Der HSV ist auf dem Weg zum Zweitliga-Dino
Nach der 0:1-Niederlage gegen Holstein Kiel kann der Hamburger SV die ersehnte Rückkehr in die Fußball-Bundesliga praktisch abhaken. Besonders bitter: Auch die Fans wenden sich ab und quittierten die Leistung mit gellenden Pfiffen.
Die Szene war fast schon symptomatisch für das gesamte Spiel des HSV: In der 90. Minute der Partie gegen Holstein Kiel bekommen die Hamburger noch einmal einen Eckball. Es steht 0:1, die Elf von Trainer Steffen Baumgart agiert seit einer Viertelstunde in Überzahl und drängt auf den Ausgleich. Nun also Eckball: Ludovit Reis läuft an, rutscht weg und schießt sich selbst an ...
Es war praktisch die letzte Gelegenheit, mit dem Standard in Ruhe und überlegt eine Torchance zu kreieren. Denn ansonsten segelte zwar in der Nachspielzeit eine Flanke nach der anderen in den Kieler Strafraum, etwas Verwertbares kam aber dabei nicht heraus, den Hamburgern gelang kein Abschluss mehr, sie mussten sich der Niederlage fügen.
Glatzel: "Jetzt muss ein Wunder her"
Das 0:1 gegen Kiel war schon die neunte Saisonniederlage und ist praktisch gleichbedeutend mit dem Ende der Aufstiegsträume: Vier Spieltage vor Schluss liegt der HSV in der Tabelle sechs Punkte hinter Rang drei und hat zudem das um 16 Treffer deutlich schlechtere Torverhältnis. Kapitän Sebastian Schonlau bezeichnete den Rückstand als "absolutes Brett", Angreifer Robert Glatzel meinte: "Jetzt muss ein Wunder her."
"Wir haken gar nichts ab und trotzdem müssen wir uns der Realität stellen und die Realität sieht im Moment nicht gut aus." HSV-Trainer Steffen Baumgart
"Realisten sind wir auch alle", erklärte Baumgart, fügte aber hinzu: "Das heißt nicht, dass wir aufgeben. Sechs Punkte sind zu machen in vier Spielen." Allerdings sollten "wir anfangen, unsere Hausaufgaben zu machen." Das macht aber die Konkurrenz, vor allem die drittplatzierte Fortuna aus Düsseldorf, derzeit ziemlich gut. Deshalb klang HSV-Profi Jonas Meffert nicht mehr besonders optimistisch: "Wir haben es zu 100 Prozent nicht mehr in der Hand. Wir können nur noch beeinflussen, was wir beeinflussen können - und das ist nicht mehr viel."
Baumgart und Raab hadern mit dem Schiedsrichter
Gegen Kiel sah HSV-Trainer Baumgart seine Mannschaft auf Augenhöhe ("wir waren nicht schlechter"), haderte vor allem mit dem Zustandekommen des Gegentreffers: "Es ist kein Positionsgerangel, sondern ein Foul, das nicht gepfiffen wurde", kritisierte der 52-Jährige die Entscheidung von Schiedsrichter Sascha Stegemann, der die Szene vor dem 0:1 weiterlaufen ließ und so den Kielern den Torabschluss durch Tom Rothe ermöglichte.
HSV-Keeper Matheo Raab hatte sich zuvor beim Eckball im Fünfmeterraum behindert gesehen: "Er macht beide Arme um meinen Rücken, wie soll ich da an den Ball kommen. Das ist für mich Wahnsinn." Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Raabs Vorderleute die Ecke nur unzureichend klärten, der Torhüter kurz darauf wieder frei agieren konnte und auch beim Schuss von Rothe freie Sicht hatte.
Überhaupt können die Hamburger auch von Glück reden, dass Stegemann kurz vor der Pause keinen Handelfmeter für Kiel gab. Es zwar wäre eine sehr harte Entscheidung gewesen, weil Reis den Ball aus kurzer Distanz an den Arm geschossen bekam, aber in dieser Saison sind schon mehrere solcher Szenen mit einem Strafstoß geahndet worden.
Mangelnde Durchschlagskraft in der Offensive
Die Schuld an der (verdienten) Niederlage sollte der HSV vielmehr bei sich selbst suchen. Einmal mehr offenbarte sich, dass der Kader der Hanseaten zwar gut, aber nicht gut genug für ganz oben ist. Gegen Kiel tat sich der HSV zum wiederholten Mal in dieser Saison vor allem in der Offensive schwer. Das Fehlen des angeschlagenen Mittelfeld-Antreibers Laszlo Bénes machte sich durchaus negativ bemerkbar, richtig gute Chancen waren Mangelware.
Dabei agierten die Hamburger in der Schlussphase nach der Gelb-Roten Karte von Kiels Lewis Holtby sogar fast 20 Minuten in Überzahl. "Es ist ärgerlich, wir müssen die Dinger einfach mal machen. Den Jungs ist nichts vorzuwerfen, was die Intensität angeht. Sie haben gewollt, sie haben gemacht, aber es ist das Problem, das wir haben. Wir gewinnen halt die Spiele nicht", sagte Baumgart.
Pfiffe von den HSV-Fans
Die HSV-Fans unter den 57.000 Zuschauern im erneut ausverkauften Volksparkstadion scheinen mit der Saison bereits abgeschlossen zu haben. Sie quittierten die Niederlage am Samstagabend mit gellenden Pfiffen. Das hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Zumal man an der Elbe gehofft hatte, mit dem Trainerwechsel von Tim Walter zu Baumgart das Ruder noch einmal herumreißen zu können.
Doch drei Siege, zwei Remis und drei Niederlagen später zieht auch Baumgart eine ernüchternde Bilanz: "Fünf Spiele vor Schluss braucht man nicht über Pech und Glück zu reden, denn dann steht man genau da, wo man hingehört." So droht dem HSV ab Sommer das siebte Jahr im Unterhaus. Zudem droht der unrühmliche Titel des Zweitliga-Dinos. Sollten es Kiel und der Stadtrivale St. Pauli in die Bundesliga schaffen, wäre der HSV nämlich der dienstälteste Zweitliga-Club.