Die DFB-Frauen jubeln. © IMAGO / Steinbrenner

DFB-Frauen: EM-Ticket gebucht, aber noch einige Olympia-Baustellen

Stand: 04.06.2024 22:25 Uhr

Das EM-Ticket hat die deutsche Nationalmannschaft der Frauen nach dem Sieg in Polen in der Tasche. Bundestrainer Horst Hrubesch muss nun entscheiden, wen er in den Olympia-Kader beruft. Zudem hat er Probleme in Offensive wie Defensive des DFB-Teams zu beheben.

von Tobias Knaack

Die Assistenztrainer Britta Carlsson und Thomas Nörenberg sowie Torwarttrainer Michael Fuchs bekamen es am Dienstagabend ab. Noch auf dem Rasen des Stadions in Gdynia machte der Bundestrainer Hrubesch vor ihnen seinem Ärger Luft und stellte viele Szenen des 3:1-Erfolges gegen Polen nach. Es waren ganz offensichtlich - wie schon beim 4:1 gegen denselben Gegner vier Tage zuvor in Rostock - einige, die ihm ganz und gar nicht gefallen hatten.

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Nachlässigkeiten in der Defensive, die erneut zu einem frühen Gegentor führten. Nachlässigkeiten in der Offensive, die für unnötig langes Zittern gegen einen letztlich doch limitierten Kontrahenten sorgten. "Wir müssen nicht immer dem Gegner helfen, dass er auch ein Erfolgserlebnis hat", sagte der 73-Jährige im ARD Interview mit Blick auf die teilweise zu laxe Abwehrarbeit, sparte aber auch nicht mit Kritik an der Offensive: "Wir müssen schauen, dass wir unsere Chancen frühzeitiger nutzen."

Team zeigt Potenzial, aber auch Schlendrian

Keine Frage, es ist ein Schwebezustand, in dem sich das Hrubesch-Team nach dem zweiten Sieg im zweiten Spiel gegen die Polinnen befindet. Einerseits - und das ist keine Selbstverständlichkeit - haben die DFB-Frauen mit vier Erfolgen aus vier Partien in EM-Qualifikationsgruppe vier die Teilnahme an der Endrunde 2025 in der Schweiz vorzeitig klargemacht. Schneller ging es nicht.

Andererseits ist mit der Partie in Gdynia das letzte Casting abgeschlossen. Anfang Juli muss Hrubesch den Kader für das olympische Fußballturnier berufen. Was ist der Erkenntnisgewinn für den Bundestrainer, der schon vorab gesagt hatte, dass es "sicherlich ein, zwei Fälle geben wird, die hart sind"?

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Zunächst mal hat er zwei sehr ähnliche Partien seines Teams gesehen: Sowohl in Rostock als auch in Gdynia folgten zwei fahrigen Auftritten in den jeweils ersten 45 Minuten mit frühen Gegentreffern klare Leistungssteigerungen in den zweiten Hälften.

"Ich will, dass wir Spiele bestimmen. Nach dem Ausgleich haben wir es doch klar dominiert und nichts mehr zugelassen", sagte Hrubesch nach dem Spiel in Polen. Das Potenzial der Mannschaft war gleichermaßen zu sehen wie ihr Hang zum Schlendrian - im Angriff ebenso wie in der Abwehr.

Schwierigkeiten in der Defensive

Speziell im ersten Spiel gegen den Weltranglisten-29. offenbarten die deutschen Nationalspielerinnen in Abwesenheit von Wolfsburgs Marina Hegering Probleme sowohl in der Abstimmung in der Abwehrreihe und in der Zweikampfführung als auch in der Konterabsicherung. So entstand das 0:1 in der ersten Begegnung nach 28 Sekunden, so kam aber auch Top-Stürmerin Ewa Pajor in der Folge zu weiteren Großchancen.

Doch auch in der zweiten Partie hatten die DFB-Frauen immer wieder Schwierigkeiten: Gleich in mehreren Szenen kamen sie nicht in die Zweikämpfe, aus einer resultierte erneut ein Rückstand in der Anfangsviertelstunde. In beiden Spielen waren die Polinnen zunächst präsenter, griffiger, zielstrebiger, was Hrubesch in Gdynia an der Seitenlinie entgeistert den Kopf schütteln ließ.

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Hegering ist für die Stabilität der Abwehr wichtig

Zuversichtlich stimmt mit Blick auf die Olympischen Spiele, dass die erneut verletzte Abwehrchefin rechtzeitig fit werden dürfte. Beim Duell in Rostock war sie wegen einer Muskelverletzung in der linken Wade ausgewechselt worden, in der sie im März erst einen Muskelfaserriss erlitten hatte. Eine gesunde Hegering wäre elementar wichtig für die Medaillenmission der DFB-Frauen, wie auch eine Analyse des Datendienstleisters "Create Football" belegt.

Die 34-Jährige ist aufgrund ihrer Kopfballstärke unverzichtbar für die deutsche Abwehr, verfügt über die größte Erfahrung und "treibt das Aufbauspiel mit mehr als 20 Vertikalpässen maßgeblich voran".

Vertreterin Doorsoun nach Startschwierigkeiten stark

Ebenso wie ihr Pendant Kathrin Hendrich "forciert sie raumgreifende Dribblings, um sich dem Pressingdruck proaktiv zu entziehen und spielt gern per Steckpass ins Angriffsdrittel". Ihre "Probleme im technischen Bereich" kaschiert sie meist durch ihre Handlungsschnelligkeit. Gegen den Ball ist sie mit durchschnittlich mehr als zehn Balleroberungen in 90 Minuten sowie mit 81 Prozent gewonnener Luftduelle die beste Innenverteidigerin der Bundesliga-Saison.

Sollte es für Hegering wider Erwarten nicht reichen, stünde mit Sara Doorsoun eine gute Alternative bereit. Die Frankfurterin zeigte im zweiten Spiel gegen die Polinnen nach Startschwierigkeiten eine starke Leistung im Abwehrzentrum und bekam von Hrubesch ein Sonderlob: "Sie hat es super gespielt heute."

Probleme auf der linken Seite

Die Abstimmungsprobleme hatten sich vor allem im ersten Spiel auf der linken Abwehrseite von Bibiane Schulze Solano gezeigt. Die Innenverteidigerin ist die einzige Linksfüßerin in der Defensive. Die 25-Jährige von Athletic Bilbao steht vor allem aufgrund ihres Aufbauspiels im deutschen Aufgebot, als Linksfüßerin kann sie andere Passwinkel spielen und dem deutschen Spiel so eine weitere Dimension geben.

In der Kernkompetenz des Verteidigens tat sie sich gegen die schnellen Polinnen allerdings schwer, auch das frühe 0:1 fiel über ihre Seite. Im zweiten Spiel kam Schulze Solano nicht zum Einsatz. Im direkten Vergleich hat Doorsoun nun Pluspunkte in Sachen Nominierung gesammelt.

Hrubesch will nur fitte Spielerinnen mitnehmen

Als wichtigste Prämisse hat Hrubesch die Fitness nach einer langen, kraftraubenden Saison ausgegeben. Darum gelte es in der nun anbrechenden kurzen Urlaubsphase "durchzupusten" und Kraft zu tanken, sagte der 73-Jährige, der noch immer auf einen 22er-Kader für die Sommerspiele hofft. Stand jetzt dürfen nur 16 Feldspielerinnen und zwei Torhüterinnen mit, vier auf Abruf nominierte Ersatzkräfte bleiben daheim.

Sollte es trotz der Vorstöße beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und beim Weltverband FIFA beim Mini-Kader bleiben, besteht noch die Hoffnung, dass das Not-Quartett trotzdem mitreisen darf. Entsprechende Gespräche mit den Vereinen sind noch nicht abgeschlossen.

Die Chancenverwertung muss besser werden

Doch unabhängig davon, wie groß der Kader ist, müssen Hrubesch und das Team in der Offensive vor allem an einem arbeiten: der Chancenverwertung. Die Mannschaft kommt zwar "zu vielen Torabschlüssen, diese erfolgen jedoch zu selten aus Top-Positionen", wie "Create Football" ausführt. Nimmt man nur die ersten rund 30 Minuten der zweiten Partie gegen Polen zur Grundlage, war diese Analyse umfassend bestätigt.

Zumal im Angriff die letzte Konsequenz fehlte: Sydney Lohmann (4./8./22.), Lea Schüller (16./28.) und Lena Oberdorf (32.) verpassten beste Gelegenheiten. Auch im "Hinspiel" in Rostock schon hatten die DFB-Frauen - abgesehen von der Schlussviertelstunde, in der drei Treffer zum Sieg gelangen - eine Vielzahl großer Chancen ungenutzt gelassen.

In beiden Partien mangelte es zudem lange Zeit an der Genauigkeit und Zielstrebigkeit im Passspiel sowie - trotz zweier Treffer nach Ecken - bei den zahlreichen Standardsituationen. Gerade Letzteres wiegt in Partien, in denen spielerisch nicht alles rund läuft, schwer - und sollte angesichts der laut "Create Football" im internationalen Vergleich "großartigen Physis und Kopfballstärke der deutschen Mannschaft eine echte Waffe" sein. Auch hier wartet Arbeit auf Hrubesch und das Team.

Streicht Hrubesch Freigang?

Gerade in der Offensive hat der Bundestrainer ein Überangebot. Kapitänin Alexandra Popp und Schüller, der in den beiden Begegnungen gegen Polen drei Treffer gelangen, dürften gesetzt sein. Das gilt auch für Klara Bühl und Jule Brand als Flügelstürmerinnen.

Zu den Wackelkandidatinnen gehört die Frankfurterin Laura Freigang, die trotz ihres großen Potenzials in beiden Partien unglücklich agierte. Gleiches gilt für ihre SGE-Kollegin Nicole Anyomi und die Wolfsburgerin Vivien Endemann, die in Polen blass blieb und schon zur Pause durch Brand ersetzt wurde.

Im Mittelfeld haben Lena Oberdorf (wechselt von Wolfsburg nach München), die in Gdynia einen Schlag auf die linke Wade bekam und verletzt ausgewechselt werden musste, und die beim FC Chelsea erstarkte Sjoeke Nüsken ihre Plätze sicher. Zudem hat die Noch-Leverkusenerin und Bald-Frankfurterin Elisa Senß in beiden Partien einen starken Eindruck hinterlassen. Sie könnte den Vorzug vor Janina Minge vom SC Freiburg erhalten.

"Groß umdenken" brauche er nicht mehr, sagte Hrubesch nach der Begegnung in Gdynia. Schmerzhaft sei für ihn nur, "dass ich zwei, drei Spielerinnen sagen muss, dass sie nicht dabei sind". Vier Wochen hat er noch, um sich zu entscheiden, auf wen er bei der olympischen Medaillenmission setzen will - und gut 50 Tage, die Baustellen im Spiel anzupacken.

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Dieses Thema im Programm:

Sport aktuell | 04.06.2024 | 18:00 Uhr

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