fußball-Szene vermutet wurde. "Man hat immer geguckt, wie man am leichtesten Geld verdient. Wenn ich einen Hunderter investiere und am Ende 150 habe, dann bringt mir das nichts. Aber wenn ich 500 investiere und fünf 'Mille' bekomme, das schmeckt dann", erklärt er.
Wettverbot auf Amateurspiele kann umgangen werden
Wie viele weitere Amateurfußballer der Versuchung erlagen oder noch immer erliegen, auf ihre eigenen Partien zu tippen und diese möglicherweise gar zu manipulieren, ist nicht abzuschätzen. Ermittler, Funktionäre und Berichterstatter treffen bei den meisten Hobbykickern auf eine Mauer des Schweigens, wenn es um das Thema geht. Insbesondere auch deswegen, weil der Glücksspielstaatsvertrag das Wetten auf Amateursport-Veranstaltungen in Deutschland verbietet.
Möglich ist es aber weiterhin. Diverse Anbieter mit Sitz im Ausland bieten Woche für Woche Wetten auf Partien von der Fünften Liga aufwärts an. Es bedarf nur ein paar technischer Kenntnisse, um auf die in Deutschland eigentlich geblockten Websites der Unternehmen zu kommen, und einer Registrierung, um lostippen zu können. Das Risiko, erwischt zu werden, ist in Anbetracht der Vielzahl von Anbietern in der ganzen Welt, eher gering.
Vereinschef Seidel: "Die Grauzone ist noch viel größer"
Und so steht zumindest zu befürchten, dass der "Wettsumpf" seit 2015, als "Tipico" die Fünfte Liga aus seinem Angebot verbannte, nicht ausgetrocknet ist. Dass nun 17 Partien von der Dritten bis zur Oberliga unter Manipulationsveracht stehen, wie die "Hamburger Morgenpost" aufdeckte, könnte nur die Spitze des Eisbergs sein.
"Wenn es wirklich nur 17 Fälle sind in den vergangenen Monaten, dann können wir wirklich sehr dankbar sein. Denn ich glaube, dass die Grauzone hier noch viel größer ist", sagte Matthias Seidel, Präsident des Oberligisten WTSV Concordia, dem NDR. "Überall, wo Geld ist, ist natürlich auch Missbrauch da", ergänzte der Vereinschef. Allerdings hat Seidel Zweifel, dass in der Stadtliga im großen Rahmen manipuliert wird: "Denn es gibt ja auch Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, zu gucken, ob auf Spiele zum Beispiel besonders viele Einsätze stattfinden."
Jenes "Frühwarnsystem" hat allerdings Schwächen. Schließlich ist es durch die Streuung von Wetten bei diversen Anbietern möglich, ein Manipulationsvorhaben zu verschleiern.