Dank Bodenhaftung auf Bundesliga-Kurs: So steigt Holstein Kiel auf
Holstein Kiel befindet sich in der 2. Fußball-Bundesliga spätestens seit dem 1:0-Sieg beim HSV klar auf Aufstiegskurs. Der Erfolg an der Förde hat Gründe: Eine kluge Kaderzusammenstellung, Teamgeist und der Verzicht auf große Parolen.
So euphorisch hat man Marcel Rapp selten erlebt: Nach dem Schlusspfiff der Partie am Samstagabend beim HSV riss der Kieler Trainer die Arme hoch, brüllte seine Freude heraus und rannte auf den Platz, wo kaum einer vor seinen Umarmungen sicher war. Anschließend tanzte der 44-Jährige ausgelassen mit seiner Mannschaft vor dem Gästeblock im Volkparkstadion, wo fast 10.000 mitgereiste Fans ihren Helden zujubelten.
Allen war klar: Durch den 1:0-Erfolg in Hamburg ist der historische Coup - der erstmalige Aufstieg eines schleswig-holsteinischen Clubs in die Bundesliga - greifbar nahe. Zumindest haben die "Störche" vier Spieltage vor dem Saisonende ein Etappenziel erreicht: Mit 61 Punkten liegen sie zwölf Zähler und mit der um 13 Treffer besseren Tordifferenz vor dem Vierten HSV und haben damit den Aufstiegsrelegationsplatz drei praktisch sicher.
Umbruch als Chance genutzt
Die komfortable Situation der Kieler erscheint wie ein Gegenentwurf zum HSV, der auch im sechsten Anlauf an seinen hohen Ansprüchen zu scheitern droht. Wohl kaum ein Experte hatte im vergangenen Sommer die KSV auf dem Zettel. Zumal der Tabellenachte der Vorsaison einen großen personellen Umbruch vollzogen hat und 15 Spieler den Club verließen, darunter Leistungsträger wie Fabian Reese (Hertha BSC), Hauke Wahl (FC St. Pauli), Alexander Mühling (SV Sandhausen) oder Fin Bartels (Karriereende).
"Da hat sich eine Truppe gefunden, die einfach performt." Fin Bartels über Holstein Kiel
Obwohl im Gegenzug elf neue in erster Linie junge und entwicklungsfähige Spieler hinzukamen, gab es keinerlei Anpassungsprobleme. Schon vier der ersten fünf Saisonspiele wurden direkt gewonnen. Und im Dezember sicherten sich die neuformierten "Störche" dann souverän die Herbstmeisterschaft. Bartels hat dafür eine Erklärung. "Der Umbruch war Risiko und Chance zugleich. Das Trainerteam hat eine Mannschaft geformt, die sie selbst zusammengestellt hat. Sie haben eine gute Mischung aus jungen und erfahrenen Spielern gefunden, die ein Ziel haben und dem Trainerplan ganz klar nachgehen", sagte der Ex-Profi im NDR Sportclub.
Junge Neuzugänge überzeugen als Stammspieler
"Jeder einzelne Spieler, der geholt wurde, ist wirklich extrem hungrig", erklärte Stürmer Benedikt Pichler, der seit 2021 für die Kieler auf Torejagd geht. "Gerade für die jungen Spieler ist es eine geile Möglichkeit, sich zu entwickeln." Wie zum Beispiel der 19 Jahre alte Außenverteidiger Tom Rothe, der von Borussia Dortmund ausgeliehen wurde und in Hamburg der umjubelte Siegtorschütze war.
Oder der 20 Jahre alte Innenverteidiger Colin Kleine-Bekel, der vom Regionalligateam hochgezogen wurde und bis zu seinem Kreuzbandriss vor wenigen Wochen nur zwei von 26 möglichen Ligaspielen verpasst hat. Auch Marko Ivezic zählt zu den Neulingen, die voll eingeschlagen haben: Der 22-jährige Serbe, eigentlich im defensiven Mittelfeld zu Hause, überzeugte die jüngsten fünf Spiele als Innenverteidiger.
Breiter Kader: Ein Rädchen greift ins andere
Der problemlose Positionswechsel von Ivezic zeigt eine weitere Stärke des Kieler Kaders, der sehr breit aufgestellt ist und verletzungsbedingte Ausfälle wegstecken kann. Vor allem in der Defensive, wo neben Kleine-Bekel, für den die Saison vorbei ist, zwischenzeitlich auch Timo Becker, Carl Johansson oder Patrick Erras fehlten.
Bei der KSV greift einfach ein Rädchen ins andere: Obwohl Trainer Rapp in den jüngsten sechs Ligaspielen kein einziges Mal die gleiche Defensivkette aufbot, gewannen die Schleswig-Holsteiner alle diese Spiele nicht nur, sondern kassierten dabei auch kein einziges Gegentor.
Beim HSV hielt die Null sogar trotz einer fast 20-minütigen Unterzahl. "Die Jungs haben sehr gut verteidigt. Und das ist die Basis für alles", sagte Rapp. Lewis Holtby sprach seinen Teamkollegen ein großes Lob aus: "Ich kriege hier eine dumme Gelb-Rote Karte, aber die Jungs fighten wie Löwen. Sie schmeißen sich in jeden Schuss, verteidigen die Flanke, jeder hat Gas gegeben. Das ist eine Mannschaft."
Bartels: "Einfach weiter Fußball spielen ...
Eine Mannschaft, die den Aufstieg vor Augen hat, aber weiter Bodenhaftung behält: "Wir müssen beharrlich ins Training gehen, Gas geben und uns auf unsere Aufgabe fokussieren. Keine Rechenspiele machen und kein 'falls', 'wenn', oder 'aber' machen. Einfach machen und dann wird am Ende die Rechnung hoffentlich aufgehen", bremste Holtby die Euphorie.
... und dann ist man auf einmal aufgestiegen"
Dieses Understatement, die floskelhafte "Spiel-zu-Spiel-Denke" kann Bartels sehr gut nachvollziehen. Der 37-Jährige erinnerte an die Saison 2020/2021, in der er mit den Kielern den lange sicher geglaubten Bundesliga-Aufstieg noch verspielte. "Wir mussten irgendwann nur noch einmal gewinnen und plötzlich hat dann der Kopf mitgespielt. Deswegen tun die Jungs jetzt gut daran, das alles nicht an sich 'ran zu lassen, sondern einfach weiter Fußball zu spielen - und dann ist man auf einmal aufgestiegen."